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Editorial

Kultur am Pranger

Françoise Deriaz, Chefredaktorin

Ein mit einem Oscar und einer Palme gekrönter Cineast wird von einem Schweizer Festival eingeladen, das ihn für sein Lebenswerk ehren möchte. Während sich das Bundesamt für Kultur auf den Empfang vorbereitet, schnappt ihn das Bundesamt für Justiz am Flughafen. 2005 stellten die USA einen internationalen Haftbefehl gegen Roman Polanski aus: Ihm wird die Vergewaltigung der 13-jährigen Samantha Geimer im Jahr 1977 vorgeworfen. Da er eine übertriebene Strafe befürchtete, flüchtete der ehemalige Bewohner des Warschauer Ghettos vor seiner Verurteilung nach Frankreich. Wie ist das Vorgehen der Schweiz zu erklären?
Natürlich musste sie ihre Pflicht gegenüber den USA erfüllen, doch das BAK hätte über die Risiken informiert werden sollen, die Roman Polanski mit seiner Reise ans Zurich Film Festival einging. Der von Berufskollegen unbesonnen verteidigte Cineast, dem sie im Namen der Kunst Absolution erteilten, wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Im Internet folgte die Abrechnung: «Dass er [Polanski] nun aus dem Verkehr gezogen ist und anderen Kindern keinen Schaden mehr zufügen kann, beruhigt mich […]. Der Pädophile scheint sich aufgrund seines Berufs und seines Talents über das Gesetz erheben zu wollen», war da zu lesen.
Polanski ist natürlich nicht über das Gesetz erhaben, doch ist er heute ein alter, harmloser Mann, Vater von zwei Teenagern und kein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher. Samantha Geimer will keine Rache: «Die Medien haben mein Leben zur Hölle gemacht, und ich möchte, dass Gras über die Sache wächst», sagt sie heute. In Anbetracht, dass die Mühlen der Justiz zwei Familien zermalmen könnten, hätte die Schweiz ein weiteres Schlamassel verhindern können. Ganz zu schweigen davon, dass das Aufbegehren gegen die Kulturschaffenden Folgen haben könnte. Glücklicherweise ist die Teilnahme der Schweiz am Media-Programm bis 2013 beschlossene Sache – der Filmkredit für 2010 jedoch noch nicht.

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Themen n°409