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Der Festival-Kalender ist aus dem Takt

Nadia Dresti
22. Juli 2021

Nadia Dresti ist «International Relations Advisor»  beim Locarno Film Festival. Bild: Locarno Film Festival

Die Pandemie hat die Filmwelt global auf den Kopf gestellt und aufgezeigt, wie verletzlich das System ist. Sie gibt uns auch eine Gelegenheit, über flexiblere und integrativere neue Modelle nachzudenken.

Mit der Pandemie hat sich das Online-Kulturangebot vervielfacht, insbesondere im audiovisuellen Bereich. Der Autorenfilm spielte dabei gewiss keine tragende Rolle, das heimische Kino leider ebensowenig. Aufgrund der gesundheitlichen Lage mussten die Menschen zu Hause bleiben, man gewöhnte sich daran, das Angebot an Filmen vom Sofa aus zu nutzen. Nun, da allmählich Normalität einkehrt, haben die Sommerfestivals die grosse Verantwortung, das Publikum zurückzuerobern. Die Kinos waren geschlossen und boten Filme teilweise online an, Verleiher konnten die in den Monaten davor gekauften Filme nicht vertreiben, Produzenten mussten Dreharbeiten einstellen oder auf später verschieben, Festivals wurden abgesagt oder fanden online statt.

Das Filmschaffen hat weltweit eine schwere Krise hinter sich. Selbst die amerikanische Industrie ist ins Rudern geraten, was auch für das unabhängige Filmschaffen kein gutes Zeichen ist. Wie die Musik und die Literatur muss das Kino unterschiedliche Genres und Stile abdecken, um ein breit gefächertes Publikum erreichen zu können.

Paradoxerweise werden weltweit trotz der heftigen Krise immer noch so viele Filme produziert, dass auch alle bestehenden Festivals zusammen nicht alles aufnehmen könnten. Nachdem die Kinos wieder in Betrieb waren, eröffnete die Berlinale als erstes grosses, internationales Festival den Reigen, musste aber, um Publikum empfangen zu können, auf den Zeitraum vom 9. bis 20. Juni verlegt werden. Drei Wochen später folgte Cannes (6. bis 17. Juli), praktisch gleichzeitig wie das NIFF und das FIFF. 

 

Cannes im Sommer hat Folgen

Die Verlegung von Cannes in den Sommer hat eine grosse Unausgewogenheit in den Programmen zahlreicher Festivals bewirkt, was wiederum das Verhalten der Filmindustrie, die von grossen Filmmärkten wie dem Marché de Cannes, dem wichtigsten überhaupt, angezogen wird, drastisch verändert hat. Überflüssig zu erwähnen, dass es für Locarno sicher keine ideale Situation ist, drei Wochen nach Cannes, nach einer Berlinale im Juni und vor einer Biennale im September durchgeführt zu werden. Dasselbe gilt auch für Sarajevo (13. bis 20. August), Karlovy Vary (von Juli auf 20. bis 28. August verschoben), worauf unmittelbar Venedig (1. bis 11. September), Toronto (10. bis 19. September), San Sebastián (17. bis 25. September), das ZFF (26. September bis 6. Oktober) und andere folgen werden. Diese Liste von Sommerfestivals ist nicht vollständig, vermittelt aber einen Eindruck des aktuellen Festivalkalenders, der sicherlich nicht dazu beiträgt, der Filmindustrie wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen. Während das Publikum seinen Festivals vermutlich treu bleiben wird, ist nicht sicher, ob das auch für die Industrie gilt.

Während die Verleiher normalerweise fleissig internationale Festivals besuchen, um neue Filme zu entdecken, die sie kaufen und Kinobetreibern anbieten können, müssen sie dieses Jahr eine Auswahl treffen, weil sie weder die finanziellen Mittel noch dringenden Bedarf nach neuen Filmen haben, zumal in diesem Pandemiejahr noch gar nicht alle erworbenen Werke in die Kinos gelangt sind. Diese ungewöhnliche Situation wird sich für die an den verschiedenen Festivals gezeigten kleineren und feineren Produktionen vermutlich nachteilig auswirken, da sich die Indus­trie wohl für kommerziellere Filme entscheiden wird, um wirtschaftlich zu überleben.

Wären die Filmmärkte in Berlin oder Cannes nicht so bedeutend, würde das die beiden Festivals schwächen. Die Filmindustrie, die sich darum kümmert, dass ein Film sein Publikum findet, ist mit anderen Worten also ein unverzichtbares Element im weltweiten, aber auch schweizerischen Panorama des Filmschaffens.

Der kulturelle Wert eines Films bemisst sich nicht nach seinem wirtschaftlichen Nutzen, man darf aber nicht vergessen, dass es ohne Regisseure und Kulturschaffende keine Filme gäbe, diese Filme ohne eine gesunde Industrie aber auch kein Publikum fänden. 

Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass die gesamte Filmkette von der Produktion bis zum Publikum – sei es an Festivals oder im Kino, sei es vor dem Fernseher oder auf Onlineplattformen – wieder zu einem Gleichgewicht findet.

Nadia Dresti

 

▶  Originaltext: Italienisch

 

 

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