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Editorial

Wie viel Kunst verträgt die Schweiz?

 

Schweizweit fehlt es an Fachkräften. Über 100’000 Stellen seien aktuell unbesetzt, so viele wie vor zwanzig Jahren zum letzten Mal. Diese Zahl errechnet sich aus dem Bedarf verschiedener produktiver und dienstleistender Branchen wie dem Gesundheitswesen, der Informatik oder dem Baugewerbe. Auch auf dem Filmarbeitsmarkt soll es vor allem in den technischen und organisatorischen Berufsgruppen an allen Ecken an Personal mangeln. Bisher lässt sich dies aber nicht beziffern, und so bleibt man in der Diskussion über Ursachen und Ausmass des Problems im Rahmen der Spekulationen. Dazu kommt, dass zwar mehrere regionale Verbände mit Initiativen, wie etwa Filmstaff oder Futur Audiovisuel Suisse, hervortreten, die über den Missstand informieren und dagegen angehen wollen, aber nicht von Anfang an gesamtschweizerische Lösungen angestrebt werden. Zum Verständnis der Situation wäre das aber von Nutzen.

Diese unsicheren Einschätzungen sind vermutlich einer der Gründe, weswegen eine Schlagzeile wie «Bildet die Schweiz zu viele Künstler aus?» (NZZ am Sonntag) solche Wellen schlagen konnte. Zu Wort meldeten sich die Betroffenen selbst, aber auch Vertreter verschiedener Ausbildungsstätten. Bildet man nun in der Schweiz den Bedürfnissen des Marktes entgegen aus? Was bedeutet das konkret auf den Film bezogen? Soll eine Kunsthochschule, neben den im engeren Sinn kreativen Berufen, auch eine bestimmte Anzahl an Tonmeistern und Tonmeisterinnen oder Beleuchtern und Beleuchterinnen sowie Aufnahmeleitern und Aufnahmeleiterinnen im Jahr hervorbringen? Wie viele braucht es genau, und wer garantiert, dass sie auch wirklich langfristig im Film arbeiten werden wollen? 

Für stabile Beschäftigungsverhältnisse sind die Bedingungen auf dem Filmarbeitsmarkt aber zu unsicher. Cinébulletin hat über NetzhdK im Rahmen der Alumni der ZHdK eine Umfrage durchgeführt. Die Teilnehmenden waren sich mindestens in dem Punkt einig, dass sie während des Studiums zu wenig über die praktischen Herausforderungen des Marktes erfahren hätten. Sie gaben an, dass sie mehr rechtliches Grundwissen und Kenntnisse über berufliche Versicherung hätten vermittelt haben wollen. Die überschaubare Zahl an Teilnehmenden lässt keine weiteren Schlüsse zu. Es heisst aber hier beharrlich sein, denn diese Perspektive scheint zu wesentlich, um weiterhin vernachlässigt zu bleiben.

So stehen vorerst die Lehrinstitutionen selbst im Vordergrund. Auch wenn sie in ihrer jeweiligen Ausrichtung im Einzelnen unterschiedliche Schwerpunkte setzen, zeichnet sich bei allen Leitenden ein starkes Bewusstsein für die Verantwortung ab, die sie als Ausbildungsstätte tragen. Eine grundsätzliche Flexibilität in der kreativen Ausbildung wird man aber bestimmt bewahren wollen. Sicher ist, dass ein Szenarium wie in Südkorea, wo Netflix angekündigt hat, als Sponsor der Filmakademie einzusteigen, um sich ihren Nachwuchs selbst heranbilden zu können, eher zu vermeiden ist. Die Schule soll nicht zur Fabrik werden. Es tut einem Land gut, auch Menschen zu haben, die über Angebot und Nachfrage hinaus Interesse an etwas entwickeln. 

 

Teresa Vena

Co-Chefredaktorin

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