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Ein Labor für junge Filmjournalisten


29. Juli 2015

Chaque année, dix jeunes journalistes de cinéma se perfectionnent avec l'aide de critiques professionnels. Passage en revue des origines du projet ainsi que du quotidien des jeunes critiques pendant le festival.

In der Critics Academy von Locarno werden jedes Jahr zehn junge Filmkritiker von Profis weitergebildet. Wie die Idee aufkam, weshalb das Förderprogramm Sinn macht und wie die Mentoren der Jungkritiker den Festivalalltag erleben.

Von Kathrin Halter

Über Filme schreiben wollen viele. Und tun es auch, wenn man sich die vielen Blogs vor Augen hält, die angeboten werden. Überschaubarer wird es bei den arrivierten Printmedien samt ihren Online-Ausgaben: Da decken immer weniger Journalisten immer grössere Sprachregionen ab; sich da als Nachwuchskritiker(in) zu etablieren, ist extrem schwierig geworden, seit die Verlage von einer Sparrunde in die nächste ziehen.

Umgekehrt hat der Abbau in den Redaktionen zu einem Mangel an kompetenten jungen Filmjournalisten geführt. Dies jedenfalls befürchtet Christian Jungen, Kulturredaktor der NZZ am Sonntag und Präsident vom Schweizer Verband der Filmjournalisten (SVFJ). Man habe festgestellt, dass bei den Filmkritikern quasi die Nachwuchsgeneration fehle, junge Blogger zudem meist «ohne jede Anbindung ans cinephile Milieu» seien – womit Jungen auch auf den Besuch von Filmfestivals wie Locarno anspielt.

Jedenfalls wollte der Verband den Kritikernachwuchs fördern – und fand sich in diesem Anliegen mit dem Filmfestival Locarno, von dem die Initiative zur Critics Academy ausging. Es sei auffallend, dass es für junge Journalisten immer weniger Möglichkeiten gäbe, in Printmedien über Festivals zu berichten, und so habe man angesichts der Krise etwas tun wollen, sagt Giulia Fazioli, Koordinatorin der Critics Academy beim Filmfestival Locarno. Im übrigen gäbe es an Festivals wie Rotterdam oder Berlin seit Jahren vergleichbare Förderprogramme.

Seit 2011 nun wird die Critics Academy im Rahmen der Summer Academy von Locarno angeboten. Dabei werden jeweils zehn Nachwuchskritiker(innen) – vier aus der Schweiz sowie sechs aus anderen Ländern – von erfahrenen Filmjournalisten während des Festivals begleitet und weitergebildet. Dieses Jahr sind dies Florian Keller von der WOZ, Stéphane Gobbo von L’Hebdo, Ruedi Widmer, der Leiter des Studiengangs Kulturpublizistik an der ZHdK sowie Stefan Gubser von der Plattform cineman.ch. Hinzu kommen zwei renommierte englischsprachige Autoren: Eric Kohn von der amerikanischen Plattform Criticwire sowie Eugene Hernandez von der Film Society des Lincoln Center in New York – Kontakte, die das Festival möglich machte. Die Mentoren wählen, aufgrund von Arbeitsproben, auch die Teilnehmer aus. Die Altersbeschränkung liegt bei plus minus Dreissig.

Wie gross das Bedürfnis nach dem Förderangebot ist, zeigt sich an der Nachfrage: Jährlich gibt es im Schnitt über 100 Bewerbungen. Trotz schlechter Bezahlung für freischaffende Journalisten und fehlender Arbeitsplätze ist es für viele eben immer noch attraktiv, über Film zu schreiben. Und auch darum geht es bei dem Projekt: in der «uferlosen Bloggersphäre» (Jungen) jene zu finden, die wirklich Talent haben.

 

Topshots der Branche erzählen

Wie aber sieht der Festivalalltag für die Schweizer Teilnehmer und Mentoren aus – falls man da überhaupt von Alltag reden kann? Hans Jürg Zinsli, Redaktor bei der Berner Zeitung, war die letzten beiden Jahre als Mentor mit dabei, ebenso Ruedi Widmer von der ZHdK. Wie haben die beiden die Arbeit mit den Nachwuchskritikern erlebt?

In der ersten Hälfte des Festivals beginnt der Tag jeweils mit einem zweistündigen Workshop. Diese werden von Eric Kohn und Eugene Hernandez kuratiert. Themen sind Textsorten und Arbeitsweisen im Filmjournalismus; hinzu kommen ganz praktische Tipps etwa fürs Bewerben oder das Akquirieren von Aufträgen.  Journalisten von Variety oder Screen, «Topshots der Branche» (Zinsli), vermitteln den Teilnehmern Einblick in ihre Arbeit sowie einen Begriff davon, wie die (internationale) Filmbranche funktioniert. Hinzu kommen - naheliegenderweise - Begegnungen mit Filmschaffenden und Teilnehmern der Industry und der Filmmakers Academy; auch Carlo Chatrian hat schon von seiner Arbeit erzählt.

 Parallel zum internationalen Teil der Workshops beginnt die eigentliche Arbeit: An einer Art Redaktionskonferenz werden Themenvorschläge diskutiert und Deadlines festgelegt. Dabei sollen die Nachwuchskritiker möglichst viele Textsorten ausprobieren: Von Filmkritiken, Berichten von Pressekonferenzen und Interviews bis hin zu Porträts, Glossen und Kommentaren. Im Verlaufe des Tages folgt die Arbeit am Text: alle Beiträge werden von den Mentoren gegengelesen und redigiert. Die Texte der Schweizer, mindestens ein Blogeintrag täglich, werden – deutsch- oder französischsprachig - auf Cineman.ch publiziert; die anderen Teilnehmer schreiben auf Englisch für Criticwire oder Filmcomment. Das bedeute, dass jede(r) Teilnehmer(in) im Schnitt alle zwei bis drei Tage einen Text verfasst.

Die Stimmung unter den Jungen sei sehr gut gewesen und die Arbeit mache Spass, sagt Zinsli, obwohl das Programm sehr streng sei und viel verlangt werden: Gearbeitet wird quasi rund um die Uhr, wie üblich an Festivals. Für Zinsli bedeutete dies zum Beispiel, dass er daneben noch sein Berichterstatter-Programm für die Berner Zeitung bewältigen musste; alles zusammen sei schon «sehr nahrhaft» gewesen.

Beglückend war die Erfahrung für die junge Westschweizerin Pascaline Sordet: Die Nachwuchskritikerin war jedenfalls angetan von der letztjährigen Ausgabe der Academy (siehe dazu den separaten Text). Auch der Berner Walter Rohrbach spricht von einer sehr intensiven Erfahrung, die zugleich grossen Spass gemacht habe. Am meisten habe er über die Berufspraxis, über Arbeitsweisen und -bedingungen erfahren.

Als man Zinsli noch fragt, ob die Mentoren auch bezahlt würden für ihre Arbeit, lacht er auf: Aber nein, man tue das aus Freude an der Sache, um etwas mitzugeben.

Auch Ruedi Widmer von der ZHdK, der seit letztem Jahr mit dabei ist, hält die Sommerschule für «eine sehr gute Sache»: Das sei eine «echte Nachwuchsplattform» für Filmpublizistik, in der man auf exemplarische Weise den Dialog mit Praktikern führen könne; auch ihm persönlich bringe die Mitarbeit viel.  

 

Keine Texte mehr für Pardo Live

Und wie gelingt der Austausch mit den Englischsprachigen? Laut Zinsli sind die «Critics» sowieso häufig zusammen; man trifft sich an Workshops, übernachtet am selben Ort (in der Jugendherberge) und isst oft gemeinsam. Dennoch bewegten sich Teilnehmer, durch die Schreibsprache getrennt, jeweils auf zwei «Umlaufbahnen».

Nicht ganz einig sind sich die Mentoren über die englischsprachigen Partnerschaften. Christian Jungen, selber während dreier Jahre Mentor, bezeichnet diese «gewissermassen als Fluch und als Segen»: Einerseits gewinne die Academy durch die renommierten Kollegen sicher an Qualität; Eric Kohn, «ein Jungstar der amerikanischen Filmkritik», sei nicht nur ein toller Journalist, sondern biete auch immer wieder interessante Gäste auf. Allerdings sei es für Schweizer fast immer eine Überforderung, in Englisch zu schreiben.

Etwas anders sieht das Ruedi Widmer: Er finde, in einem globalisierten Medienkontext müsse man diese Chance «suchen und packen». Wer sich in der Publizistik engagiere, müsse heute doch eigentlich auf Englisch schreiben können – und verweist auf Pascaline Sordet, die von sich aus für Indiewire schreiben wollte. (Was sie dann auch getan hat). 

Trotzdem ist die Zusammenarbeit mit Pardo Live vor drei Jahren aufgegeben worden, weil die Texte für die Festivalpublikation immer zuerst ins Englische übersetzt werden mussten. Es gab aber auch einen Interessenskonflikt: verständlicherweise wollte das Festival keine Verrisse von Wettbewerbsbeiträgen auf der festivaleigenen Website publizieren. So kam cineman.ch als neuer Partner mit ins Spiel: als Ersatz für Pardo News und zudem als eher niederschwelliger Einstiegsort für Jungjournalisten.

Trotzdem fragt man sich, ob die Akademie nicht mit weiteren Publikationen oder Plattformen aus dem deutsch-, französisch- oder italienischsprachigen Raum zusammenspannen könnte. Begrüssen würden dies jedenfalls alle, auch die angefragten Jungkritiker. Das Festival denkt auch schon in diese Richtung: Giulia Fazioli sagt, man könne sich vorstellen, das Angebot auf weitere Sprachen respektive Sprachregionen ausdehnen, etwa das Spanische.

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