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Sparmassnahmen und Nachwuchs

Teresa Vena
22. September 2023

Die nächste Berlinale wird ein reduziertes Programm haben. Das Festival begründet dies mit seiner finanziellen Lage. Die Sektion «Perspektive Deutsches Kino», die dem Nachwuchs gewidmet war, wird gestrichen.

Das jährliche Budget der Berlinale beträgt ungefähr 35 Millionen Euro (in Cannes 34 Millionen). Zu je einem Drittel speist es sich aus verkauften Eintrittskarten, Sponsorenbeiträgen und Bundesmitteln. Letztere belaufen sich für 2024 auf 11,1 Millionen Euro (Locarno erhält jährlich vom Bund 1,73 Millionen Franken, was etwa 10 Prozent des Gesamtbudgets ausmacht). Das ist etwa gleich viel wie in den letzten Jahren, doch 2024 fallen die Pandemie-Zuschüsse von 2,2 Millionen weg. Mitte Juli liess die Leitung des Festivals verlauten, dass diese finanziellen Mittel nicht ausreichten und deswegen eine Umstrukturierung nötig sei.

 

Kleineres Programm

Das Programm wird um ein Drittel, auf 200 Filme, gekürzt. Die Sektionen «Berlinale Series» und «Perspektive Deutsches Kino» sind gestrichen. Seit dieser Mitteilung brodelt es in der deutschen Filmbranche. Eine Verschlankung verlangten Branche und Kritik schon seit Jahren unter Dieter Kosslick. Carlo Chatrian ging ihnen diesbezüglich nicht weit genug. 287 Filme wie 2023 waren immer noch zu viele und die Schaffung des zweiten, kaum profilierten Wettbewerbs «Encounters» in diesem Sinne kontraproduktiv. Cannes und Venedig hätten diesbezüglich inspirierend sein können, zusammen zeigen die beiden Festivals weniger Filme als die Berlinale. In Cannes sind es unter 100, in Venedig unter 150 Werke. 

Der Verband der deutschen Filmkritik bedauert aber, dass diese Massnahmen nicht in einem «kreativen Engagement begründet» seien, wie er in einer Stellungnahme sagt, sondern «mit budgetären Zwängen». Vielmehr müsse jetzt die Gelegenheit ergriffen werden, ein kuratorisches Profil auszuarbeiten, wofür es vermutlich aber eine Änderung in der Leitungsstruktur des Festivals bräuchte. So wenig naheliegend ist diese Forderung nicht, da Chatrians Vertrag nach der Ausgabe von 2024 ausläuft, seine Partnerin Mariette Rissenbeek hat ihren Weggang schon bestätigt. Die AG Filmfestivals, der Zusammenschluss 120 deutscher Festivals, befürchtet, dass «die Berlinale-Kürzungen ein falsches Signal» setzten und einen «förderpolitischen Abwärtstrend» auslösen könnten. Auf Sponsoren auszuweichen, sei illusorisch, viele Unternehmen zögen sich spätestens seit der Pandemie zurück. Und tatsächlich ist unklar, ob die Berlinale die Kündigung von Glashütte und Tesiro 2019 vollumfänglich hat kompensieren können. Tiefere Einnahmen in diesem Bereich ergeben nämlich auch eher Sinn als Begründung für die beklagten aktuellen Schwierigkeiten.

 

Zukunft des Nachwuchses

Besondere Kontroversen löste die Streichung der «Perspektive Deutsches Kino» aus. Diesen Fokus auf die junge Generation deutscher Filmschaffender hatte Kosslick 2002 bei seinem Amtseintritt eingeführt. Seine Bedeutung war seither ein konstantes Diskussionsthema. Welche Stellung kommt dem eigenen Filmschaffen auf dem grössten internationalen Festival des Landes zu? Jetzt sollen Nachwuchsarbeiten auf jeden Fall künftig in anderen Sektionen untergebracht werden. Sicher ist, dass der einheimische Film nur gewinnt, wenn er sich im internationalen Kontext messen muss (und kann). Dieser Meinung sind auch in Deutschland viele. Doch die Initiatorinnen der Initiative «Angst essen Kino auf» sehen in dieser Entwicklung eine allgemein defizitäre Nachwuchsförderung: «Das zeigt, dass die deutsche Kinolandschaft immer weniger Wert darauf legt, die Filmemacher und Filmemacherinnen von morgen zu fördern und damit die Zukunft des deutschen Kinos. Unter dem Strich bekommen nun sehr viel weniger Nachwuchsfilme in Deutschland eine Chance auf eine Premiere bei einem internationalen A-Festival und damit letztendlich auch weniger Chancen auf Preise, Verleiher und eine Kinoauswertung. Jetzt muss bewiesen werden, dass am Ende bei der Wahl der Filme auch wirklich die Qualität zählt und nicht die Bekanntheit der Macher und Macherinnen. Ganz abgesehen davon, dass dies, rein budgetär betrachtet, ein ziemlich ungleicher Wettbewerb ist. Denn Nachwuchsfilme müssen hierzulande meist mit weniger als der Hälfte des Budgets auskommen als bereits etablierte Produktionen, was natürlich nicht zwingend etwas über die Qualität aussagt, dafür aber über die Chancengleichheit der Filmschaffenden», meinen die Filmemacherinnen Pauline Roennenberg, Eileen Byrne und Franziska Margarete Hoenisch.   

 

Kurz vor Drucklegung informierte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, dass auch der Vertrag von Chatrian nicht verlängert wird und künftig eine Person die Gesamtleitung des Festivals übernehmen soll.

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