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Zur Zukunft der Schweizer Filmförderung

Die Fragen stellte Teresa Vena
22. September 2023

Bevor Ivo Kummer als Filmchef des BAK Ende 2023 zurücktritt bringt er noch seine letzte Kulturbotschaft auf den Weg. © KEYSTONE/Jean-Christophe Bott

Kurz vor Ende der Vernehmlassung der Kulturbotschaft 2025-2028, ein Gespräch darüber mit Ivo Kummer, Filmchef beim Bundesamt für Kultur.

Welche sind die dringenden Fragen, wenn es um die Filmarbeitswelt geht?

Die Filmbranche ist den anderen Kultursparten voraus, da man über eine Richtlohnliste der Paritätischen Kommission verfügt. Bei der Gesuchseingabe achten wir darauf, dass diese Mindestlöhne eingehalten werden. Als letzter Mosaikstein muss jetzt noch eine Lösung für die Darstellergagen gefunden werden. In Bezug auf Chancengleichheit, sexuelle Ausbeutung oder Mobbing appellieren wir an die Selbstverantwortung der Menschen, erwarten aber auch, dass sie einen Verhaltenskodex unterschreiben, wenn sie ein Finanzierungsgesuch eingeben. Es ist unbestritten, dass die Arbeit im Film besonders belastend sein kann. Grundsätzlich gilt immer das Arbeitsrecht, das Missbräuche verhindern soll. Bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind schon seit ein paar Jahren Kosten, beispielsweise für Fremdbetreuung, anrechenbar.

 

Abgesehen davon, dass das BAK die eingereichten Gesuche diesbezüglich genau prüft, wie kann es sonst aktiv werden? 

In der Schweiz herrscht grundsätzlich Vertragsfreiheit. Das Bundesamt kann aber prüfen, ob die Verträge einigermassen stimmen oder Standard- und Musterverträge verwendet werden. Darüber hinaus begleiten wir die verschiedenen Prozesse. Wir kennen beispielsweise  die Lohnkosten und können Quervergleiche anstellen. Wir verfügen über filmspezifische statistische Angaben und können entsprechende Empfehlungen für bestimmte Entwicklungen geben. Diese muss die Branche aber selbst umsetzen.

 

Eine Neuerung in der Kulturbotschaft betrifft den Willen, fortan den kulturschöpferischen Prozess ganzheitlicher zu berücksichtigen. Wie wird sich das auf den Film auswirken?

Auch in diesem Punkt ist die Filmbranche anderen Kultursparten einige Schritte voraus. Entwicklung und Auswertung sowie Promotion unterstützen wir schon seit einiger Zeit und fördern Filmprojekte vom Drehbuch bis zur Archivkopie für die Cinémathèque. Bisher werden im Bereich Promotion einzelne Filme über die Verleihförderung unterstützt oder über ihre Teilnahme an Festivals. Die Auslandspromotion von Swiss Films soll nun aufs Inland erweitert werden. Wir wollen den Film als Teil der Schweizer Kultur bewerben. Das kann beispielsweise über Berichterstattung, verschiedene Aktivitäten rund um einzelne Filmprojekte oder spezifische Kinotage erfolgen. Wir beantragen dafür kein zusätzliches Budget, sondern schlagen stattdessen eine sogenannte Umwidmung von 700‘000 Franken aus der Herstellungsförderung in den Kredit der Filmkultur vor. Gleichzeitig soll Swiss Films, die praktisch vollständig vom BAK unterstützt wird, aus ihrem Sockelbeitrag von 2,8 Millionen Franken weitere 300‘000 freimachen, damit insgesamt ein Betrag von 1 Million zusammenkommt.

 

Wieso ist jetzt der richtige Zeitpunkt für diese Initiative? Ist es eine Reaktion auf die Auseinandersetzungen während der «Lex Netflix»-Kampagne?

Von einigen der Kommentare, die man in den sozialen Medien lesen konnte, war ich erschrocken. Die Vorurteile gegenüber dem Schweizer Film bestehen immer noch. Dieses Image müssen wir korrigieren. Der internationale Erfolg bestätigt die Qualität unseres Filmschaffens. Es gilt, dies zu vermitteln, indem man Publikum für Schweizer Filme gewinnt. Nicht nur für aktuelle Filme, sondern auch fürs eindrückliche Filmerbe. Die Menschen vergessen oft, was ein Schweizer Film ist, daran muss man sie wieder erinnern und sie an ihn heranführen.

 

Das Budget dafür soll also aus der Herstellungsförderung kommen. Wie wirkt sich die Kürzung des Kulturetats um 2 Prozent zusätzlich darauf aus?

Im Voranschlag für das Parlament, der noch genehmigt werden muss, wurde berechnet, dass in der Herstellungsförderung ab 2025 nur etwa 100‘000 Franken weniger zur Verfügung stehen werden.  Mit dem erwarteten Produktionsvolumen aus der Investitionspflicht von 18 Millionen, konservativ gerechnet, wird dies für die Filmherstellung insgesamt weitaus mehr als ausgeglichen.

 

Zu den heftigsten Reaktionen aus der Branche, bereits auf die letzte Kulturbotschaft, gehören die von Swiss Fiction Movement, die unter anderem bemängeln, dass der Nachwuchs und experimentelle Formate nicht effizient genug gefördert werden. Wie kann man dem begegnen?

Ein Schwerpunkt auf den Nachwuchs ist bereits in der aktuellen und früheren Verordnungen berücksichtigt. Es gibt zurzeit kein Ungleichgewicht in der Förderquote, auch nicht in Bezug auf die Geschlechter oder die Sprachregionen. Bezüglich der neuen Erzählformate, XR, VR, AR, ist in der Kulturbotschaft vorgesehen, dass nicht mehr nur, wie bisher, die Entwicklung unterstützt werden kann, sondern auch die Herstellung. Alle anderen Massnahmen, wie sie beispielsweise die Filmstiftung Zürich als öffentlich-rechtliche Stiftung mit «Fast Track» umgesetzt hat, bedeuten für uns einen sehr langen Prozess. Die Wege führen über verschiedene Konsultationen und die Einbindung mehrerer Departemente, bis der Bundesrat darüber entscheiden kann. Wenn man den grossen Aufwand einer Richtungsänderung in Gang setzt, möchte man sich aber sicher sein, dass es auch sinn- und wirkungsvoll ist.

 

Was Sie aber umsetzen, ist die Erweiterung des Begriffs Film. Wie viel Gewicht wird das einnehmen?

Der Film als Begriff ist schon heute weitgefasst. Konkret wird er nun auch für die neuen Formate wie XR angewendet. Keine Ahnung, wie dies das Budget belasten wird. Im Verteilplan müsste ein entsprechender Betrag für dieses Instrument eingesetzt werden. Mit 400‘000 Franken beginnen, dann erhöhen oder kürzen? Ich werde zwar bei der Umsetzung nicht mehr dabei sein, doch ich würde mir wünschen, dass bei der Förderung der neuen Formate keine Einzellösungen entstehen, etwa bei Cinéforom, der Zürcher Filmstiftung, der SRG oder beim BAK. Die Form der Filmförderung, die man heute pflegt, sollte man nicht auch bei einem neuen Format, von dem man nicht genau weiss, wie es sich entwickeln wird, anwenden. Beim Film konnte man von einer Kontinuität ausgehen. Bei XR befinden wir uns in einer Pionierphase. Wie entwickelt sich die Szene? In diesem Fall wäre ein nationales Kompetenzzentrum das Sinnvollste. Das würde es ermöglichen, sich besser verändernden Anforderungen anzupassen.

 

Eine solche schweizweite Institution aufzubauen, wäre aber bekannterweise keine einfache Aufgabe.

Man müsste über die eigenen Standorteffekte hinausschauen. Der Film kennt keine Grenzen. Wieso muss er in Zürich oder in Genf stattfinden? Die «Fondation pour la création numérique» fasst zumindest die Region in der Westschweiz zusammen. In der Deutschschweiz fehlt diese politische Intention völlig. Doch darüber sollte offen diskutiert werden. Der Szene und der Kreation würde es helfen. Es würde Mittel sparen beim Aufbau von Fachkenntnissen und einem entsprechenden Pool von Experten und Expertinnen.

 

Bräuchte man das nicht für die gesamte Filmförderung?

Ob eine Auslagerung der Filmförderung sinnvoll ist, oder nicht? Das kann man diskutieren. Ist es sinnvoll ein Filminstitut, eine eigene Struktur, aufzubauen, die jedoch verschiedene Ressourcen braucht, die heute vom Bund bezahlt werden? Was wären die Vor- und Nachteile einer Externalisierung? Wer würde die gesetzlich zwingend vorgesehen Drittmittel beisteuern? Das wäre wohl nicht so schnell umgesetzt, da es verschiedene politische Prozesse bedingt. 

 

Versprechen Sie sich von der lancierten Studie zur Analyse der Filmbranche auch Erkenntnisse darüber?

Dabei geht es vor allem darum, einzuschätzen, wie sich die Fördersituation mit dem Eintritt neuer Akteure entwickeln wird. Durch die Investitionspflicht kommen mächtige Partner mit ins Boot. Welche Rolle wird die Filmförderung der öffentlichen Hand künftig spielen? Wie soll sie strukturiert werden? Will sie sich inhaltlich auf Innovation konzentrieren, wenn die anderen eher Kommerzielles fördern? Wird es auf eine Restfinanzierung hinauslaufen? Das betrifft den Bund wie auch die regionalen Förderstellen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage der Sinnhaftigkeit einer einheitlichen Audiovisionspolitik und eines Audiovisionsgesetzes für die Schweiz. So könnte man Kompetenzen bündeln, statt die Zuständigkeit über die Audiovisionslandschaft mit dem Film- und dem Radio- und Fernsehgesetz auf verschiedene Departemente zu verteilen. Diese Perspektive wird in verschiedenen europäischen Ländern gerade aufgezeigt. Das muss nicht auf eine Auslagerung der Filmförderung hinauslaufen. Die hätte, wie gesagt, nicht nur Vorteile.

 

Was meinen Sie damit?

Die Nähe der Filmförderung zur Bundespolitik hat viele grosse Projekte ermöglicht, die sonst eher undenkbar gewesen wären. Dazu gehören die MEDIA-Ersatzmassnahmen. Wir konnten das Geld, das ins europäische Projekt geflossen ist, umwidmen, in der Schweiz behalten. Das musste dem Parlament innerhalb kurzer Zeit vorgelegt werden. Das hätte eine Stiftung kaum geschafft. Genauso wenig wie die Umsetzung der Filmstandortförderung oder der Investitionspflicht. Mit der Umsatz-Meldepflicht für Onlinedienste haben wir dazu 2016 eine wesentliche Vorarbeit geleistet, die uns übrigens europaweit in eine einzigartige Stellung gebracht hat. Finanziell hat es sich ebenfalls ausbezahlt. Pro Helvetia als öffentlich-rechtliche Stiftung ausserhalb der Bundesverwaltung erhielt in den vergangenen Jahren praktisch nie eine Krediterhöhung, der Film aber schon.

 

In der neuen Kulturbotschaft werden die Hoffnungen der Kinobetreiber auf den Ausbau einer Kinoförderung zerschlagen.

Es steht nicht mehr Geld zur Verfügung. Wir sind im Gegenteil froh, wenn wir den gleichen Budgetrahmen behalten können. Es bleibt dabei, dass der Bund keine Struktur-, sondern weiterhin nur eine Projektförderung betreiben kann. Uns ist bewusst, dass die Summe von 2.6 Millionen nur einen geringfügigen Einfluss auf bedrohte Kinosäle hat. Klar ist uns auch, dass es einen gewissen Zielkonflikt gibt, wenn man die Kinoauswertung der vom BAK geförderten Produktionen nicht intensiver subventioniert.

 

Dahinter steckt aber nicht die Vorstellung, dass das Kino als Auswertungsstelle langsam ausdient?

Im Gegenteil. Es lässt sich feststellen, dass die Krise für die Multiplexkinos und massentauglichen Filme in den mittelgrossen Städten überstanden ist. Das Problem besteht weiter in den grösseren Städten und im Bereich des Autorenfilms. Die Zuschauer bleiben aus. Entweder ist das Filmangebot zu gross, oder die Konkurrenz der anderen Kulturaktivitäten zu stark. Es ist nicht der Bund, der entscheiden kann und will, ob einzelne Kinoinstitutionen erhalten bleiben sollen. Das liegt an den Städten und Regionen selbst. Nur sie kennen den gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert ihrer Kinos. Wir stehen gerne fachlich beratend zur Seite.

 

In der Kulturbotschaft positioniert sich das BAK deutlich für den Wiedereinstieg ins MEDIA-Programm, oder?

Auf jeden Fall. Es hängt allerdings an den ganzen institutionellen Fragen zwischen der Schweiz und Europa. Auf der technischen Ebene bleiben wir bereit, die Politik muss aber die Teilnahme am «Creative MEDIA»-Programm, das teurer werden wird, unterstützen. Der einzige Weg für den Film führt heute über die internationalen Koproduktionsabkommen. Das Abkommen mit Kanada steht zur Unterzeichnung bereit und wird neu auch Fernseh- und Serienformate einbeziehen. Mit Lateinamerika sollen ebenfalls Abkommen ausgehandelt werden.

Filmstaff

Die Schweizer Filmbranche beklagt einen sich verschärfenden Fachkräftemangel. Genaue Daten lassen sich dafür, verständlicherweise, schwer erheben.  Die Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des SSFV sowie Vertretern und Vertreterinnen der Produzentenverbände sieht dennoch dringenden Handlungsbedarf und initiiert «Filmstaff». In der Pilotphase soll online eine Wissensplattform entstehen, die «die Filmbranche als attraktives und zukunftsfähiges Berufsfeld vorstellt», sagt die Projektleiterin Eveline Stadler. In einem ersten Schritt richtet sich die Initiative an potenzielle Quereinsteiger, an junge Berufsanfänger oder arrivierte Fachleute ausserhalb der Branche. Über die Funktion als Anlaufstelle für Interessierte hinaus will «Filmstaff» eine (erstmal auf die Deutschschweiz beschränkte) Werbekampagne umsetzen, und regelmässig Informationsveranstaltungen beispielsweise an Ausbildungsstätten oder Festivals durchführen. Die Erfahrung an der Modefachhochschule Modeco stimmt positiv. Von den 45 Teilnehmenden haben sich drei aktiv auf Kostümbildnerstellen beim Film beworben. 

 

Präsentation und Start der Plattform filmstaff.ch während der ZFF Spotlights am 4. Oktober um 17 Uhr. 

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