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Ins beste Licht setzen

Teresa Vena
15. Mai 2024

Ausleuchtung über indirektes Licht. © Nevin Naduvathettu

Die optimale filmische Darstellung von nicht-weissen Hauttönen wurde lange aus technischen, aber auch politischen Gründen vernachlässigt. 

An der ZHdK fand im April ein zweitägiges Seminar statt, dass sich mit dem Thema «Lichtgestaltung und Belichtung verschiedener Hauttöne» beschäftigte. Auf theoretische Teile, die von mehreren Fachpersonen aus den Bereichen Kameraführung, Regie und Produktion betreut wurden, folgten praktische Übungen. Die Teilnahme am Seminar zielte in erster Linie darauf, technische Aspekte zu veranschaulichen und konkrete Herangehensweisen zu erproben. Es blieb aber nicht aus, dass die Aufgabenstellung auch gesellschaftskritische Fragen aufwarf. 

Wieso waren Kameras noch bis vor etwa fünfzehn Jahren gar nicht erst in der Lage, nicht-weisse Hautfarben realistisch wiederzugeben? Die dafür benötigte Technologie wurde nicht entwickelt, weil bei ihren potenziellen  Benutzern kein Bedarf dafür bestand. Weisse Vertreter der Kolonialmächte waren lange Zeit die einzigen, die überhaupt Film machten und dann schwarze oder dunkelhäutige Menschen inszenierten. Es war ihr von ideologischen Vorstellungen geprägte Blick auf ihre Objekte, der sich in den Bildern widerspiegelt. «Durch eine verschwommene Erscheinung der dunklen Haut wirkten die Personen unattraktiv, minderwertig», sagt Tsitsi Dangarembga, Autorin, Filmemacherin und Produzentin aus Zimbabwe. Das wollte man auch vermitteln. «Was wir sehen, entscheidet darüber, was wir denken». 

 

Die technischen Voraussetzungen

Dangarembga war, wie auch die deutsch-senegalesische Kamerafrau Diara Sow, Gast in Zürich. Sie sprachen während des Seminars, das unter der Leitung von Pierre Mennel, des Schweizer Kameramanns und Dozenten in der Filmabteilung der Hochschule, stattfand, über ihre Erfahrungen. Sow erklärte, dass «schwarze Haut mehr Licht absorbiert als helle». Um eine nuancierte Farbgebung zu erzielen und die Unterscheidbarkeit der Kontraste zu sichern, muss neben der Lichtsetzung auch die Belichtung angepasst werden. Das steuert man über den Kontrastumfang, oder Dynamikumfang, der bei einer Kamera in Blendenstufen angegeben wird. Mit einer Blende lässt sich die Lichtmenge, die durchs Objektiv fällt, bestimmen. Zu den avanciertesten Kameramodellen zählt die Alexa 35 von Arri, die über 17 Blenden verfügt. Die Zürcher Firma Cinegrell stellte der ZHdK für das Seminar ein Exemplar dieses Modells sowie eine analoge 35 mm-Kamera mit Negativmaterial zur Verfügung.

Pierre Mennel lobt den technologischen Fortschritt. Die entscheidenden Entwicklungen kamen um 2010 über Arri und den Durchbruch der digitalen Kamerasysteme auf, erklärt er. Die Anstösse, an einer stärkeren abbildlichen Differenzierung dunkler Farbtöne zu arbeiten, kamen in den 1970er Jahren aus der Werbebranche, erfährt man weiter im Seminar. Unternehmen wollten nicht mehr hinnehmen, dass Farbschattierungen von, beispielsweise, Schokolade oder Holzarten nicht zu unterscheiden waren.  

 

Den Aufwand nicht scheuen

Bis dahin, führt Diara Sow aus, dominierte die Technologie von Kodak. Diese nahm weisse Haut zum Standard. Die Darstellung von Hauttönen wurde mithilfe von Farbmusterkarten, berühmt als «Shirley Cards», nach dem ersten Model benannt, ausgerichtet. Bekannt ist, dass sich Jean-Luc Godard geweigert haben soll, auf seiner Reise in Mosambik Kodak-Film zu benutzen, weil er nicht ermögliche, dunkle Haut genau wiederzugeben. Die heute zur Verfügung stehenden technischen Mittel haben diese Einschränkungen überwunden. Dennoch halten sich in der Arbeitspraxis alte Gewohnheiten. «Die IRE-Werte sind veraltet», sagt Sow. Einstellungen sind zwischen 0 und 100 möglich, 70 IRE (Institute of Radio Engineers) galt bisher als Norm. 

Filme man Personen unterschiedlicher Hauttöne gemeinsam, gebe es weiterhin den Impuls, die Ausleuchtung für einen Hautton optimal festzulegen und die restlichen daran auszurichten. Der Rest definiert sich als ausserhalb der (weissen) Norm. «Diese Priorisierung ist gar nicht notwendig», erklärt Sow. Sicher bedeute die Suche nach einer optimalen Belichtung aller vorhandenen Hauttöne einen zusätzlichen Aufwand. «Man muss sich für die Vorbereitung mehr Zeit nehmen». Doch wenn man sich darüber einig werde, dass dies unumgänglich sei, werde es zum festen und nicht mehr infrage gestellten Bestandteil des Arbeitsprozesses. 

 

Unterschiedliche Beleuchtungswinkel im Test. © Pierre Mennel

 

Indirektes Licht und Reflexionen

Für Sow hat es sich bewährt, nicht mit direktem Licht zu arbeiten, sondern auf der dunklen Haut Reflexionen zu erzeugen. Mit glänzender Schminke und feuchtigkeitsspendenden Substanzen wird das Reflexionsvermögen der Haut unterstützt. Diese Lichtspiegelungen und Rückstrahlungen lassen sich beispielsweise mit der Verwendung von indirektem, weichem Licht und leuchtenden Flächen herstellen. Mithilfe  eines Polarisationsfilters («polarizer») können zudem Reflexionen kontrolliert werden. Bei nicht-professionellen Aufnahmen an wenig beleuchteten Orten – wie eine Bar – lässt sich für eine Person mit dunkler Hautfarbe folgende Empfehlung ableiten: Wichtig ist der Winkel, mit dem das Licht auf die Haut fällt. Flächiges und kantiges Licht modelliert die Haut am besten. 

Ein frühes Filmbeispiel einer attraktiven, gepflegten Darstellung dunkler Hauttöne ist Spike Lees schwarz-weisse Tragikomödie «Nola Darling» (1986), ein Meilenstein des US-amerikanischen «Black Cinema». 2017 hat Lee den Stoff für Netflix als Serie umgesetzt. Im selben Jahr erschienen auch die Serien «Atlanta» auf Disney+ und «Insecure» auf HBO, die als neue Referenzwerke für den Umgang mit verschiedenen Hautfarben betrachtet werden.

 

Der gesellschaftliche Kontext

Tsitsi Dangarembga erinnert daran, dass eine solche Entwicklung von einem gesellschaftlichen Wandel bedingt ist. Sie erinnert sich, wie sie als Studentin an der DFFB in Berlin einen Film über von afrikanischstämmigen Personen geführte Haarsalons drehen wollte. Der Professor weigerte sich zu akzeptieren, dass sie, selbst eine afrikanischstämmige Person, sich nicht mit existentiellen Diskriminierungs- und Elendsrealitäten afrikanischstämmiger Menschen auseinandersetzen wolle. Während des Seminars an der ZHdK hat Dangarembga ihren Kurzfilm «Kare Kare Zvako» («Muttertag») von 2004 vorgestellt. In diesem Shona-Märchen ermordet ein Mann seine Frau und verspeist sie, und diese rächt sich danach an ihm. Die Reaktionen auf die Geschichte waren bezeichnend für das, was Dangarembga als gesellschaftlich überlieferte, verankerte Konventionen und Vorurteile hält. Im Westen hatte man Angst vor dem Thema Kannibalismus, und Schuldgefühle gegenüber der möglichen Interpretation bestimmten die Rezeption des Films. Kannibalismus ist aber auch ein beliebtes Motiv des internationalen Horrorfilmfachs. Bei weissen Protagonisten und «weissen» Handlungsräumen käme kaum einer auf die Idee, das rassistisch zu belasten.

So führt Dangarembga uns auf unsere von einer weissen Norm bestimmte Denkweise zurück. Das Gefährliche am Begriff «Diversität», beispielsweise, sei, dass er für eine Kategorie stehe, in die alles, was «anders» sei, hineingepackt werde. Auch vor Künstlicher Intelligenz habe man sich in Acht zu nehmen. Sicher sei es in Bezug auf das Grundthema des Seminars, die Lichtgestaltung von verschiedenen Hauttönen, mittlerweile auch möglich, einiges in der Postproduktion zu verbessern, doch Algorithmen folgen bestimmten Werten. Die Onlineapplikation «Face Depixelizer», die verpixelte Bilder wieder scharf stellt, wandelt Fotos von dunkelhäutigen Personen hartnäckig in weisse Gesichter um. Mehrere Tests mit Bildern von Barack Obama haben im Internet darauf aufmerksam gemacht: «Dies ist ein Beispiel für eine tief verwurzelte rassistische Voreingenommenheit der Algorithmen, die entsteht, wenn die Datensätze, mit denen die Algorithmen trainiert werden, hauptsächlich aus weissen männlichen Gesichtern bestehen». 

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