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Bündeln wir die Kräfte!

Mischa Schiwow
06. April 2021

Nach fast einem Jahr Kino-Unterbruch und der Vermehrung von Einzelinitiativen zur  Lancierung von Filmen per VoD ist dringend mehr Kooperation nötig.

Neulich las ich in den Cahiers du Cinéma ein Interview mit dem amerikanischen Regisseur Paul Schrader. Er behauptet, «dass es künftig nur noch vier gute Gründe gibt, ins Kino zu gehen: Die grosse Show (IMAX, 3D, 4D, alles, was das Heimkino nicht bietet); Filme für junges Publikum, weil Eltern es lieben, ihre Kinder mit anderen interagieren zu sehen; Flirts zwischen Teenagern vor romantischen Komödien und Horrorfilmen, die speziell dafür gemacht sind, dass sich ein Mädchen und ein Junge im selben Raum aneinander reiben; und das, was wir hier Club Cinema nennen, früher Arthouse-Kinos, die dem Essen und Trinken genauso viel Raum zugestehen wie dem Film.» Der Rest, und das wäre nicht wenig, würde geschluckt von dem, was mit  «Netflixisierung» bezeichnet werden kann. Mitte letzten Jahres hat der Streaming-Riese in der Schweiz die magische Grenze von zwei Millionen Abos geknackt. Die Hälfte der Haushalte ist abonniert, wobei der Zuspruch bei den 18 – 25-Jährigen am höchsten ist. 

Die Konsequenzen von beinahe einem Jahr Unterbruch in der traditionellen Kinoauswertung sind kaum absehbar. Niemand weiss, ob es nach der Wiedereröffnung einfach dort weitergehen wird, wo wir am 15. März des Vorjahres aufgehört haben. Wird sich das Publikumsverhalten verändert haben nach einem Jahr intensivem Medienkonsum in den eigenen vier Wänden? Darunter viele Kinofilme, die auf den digitalen Plattformen konsumiert wurden. Werden die ZuschauerInnen nach ihrer Wiedereröffnung wieder massiv in die Kinosäle gehen, wie wir das alle erhoffen? Oder verstärkt sich die Tendenz noch mehr, dass nur wenige Titel ein grosses Publikum vereinigen, während das Gros der Filme in eine Zone abdriftet, wo die klassische Auswertung sich kaum mehr rechnet? Es ist jetzt plötzlich die Rede von hybriden Filmstarts, also der Kombination von Leinwand und virtuellem Kino. Solche Auswertungsformen tönen spannend. Sie setzen allerdings die Existenz von kuratierten Plattformen und die Verfügbarkeit der Rechte voraus, was zumindest bei den meisten ausländischen ­Filmen nicht gegeben ist. In den Verträgen mit den Weltvertrieben sind sogenannte Holdbacks definiert, welche sich nach der jeweiligen Vertriebskaskade in unseren Nachbarländern richtet.

 

Virtuelle Kinosäle

Bei Frenetic Films haben wir erste Erfahrungen letztes Jahr à chaud gesammelt: Der Lockdown hat die Auswertung des nur vier Tage zuvor gestarteten Spielfilms «Mare» von Andrea Štaka jäh unterbrochen. Um die seit Wochen aufgegleiste Promotion zu nutzen, wurde dank Kooperation mit den Nischenanbietern myfilm.ch und Cinefile in wenigen Tagen für den Film ein virtueller Kinosaal eingerichtet, wo ihn Interessierte zum Preis von 16 Franken anschauen konnten. Rund 1ʼ400 Personen haben dieses Streaming-Angebot genutzt. Eine kleine Anzahl, stellt man sie in den Vergleich zu den Kinoeintritten: In den wenigen Tagen vor ihrer Schliessung haben fast ebenso viele «Mare» im Kino geschaut. Lange mussten wir warten, bis das BAK Ende Jahr soweit war, die im virtuellen Kino erzielten «Eintritte» für Succes Cinema zu berücksichtigen. In Verkennung der Realitäten werden von der Erfolgsförderung leider nur Zugriffe akzeptiert, welche einem Kino zuzuordnen sind. Wie wenn sich die Home Cinema-NutzerInnen nicht zu einem Film, sondern einem Kinosaal bekennen müssten. Wir wissen heute, dass wir hierzulande mit kuratierten Plattformen wie Cinefile, Filmingo oder myfilm.ch hinter den Streaming-Giganten Apple, Sky oder eben Netflix Lichtjahre zurückliegen. 

 

Viele Einzelkämpfer

Unsere KollegInnen von Filmcoopi haben anlässlich des internationalen Frauentags eine Plattform eingeweiht, welche für Live-Streamings verwendet werden kann. Eine tolle Initiative, welche – so hoffe ich – eines Tages auch anderen Verleihern von Schweizer Filmen zur Verfügung stehen wird. Ich höre von Transformationsprojekten, welche Kulturbetriebe zu ihrer Finanzierung beim Bund und den Kantonen einreichen können. Und sage mir: Kann es sein, dass jede und jeder in seiner Ecke die Welt neu erfinden muss? Lassen wir einfach den Markt die nach Corona entstandene Situation bereinigen, riskieren wir doch den Verlust von Kino- und Verleihbetrieben, welche zwar den Sturm fürs Erste überstanden haben, aber für die Zukunft kaum gerüstet sind. Wäre es nicht an der Zeit, unsere Intelligenz und unsere Energien zu bündeln, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen? Dabei denke ich an eine verstärkte und sich gegenseitig stärkende Zusammenarbeit zwischen Kinobetrieben, Verleihfirmen und VOD-Plattformen. Will heissen: Kinos als unverzichtbarer und primärer Ort der Begegnung zwischen Filmen, ihren MacherInnen und dem Publikum erhalten. Gleichzeitig Angebote mit jenen Streaming-Plattformen weiterentwickeln, die das Kinoangebot erweitern und kuratorisch bereichern. 

 

 

▶  Originaltext: Deutsch

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