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Artikel

«Wir haben kein Geld für eine komplette Digitalisierungsstrategie»


31. August 2015

Frédéric Maire, directeur de la Cinémathèque suisse, réagit aux critiques qui visent l’institution et parle de ce qui adviendra suite à la suspension du crédit d’infrastructure.

Frédéric Maire, Direktor der Cinémathèque suisse, nimmt Stellung zu Vorwürfen und sagt,
wie es nach der Sistierung des Infrastrukturkredits weitergehen soll.

 

Das Gespräch führte Valerie Thurner
 

Frédéric Maire, was bedeutet die Sistierung des zusätzlichen Infrastrukturkredits vom BBL über 6 Millionen für die Jahre bis zur neu terminierten Eröffnung von 2018?

Dass wir mindestens ein weiteres Jahr bis zur Eröffnung verlieren und weiterhin in den provisorischen Räumen arbeiten, und auch weiterhin zu wenig Platz für die digitale Archivierung haben.

 

Was sind die konkreten Massnahmen bis zum Jahresende?

Wir setzen uns im September mit dem BAK und dem Bundesamt für Bauten und Logistik an einen Tisch, sodass per 1. Januar 2016 die provisorische digitale Archivierung geklärt ist. Die Schwierigkeit ist, dass wir zwischenzeitlich nicht wissen, wann und ob die sistierten 6 Millionen wieder integriert werden. 

 

In der Stellungnahme der Cinémathèque wird kritisiert, dass dem Filmarchiv während der Finanzprüfung keine vorgängige Anhörung ermöglicht wurde, die man für den Jahresbericht hätte mitberücksichtigen müssen.

Ja, sie haben uns scheinbar vergessen. Sie haben uns beim ersten Treffen zusammen mit dem Stiftungspräsidenten Marc Wehrlin und dem neuen Leiter Finanzen und Administration angekündigt, uns zu gegebenem Zeitpunkt wieder zu konsultieren. Aber sie sind nie mehr auf uns zugekommen. Man hätte Missverständnisse bereinigen können, wie dasjenige zum Stand der Archivierungsstrategie.

 

Wie antworten Sie auf die massiven Vorwürfe in den Medien, Sie hätten die Zeichen der Zeit zu spät erkannt, um digital umzurüsten? 

Ich war der erste in der Schweiz, überhaupt, der eine digitale Vorführung an einem Festival wagte. 2006, noch zu meiner Zeit als künstlerischer Leiter am Locarno Filmfestival, zeigte ich eine japanische CGI Animation auf der Piazza Grande in einem digitalen Format. Als ich 2009 den Direktorenposten der Cinémathèque übernahm, veranlasste ich – zusammen mit unseren Bereichsleitern, einer französischen Beratungsfirma und der Europäischen Vereinigung der Filmarchive – unverzüglich Recherchen, um herauszufinden, was andere Filmarchive für Strategien entwickelten. Das Projekt wurde Ende 2012 beendet und umfasst zwei Bundesordner, die dem BAK sowie dem BBL seither vorliegen. Dies machte es nötig, den Archivbau anzupassen. Es ist nachvollziehbar, dass der Bund nicht sehr glücklich war, ein bereits laufendes Projekt während des Prozesses noch zu modifizieren. 

 

Was genau beinhaltet denn diese digitale Strategie?

Die Speicherung erfolgt heute in einer LTO-Library, 1,5 Petabyte pro Jahr etwa. Und wir haben Server, die die Datenbewirtschaftung ermöglichen, das sind rund 800 Terabyte. Das Backup geschieht heute nur mit auf Regalen gelagerten LTO-Bändern. Künftig möchten wir ein Backup mit einer zweiten LTO-Library. Für die definitive Lösung wären auch bauliche Anpassungen durch das BBL nötig, jedoch sind die dafür benötigten 6 Millionen Franken aufgeschoben worden.

 

Bisher wurde in der Deutschschweiz da und dort die Kommunikation als unzulänglich empfunden. Woran liegt das?

Weil bisher nicht alles mit dem BAK abgesprochen war, haben wir vielleicht zu lange zugewartet. Wir werden nun aber im September Informationsveranstaltungen für Produzenten-, Techniker- und Regieverbände sowie die Postproduktion organisieren. 

Was ist das Ziel dieser Treffen?

Missverständnisse bei Bedarf zu klären und zwar in beiden Bereichen, sowohl auf politischer Ebene mit dem Bund, wie auf technischer Ebene den Workflow von der Postproduktion bis zur Archivierung. Da geben wir zu, dass wir vielleicht gewisse Bedürfnisse nicht klar genug erkannt haben. Dazu kommt, dass wir psychologisch und geografisch weit weg sind, und viele deshalb nicht wissen, was wir in Lausanne und Penthaz genau machen. Dazu kommt, dass einige Leute falsche Informationen verbreiten, schlicht Unwahrheiten. 

 

Auf den Festplatten der Cinémathèque sollen sich gemäss Medienberichten nur etwa 1ʼ000 digital gespeicherte Filme befinden, «eine irritierend bescheidene Zahl», schreibt die NZZ in ihrem Artikel vom 6. August.

Der Artikel verwechselt die Zahl digital archivierter und die Anzahl der als Filmnegative archivierten Schweizer Filme, die digitalisiert sind. Wir haben keinen Cent für eine komplette Digitalisierungsstrategie, obwohl in der Kulturbotschaft festgehalten ist, wie wichtig die Digitalisierung ist. Wir haben lediglich Geld für Rettungsmassnahmen von gefährdeten Beständen, 475'000 Franken im Jahr. Die bislang einzige Finanzierungsmöglichkeit mit weiteren Fördergeldern kommt aktuell vom Fonds Suissimage. Genau genommen archivieren wir momentan jährlich hundert Schweizer digitale Produktionen, digitalisieren etwa fünfzig analog gedrehte Filme, inklusive Kurzfilme. Suissimage übernimmt etwa zehn Filme, den Rest digitalisieren Produzenten und Regisseure selbst. Auch für die kommenden Jahre sind keine BAK-Gelder für die Digitalisierung von Schweizer Filmen vorgesehen.

 

Wie ist ihre Haltung gegenüber der Direktive des BAK, sich innerhalb der Leistungsvereinbarung 2016-19 in erster Linie auf Helvetica zu fokussieren und Schweizer Filme internationalen Produktionen vorzuziehen?

Unsere zentrale Mission war immer schon, das Schweizer audiovisuelle Kulturerbe zu bewahren. Das ist nichts Neues. Es geht jetzt um Feinabstimmungen und Abgrenzungsfragen. Beispielsweise welche Priorität ein in den Schweizer Bergen gedrehter James Bond-Film hat, im Vergleich zu einem Schweizer Film, der ohne öffentliche Gelder realisiert wurde. Dieser Prioritätenkatalog besteht bereits bei unserer Sammlungsaktivität und wird bis Ende Jahr auf unserer Webseite einsehbar sein. 

 

Soeben wurde am Filmfestival Locar­no mit Hilfe der Cinémathèque eine Retrospektive von Sam Peckinpah präsentiert. Würden solche Projekte wegfallen, bei einer engen Auslegung von Helvetica?

Nein, die Eingrenzung betrifft nur Neuanschaffungen ab 2016. Wir behalten aber nach wie vor auch Filme, die ausser ihrer hiesigen Auswertung keinen Schweiz-Bezug haben. Die Peckinpah- Retrospektive dieses Jahr in Locarno wäre ohne CS zum Beispiel nicht möglich gewesen. 

 

Bei der Auftragsvergabe an Dritte war die Cinémathèque gemäss der Prüfung auch nicht transparent genug, das schürt Missmut bei Schweizer Anbietern.

Memoriav kennt hier die Auftragssituation genau. Ich habe keine Probleme, diese weiter offen zu legen. Man muss aber auch hier sehr genau unterscheiden. Es gibt Aufträge, die von der Cinémathèque und Memoriav bezahlt werden, aber es gibt auch Aufträge, die von Regisseuren selbst finanziert werden, wir geben ihnen einfach das Material heraus. Und wenn diese entscheiden, die Arbeiten im oft billigeren Ausland zu tätigen, was sollen wir hier tun? 

 

Es wird aber auch bemängelt, dass keine offene Debatte in der Fachwelt gesucht wird.

Das ist nicht ganz korrekt. Wir machten sehr wohl Präsentatio­nen und luden zum Tag der offenen Tür, wo die ganze Branche eingeladen war. Wir waren immer völlig transparent. Wir verstecken keine Informationen, aber es kommen einfach immer «the usual suspects».

 

Schweden wird für eine umfassende Digitalisierung immer wieder als Vorbild genannt.

Das Schwedische Filminstitut erhielt einen Kredit über ­5 Millionen Euro für die Digitalisierung von 500 Filmen – 100 pro Jahr. Sie errichteten damit die Infrastruktur, sodass sie nun fast alle Arbeiten inhouse erledigen können. Ich blicke neidisch auf Schweden.

 

Sowas ist in der Schweiz nicht denkbar?

Nein, würden wir alles in Penthaz erledigen wollen, wäre das nicht gut für die Schweizer Unternehmen, die auf Digitalisierung spezialisiert sind. 

 

Müsste bei der Archivierungsstrategie nicht der Standort Schweiz entsprechend geschützt werden, genauso wie bei der Herstellung?

Die Schweiz kann bei fehlenden Finanzierungsmodellen gar keinen Markt aufbauen. Es braucht natürlich mehr Aufträge, sonst kann hierzulande gar nie ein Know-how aufgebaut werden. Ich wäre der erste, der alles in der Schweiz restaurieren und digitalisieren liesse, wenn hier die gleichen Kompetenzen vorhanden wären wie im Ausland. Es ist für uns doch viel einfacher, in der Schweiz Aufträge zu erteilen, aber die Professionalität muss den internationalen Standards entsprechen. 

Warum halten Sie bei der Langzeitarchivierung an der Lösung «retour sur pellicule» fest, statt digitalen Strategien zu vertrauen?

Im Moment ist das Ausbelichten auf Film, eben das «retour sur pellicule» – zusätzlich zur digitalen Archivierung – einfach die verlässlichere Lösung. Sogar ein Filmarchiv von der Grösse der National Library of Archives in Washington D.C. hatte bei jeder Migration mindestens einen Bug zu beseitigen. Das ist ebenfalls ein nicht absehbarer Mehraufwand. Die Ausbelichtung wäre ausser­dem auch eine Möglichkeit, dass das letzte fotochemische Labor in der Schweiz, Cinégrell, überleben kann. Das wäre durchaus ein Markt.

 

Trotzdem hat der Bundesrat 2013 dieses Programm gestoppt. Was wurde zwischenzeitlich unternommen? 

Nichts.

 

Wann wird die CS eine Multimediaplattform führen?

Das ist zur Zeit auch noch nicht umsetzbar, solange wir das System noch nicht aufgesetzt haben. Das einzige, was momentan zugänglich ist, ist unser Distributionskatalog.

 

Ist denn der Verleih von Filmen, wie Sie es ab und an tun, nicht eine Verzettelung der Resourcen? 

Nein, es ist auch eine Möglichkeit, Einnahmen zu generieren, und dies ist auch historisch gewachsen aus der Schweizerischen Filmclub-Kultur, die für nichtkommerzielle Vorführungen die Lizenzen kaufen. Und heute sind die herkömmlichen Verleiher – bis auf Ausnahmen – ausschliesslich an Neustarts interessiert. Wir haben hier eine Grauzone legalisiert, damit die Programmkinos keine teuren Lizenzen von den World Sales kaufen müssen. Ohne die Cinémathèque wäre diese Vielfalt in der Kinolandschaft und bei Festivals so nicht möglich. 

 

Inwiefern behindert unser politisches System den Übergang ins digitale Zeitalter? 

Wir brauchen schnelle Entscheide. Weil wir nicht so im öffentlichen Interesse standen, waren auch wir etwas zu wenig aktiv. Durch die vielen Wechsel innerhalb des Bundesamts für Kultur waren wir stets etwas unsicher, in welche Richtung das BAK gehen würde. Und umgekehrt hatte Frau Kulturministerin Chassot gleich bei ihrem Amtsantritt den Prüfbericht der Finanzkontrolle vorliegen, was den Prozess sicherlich nicht vorangetrieben hat. 

 

Das Gespräch wurde auf Englisch geführt

 

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