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Gemischte Gefühle in der Branche

Adrien Kuenzy
22. September 2023

© Adobe Stock / Ronald Rampsch

Während viele Branchenleute die neue Kulturbotschaft, die derzeit in der Vernehmlassung ist, weitgehend unterstützen, sind andere besorgt über ihre Mängel. Ein erster Überblick über die Reaktionen und verschiedenen Perspektiven der Akteure und Akteurinnen des Schweizer Filmsektors.

Erhöhung des Budgets für die Filmbranche, wachsendes Interesse an der Erkundung neuer Formate, Forderung nach mehr Mitteln für die Verleih- und Auswertungsförderung: Dies sind einige der Punkte, die von den Vertretern der Branche hervorgebracht wurden, drei Wochen vor Ende der Vernehmlassung zur neuen Kulturbotschaft. Zeit für uns, eine vorläufige Bilanz zu ziehen.

Die Diskussionsbasis ist klar: Cinésuisse ist ein zentrales Element der Filmbranche, um das sich zahlreiche Verbände gruppieren. Als Berater mehrerer Verbände, wie der «Gruppe Autor:innen Regisseur:innen Produzent:innen» (GARP), beteiligte sich Thomas Tribolet, der auch Sekretär der «Swiss Film Producers’ Association» (SFP) ist, aktiv an der Verfassung der Stellungnahme an das Bundesamt für Kultur (BAK). «Aus unserer Sicht muss die neue Kulturbotschaft in erster Linie Kontinuität sicherstellen. Zudem müssen wir uns auf die Auswirkungen der Investitionspflicht der «Lex Netflix», die nächstes Jahr in Kraft tritt, auf die Filmproduktion konzentrieren», so Tribolet. «Sobald wir hier die ersten Resultate sehen, können wir weitere Anpassungen an unserem Fördersystem vornehmen, vielleicht im Rahmen der nächsten Kulturbotschaft».

 

Kontinuität im Handeln

Grundsätzlich ist keine grosse Revolution zu erwarten, denn «die aktuellen Film-Förderinstrumente haben sich bewährt», so Cinésuisse. Die Dachorganisation hat jedoch konkrete Forderungen. Derzeit fliessen jährlich 6.5 Millionen Franken in die Produktionsförderung, doch dieser Betrag ist nicht ausreichend, der jährliche Bedarf liegt bei über 10 Millionen. Der Verband verlangt zusätzliche Gelder in Höhe von je 2 Millionen Franken für die Filmstandortförderung Schweiz (FiSS) und Succès Cinéma. Zudem fordert er eine allgemeine Erhöhung des Budgets um weitere 2 Millionen Franken, unter anderem zum Ausgleich der Teuerung von 2.1 Prozent, die für 2025 erwartet wird – insgesamt also eine Erhöhung um 6 Millionen Franken pro Jahr.

Bei den konkreten Massnahmen hinterfragt Cinésuisse den Grundsatz der Annuität. Dieser ist für den Filmsektor, wo sich Projekte über mehrere Jahre erstrecken, problematisch. Ein Lösungsvorschlag wäre die Einführung eines Verpflichtungskredits für den ganzen Kultursektor, der die Übertragung von nicht verwendeten Mitteln auf das Folgejahr erlauben würde, insbesondere bei der Filmförderung. «Eine solche Gesetzesänderung würde die Verwaltung der Mittel über einen Zeitraum von vier Jahren vereinfachen», so  Tribolet.

«Wir hoffen, dass jeder Filmverband unsere Botschaft aufnimmt und seine eigenen, spezifischen Bedürfnisse formuliert», fährt der Rechtsanwalt fort. «Manche Produktionsfirmen interessieren sich vermehrt für Streamingprojekte. Gewisse Verbände könnten mehr Gelder für die FiSS fordern, oder für die Schliessung der Lücken in der Entwicklungsförderung». Während Cinésuisse sich bereits klar zu einem Ausbau der Verleih- und Auswertungsförderung bekennt – Bereiche, in denen es massiv an Ressourcen mangle – legen die Hauptakteure und -akteurinnen dieser Sektoren ihren Standpunkt noch differenzierter dar (siehe Folgetext).

 

Wir befürworten eine offenere Haltung gegenüber anderen Erzählformaten der Zukunft. Zudem sind wir der Meinung, dass die Filmförderung grundsätzlich überdacht werden muss, da ab 2025 Gesetzesänderungen notwendig sind, um sich besser an die digitale Welt anzupassen.
Mirko Bischofberger, Swiss Fiction Movement

 

Arbeitsbedingungen

Viele Massnahmen, die die Arbeitsbedingungen im Kulturbereich betreffen, werden  gutgeheissen, insbesondere diejenigen, die auf eine angemessene Vergütung und bessere soziale Absicherung der Filmschaffenden abzielen. «Aus unserer Sicht braucht es bei der Vergabe von Fördermitteln jedoch vermehrt Kontrollen», so Nicole Barras, Generalsekretärin des Schweizer Syndikats Film und Video (SSFV), «nicht nur bei der Budgetierung, sondern auch nach Abschluss der geförderten Projekte, um zu überprüfen, ob die Branchenvereinbarungen und -empfehlungen eingehalten wurden». Gemäss Roland Hurschler, Geschäftsleiter des ARF/FDS, müsste die neue Kulturbotschaft der Entlöhnung der Autoren und Autorinnen, der Drehbuchautoren und -autorinnen und der Regisseure und Regisseurinnen mehr Aufmerksamkeit schenken: «Es mutet seltsam an, dass diese Personen bis auf wenige Ausnahmen unter allen an einem Filmprojekt Beteiligten oft zu den am schlechtesten bezahlten gehören.»

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, wären gemäss  Barras höhere Löhne und eine bessere Arbeitsorganisation wünschenswert: «Neben den allgemeinen, gesellschaftlichen Gründen für den Fachkräftemangel (zum Beispiel die demografische Entwicklung) stellen wir in der Filmbranche fest, dass die stagnierenden Löhne und  die sehr langen und unregelmässigen Arbeitszeiten mit Nacht- und Sonntagsarbeit die Arbeit beim Film unattraktiv machen». Im Allgemeinen ist der SSFV jedoch der Meinung, es sei letztendlich Sache der Schweizer Arbeitgeber und der Branche, konkrete Lösungen zu finden, so auch um die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten und die Lohngleichheit sicherzustellen. Cinésuisse regt in seiner Stellungnahme im Übrigen an, dass «der Bund, die Kantone und die Branche sich auf die Schaffung von Weiterbildungsmöglichkeiten für die Filmberufe konzentrieren sollten, um den Nachwuchs zu fördern».

Der SSFV und Cinésuisse möchten zudem den Kampf gegen Mobbing und Belästigung intensivieren. «Das Problem wird zwar in der Kulturbotschaft genannt, aber es wird in der Folge keine konkrete Lösung vorgeschlagen», so  Barras. «Deshalb schlagen auch wir im Sinne der Stellungnahme von Cinésuisse vor, eine spartenübergreifende externe Anlaufstelle zu errichten.»

 

Digitale Kreation und Autorenrechte

Die Möglichkeiten der digitalen Kreation sind im Begriff, die Filmindustrie von Grund auf umzugestalten, und geben Anlass zu neuen Herausforderungen in Bezug auf die Autorenrechte.  Hurschler betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, in der Kulturbotschaft vermehrt auf den Schutz der Autorenrechte bei Online-Auswertern und in Anwendungen einzugehen, die künstliche Intelligenz und geschützte Daten verwenden: «Die Produktion von Serien und Filmen mithilfe von KI wirft zudem Fragen auf in Bezug auf die potenziellen Auswirkungen auf die Diversität sowie die kulturelle und künstlerische Qualität». Ausserdem wird befürchtet, diese Entwicklungen könnten die essenziellen Aspekte, die im Zentrum der Förderanstrengungen des Bundes stehen, verwässern, «trotz der wirtschaftlichen Euphorie aufgrund der neuen Möglichkeiten, zum Beispiel durch die Lex Netflix.»

Marie Klay, Generalsekretärin von Aropa, wirft im Namen ihres Verbands die Frage der Öffnung des BAK gegenüber der Förderung neuer Formate wie TV-Produktionen, insbesondere Serien, auf. Sie spricht sich zudem für die Integration von Succès VoD in ein Fördersystem aus – eine Problematik, die gemäss Aropa mit dem Inkrafttreten des neuen Filmgesetzes zentrale Bedeutung erlangt. «Wir verstehen nicht, wieso diese Frage nicht thematisiert wird», so Klay.

Das Swiss Fiction Movement seinerseits begrüsst die Einführung einer Förderung für neue Formate in der Kulturbotschaft, fordert jedoch, dass diese Förderung nicht auf VR, AR und XR beschränkt bleibt. «Wir befürworten eine offenere Haltung gegenüber anderen Erzählformaten der Zukunft», so der Gründer des Verbands Mirko Bischofberger. «Zudem sind wir der Meinung, dass die Filmförderung grundsätzlich überdacht werden muss, da ab 2025 Gesetzesänderungen notwendig sind, um sich besser an die digitale Welt anzupassen». In Ergänzung der Stellungnahme von Cinésuisse würde sich das Swiss Fiction Movement zudem die Schaffung eines von Bund und Kantonen getragenen Kompetenzzentrums wünschen, um die Möglichkeiten und Risiken der neuen digitalen Technologien im Kultursektor zu untersuchen. Es wird sich zeigen, ob das neue Zentrum für digitale Kreation in Genf, über das wir bereits eingehend berichtet haben, diese Rolle auf längere Sicht übernehmen könnte. 

 

Welche Rolle übernimmt das ZFF in der Promotion des Schweizer Films?

Christian Jungen, künstlerischer Leiter des ZFF: «Wir haben eine Vorreiterrolle. Unser Fokus-Wettbewerb hat eine Sprungbrettfunktion auch auf internationaler Ebene. Ich muss etwas schmunzeln, dass jetzt in der Kulturbotschaft ein Schwerpunkt darauf gelegt wird. Anfangs wurde das ZFF für seine Marketingbemühungen den Film ans breite Publikum zu bringen, kritisiert. Marketing war lange etwas Suspektes in der Förderung. Es ergibt aber keinen Sinn, viel Geld in die Produktion eines Films zu investieren, ohne es auch für seine Promotion zu tun. Der Schweizer Film hat ohne diese Mittel keine Chance gegenüber Hollywood oder auch gegenüber deutschen und österreichischen Akteuren. Daher begrüsse ich es, dass man diese Notwendigkeit erkannt hat. Doch jetzt heisst es ein bisschen weniger kleckern und mehr klotzen. Dafür muss man sich mit denen zusammentun, die bereits eine gewisse Reichweite haben, wie das ZFF oder auch Locarno, und vor dem intensiven Bespielen der sozialen Medien nicht zurückschrecken. Das dürfte für ein Amt schwieriger sein.» tev

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