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Is anyone out there ?

Catherine Ann Berger, Direktorin Swiss Films
04. Februar 2021

Catherine Ann Berger, scheidende Swiss-Films-Direktorin, blickt auf ein Filmjahr der Extreme zurück. Und zieht Schlussfolgerungen.

2020 war ein Jahr der Extreme. Der Schweizer Film feierte Erfolge an Festivals trotz Corona und schreckliche Niederlagen an der Kinokasse wegen Corona. Mit «Schwesterlein» war zum Beispiel nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder ein Film im Wettbewerb der Berlinale eingeladen, aber wegen der Pandemie musste der Kinostart im Herbst abgebrochen werden. 

Im letzten Jahr fanden 75 % der Festivals weltweit online oder hybrid statt, 10 % wurden ganz abgesagt und nur 15 % konnten mit entsprechenden Schutzmassnahmen durchgeführt werden. Dieses Jahr beginnt auch nicht besser. Sundance sieht sich aus Gründen der Pandemie und des Geoblocking gezwungen, sich auf das US-Territorium zu beschränken. Die Berlinale wiederum wagt das Splitting: der Europäische Film Markt (EFM) wird Anfang März online durchgeführt, ein Festival mit Publikum soll im Juni stattfinden. 

Wie hängen Festivals, Märkte und Kinos zukünftig zusammen? Werden sich die Märkte von den Festivals emanzipieren? Werden Festi­vals ein Ereignis fürs lokale Stammpublikum und ein Online-Parallelbetrieb für Publika weltweit? Werden Kinos ihr gebrandetes Cinema-­On-Demand-Angebot weiter ausbauen müssen? Eins ist klar: die Pandemie beschleunigt die bereits angelegte Entwicklung. 

 

Die Schweiz fern vom EU-Markt

Es gab letztes Jahr Bestrebungen, eine europäische digitale Plattform aufzubauen, die den Marktbetrieb ganzjährig unterhalten und Filme kontinuierlich weltweit zum Kauf anbieten wollte. Die Idee wurde im Grundsatz begrüsst. Aber in der Umsetzung schlugen die europäischen Realitäten und Befindlichkeiten zu. Und die Schweiz? Sie hat die Grenzen abgesteckt, lebt fern vom EU-Markt, und das hilft auch nicht weiter. In Deutschland und Frankreich erlebte das Kino letztes Jahr einen Einbruch von rund 70 %. In beiden Ländern starteten 50 % weniger Schweizer Filme als in den Vorjahren. Wer sich nicht über Koproduktionen breiter abgesichert hat, hatte letztes Jahr international kaum eine Chance. Auf der anderen Seite hat Netflix letztes Jahr einen Zuwachs von 41 % verzeichnet und auch MUBI hat seine Zuschauerzahlen verdoppelt. Die gute Nachricht ist also: das breite filminteressierte Publikum ist noch da. Wir müssen es nur suchen gehen.

Ein Film ohne Publikum, ist wie ein Fisch ohne Schuppen. Er bleibt blass und schillert nicht in seinen vielen Farben, er reflektiert das Licht nicht mehr. Filme brauchen öffentliche Aufführungen. Persönlich glaube ich so wenig an den Niedergang des Kinos durch das Aufkommen der Streaming Plattformen wie an den Untergang des Buches durch den Bau von Kinos. Die zentrale Frage ist heute aber aktueller denn je: wie erreichen die Filme ihr Publikum – jenseits der Algorithmen der Streaming Plattformen. 

 

Fachleute mit digitalen Marketingkompetenzen gesucht

Man wird sich in Europa zukünftig deutlich mehr mit Impact und Outreach Producing auseinandersetzen und sich Fachleute mit digitalen Marketingkompetenzen ins Team holen müssen. Im nicht öffentlich subventionierten englischen Sprachraum ist diese Arbeit gang und gäbe. Auch in Europa gibt es inzwischen kompetente Agenturen, die geschickt in einem Mix aus On- und Offline den Film positionieren helfen. Denn Märkte bleiben trotz allem noch stark an Festivals gebunden und diese an Orte. Nachhaltiges Wirtschaften durch geschickte Analyse der Wirkungsketten, bessere Verwertung durch kluges Lobbying. Es ist nicht verboten, mit einem Film auch Geld verdienen zu wollen. Und nein, diese Fachleute machen den Inhalt nicht kaputt! Und ja, sie lieben das Arthouse-Kino Europas sehr und sie wissen, dass man mit Kreativität und Innovation auf allen Vektoren Festivals bespielen, Märkte erobern, Kinos beleben und Zuschauer gewinnen kann. Ist es nicht das, was wir alle wollen? 

 

Abschied von Swiss Films

«Schwesterlein» ist übrigens noch im Oscar-Rennen. Das wäre eine schöne Genugtuung für die beiden Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond und ihre Produzentin Ruth Waldburger, wenn der Film Anfang Februar eine Runde weiter und später nochmals ins Kino kommen könnte.

Für mich persönlich heisst es auch eine Runde weiterdrehen. Ich verlasse Swiss Films nach knapp acht Jahren intensiver und spannender Arbeit und mache ein Sabbatical. Ich danke den Filmschaffenden für ihr Vertrauen und ihren Mut und ihre Vision, beständig an der Kraft der Bilder für die Geschichten unserer Gegenwart zu arbeiten. Wir sehen uns im Kino wieder. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

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