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Elmer und die Arbeit der Imagination


31. August 2015

Kathrin Plüss est monteuse. Elle travaille actuellement sur le long métrage documentaire de Werner Schweizer « OFFSHORE – Elmer et la fin du secret bancaire ». Portrait.

Kathrin Plüss ist Cutterin. Gegenwärtig arbeitet sie an Werner Schweizers Dokumentarfilm
«Offshore – Elmer und das Ende des Bankgeheimnisses». Ein Werkstattporträt. 

 

Von Kathrin Halter

Cutter müssen zweifach schauen: ihre Arbeit aus ihrer Erfahrung heraus betrachten wie aus der Sicht des Regisseurs; selbständig entscheiden und sich zugleich vom Drehbuch leiten lassen; die Struktur im Kleinen (die einzelne Szene) wie im Grossen (den Erzählbogen des ganzen Films) erfassen. Und oft besonders viel an Ungewissheit aushalten, denn gerade Dokumentarfilme entwickeln sich oft unabsehbar, das hat Kathrin Plüss schon oft erlebt.

So ergeht es ihr auch bei «Offshore – Elmer und das Ende des Bankgeheimnisses»: Bei diesem Film verlaufen Recherche, Montage und Dreharbeiten nämlich parallel. Während Plüss also schon schneidet, erhält sie immer wieder neue Aufnahmen, die ausgewertet und eingeordnet werden sollen. «Wenn man an einem Projekt arbeitet, das bereits während der Dreharbeiten geschnitten wird, erleben wir am Schnittplatz alle Überraschungen und Umstürze mit. Das ist ungeheuer spannend und zugleich angsterregend», schreibt mir Kathrin Plüss im Juni.  

Dabei ist ihr gerade dieses Projekt besonders wichtig: Ein Dokumentarfilm über Rudof Elmer, den bekanntesten und doch so unscheinbaren Whistleblower der Schweiz. Ein «Nestbeschmutzer», von den einen (vor allem im Inland) verfemt und als rachsüchtig hingestellt, von den anderen (vor allem im Ausland) zum Helden stilisiert. 

Genauso wie Werner Schweizer liegt Kathrin Plüss sehr daran, dass daraus ein fesselnder, politisch scharfer Film wird. Kein einfaches Unternehmen, will man der komplexen Thematik gerecht werden, ohne ins Didaktische abzugleiten. Werner Schweizer formulierte es in einer Eingabe einmal so: «Ein Dokfilm über Bankgeheimnis, Offshore-Banking (...) ist, sagen wir es positiv, visuell und ästhetisch eine Herausforderung. Aber im Fokus des Films stehen nicht die abstrakten Mechanismen (...) der Steuervermeidungspraktiken – sondern das menschliche Drama.»
 

Ein entwurzelter Mensch

Drehbeginn war im September 2014, im Oktober hat Kathrin Plüss mit ihrer Arbeit begonnen. Als ich die Cutterin Ende März zum ersten Mal in ihrer Zürcher Wohnung besuche, arbeitet sie (mit Unterbrüchen) also schon seit über einem halben Jahr an «Elmer». Zwar gibt es auch bei Dschoint Ventschr, der Produktionsfirma, einen Schneideraum, doch Plüss arbeitet gern bei sich zuhause, da das Projekt immer wieder stockt. Bei Dokumentarfilmen sei das an sich nicht ungewöhnlich, sagt sie, da dauert das Schneiden fast immer länger als beim Spielfilm, wo man normalerweise konzentriert am Stück arbeitet, auch weil das Geld nach verschiedenen Abnahmen in Tranchen ausbezahlt wird. 

Gerade ist Schweizer für 14 Tage in die USA gereist, um Archivmaterial zu sichten und so mehr vom Druck vermitteln könnten, den die Amerikaner auf das Bankgeheimnis ausüben. Zudem trifft er einen US-Filmemacher, der vor vier Jahren ein Porträt über Elmer drehen wollte. Jetzt wartet man auf seine neuen Ideen, wenn er aus den USA zurückkehrt. 

Wie vertraut Plüss mit dem Protagonisten ist, merkt man im Gespräch schnell – kein Wunder auch, schliesslich hat sie sich schon Dutzende Stunden Elmer-Interviews angeschaut und auch viel gelesen. 

Wie Schweizer begreift sie Elmer als ambivalente Figur: Einerseits als «Prototyp eines anständig korrekten Schweizers», der trotz steilem Aufstieg und Fall in vielem Kleinbürger geblieben ist, dabei sicher kein Linker und in seiner Rolle auch umstritten. Andererseits als Mann mit Mission, der viel zu sagen habe. Das Soziologische, Politische interessiert Plüss dabei weit mehr als eine psychologische Studie – soweit ist sie mit Schweizer einig. Unsicher ist sich Plüss zu diesem Zeitpunkt noch, wie sich die beiden Ebenen – Elmer und die Exkurse zum Schweizer Finanzplatz – interessant aufladen können. Vom Bankenplatz sollte man eigentlich mehr erfahren, findet Plüss, man sei noch am Aushandeln. 
 

Endloses Vorschlagen und Hinterfragen

Wie also definiert die Cutterin ihre Rolle? Welche Einflussmöglichkeiten, welchen Spielraum steht ihr im Zusammenspiel mit der Regie zu? Wie alle Cutter ist Kathrin Plüss erste kritische Zuschauerin, sein «kritisches Gegenüber», wie Schweizer sie einmal nennt (davon später mehr). Da bei «Elmer» kein detailliertes Drehbuch vorliegt, eher ein sich laufend entwickelndes Konzept, ist sie thematisch diesmal stärker involviert als etwa bei «Verliebte Feinde» (2012) oder «Von Werra» (2002), wo die Drehbücher bei Arbeitsbeginn schon mehr oder weniger geschrieben waren. Überhaupt bringt sie sich in ihrer Arbeit immer stark mit ein. Von Werner «Swiss» Schweizer hat Kathrin Plüss fast alle wichtigen Filme geschnitten; die beiden sind seit langem befreundet und stehen sich auch politisch nahe. Sich selbst bezeichnet sie als eine Vertraute, eine von seinen privilegierten Gesprächspartnern neben Mitarbeitern wie Martin Witz (dramaturgische Beratung und Ton) oder Carlotta Holy-Steinemann (Kamera). 

Ihre Arbeit beschreibt Plüss einmal so: «Swiss entwickelt Strategien und schleppt Material an. Ich nehme es in Empfang, verdaue es und spucke es in verdichteter Form wieder aus. Dabei erzähle ich ihm, was mir das Gesehene erzählt, was ich verstehe und was für ein Gefühl es in mir weckt. Ich sage ihm aber auch, was ich nicht verstehe, was mich langweilt oder was mir fehlt. In dieser Phase rezipiere ich ganz naiv, schwimme in meinen Eindrücken und stelle oft kindliche Fragen. Das Hin und Her ergibt unseren Dialog. Der ganze Montageprozess ist beim Dokumentarfilm ein scheinbar endloses Vorschlagen und Hinterfragen». 

Was das im Detail bedeutet, zeigt Plüss an ihrem Arbeitsplatz, zwei Bildschirmen, auf denen das Avid-Programm läuft: Auf dem einen eine Auflistung des Materials, das der Server zuliefert – gegenwärtig sind das geschätzte 30 Stunden Aufnahmen, Fernsehbeiträge und Dokumentarfilme Dritter inbegriffen. Auf dem zweiten Bildschirm der entstehende Film mit den verschiedenen Bild- und Tonebenen, darin gut sichtbar grüne und gelbe Markierungen. Statt zu transkribieren, hat sie Interviews diesmal mit so genannten Markern versehen, um später leicht auf bestimmte Stellen zurückgreifen zu können. Zur Übersicht dient Plüss eine Liste, auf der sie das gesamte Archiv­material inklusive Zeittafel aufgelistet und beschrieben hat. Hinzu kommen Notizen von Schweizer mit ersten Entwürfen von Texttafeln und Off-Kommentaren sowie eine Timeline, die zumindest den Überblick erleichtert: Sie hängt, ausgedruckt fast zwei Meter lang, im Schneideraum von Dschoint Ventschr und stellt Ereignisse im Leben Elmers der Entwicklung auf dem Finanzplatz gegenüber. 
 

Beste Momente und Inseln

Nach dem Auflisten kommt das Ausmustern: Bereits hat Plüss das ganze bisher vorhandene Material auf rund sechs Stunden reduziert. Wichtigstes Kriterium war immer die Suche nach den «besten Momenten», die Frage, wo Elmer möglichst authentisch wirkt, wo er möglichst pointiert formuliert. Wenn Plüss über Elmer spricht, klingt sie manchmal genervt, manchmal fast zärtlich: «Was immer er anhat, man hat das Gefühl, er ist verkleidet», sagt sie einmal über ihn und spricht von seiner «sozialen Entwurzelung». 

Während vieles noch unentschieden bleibt, arbeitet Plüss an sogenannten Inseln: Sequenzen, die sie schon schneiden kann, da sie vermutlich stehen bleiben werden und später leicht umgeschnitten werden können. Elmer auf den Caymans in den Neunzigerjahren ist so eine Insel. Seine Jugend. Oder seine Verhaftung. Da Werner Schweizer das gleiche Material zuhause auf einer Harddisk hat, kann ihm Plüss per Mail Sequenzen zukommen lassen, an denen sie gerade arbeitet (und umgekehrt). So diskutiert man szenische Varianten mit unterschiedlicher Wirkung. 
 

Bilder finden für Elmers Gegner

Wie wirkt zum Beispiel jene Szene, in der Elmer die Wohnung putzt, während er (im Off) von seinen Schwierigkeiten auf Cayman erzählt? Sie veranschaulicht – so kommt es Plüss vor – die konkrete Folge von Elmers Handeln: Er ist durch seinen «Verrat» an der Bank zum Hausmann geworden. Das spricht für die Aufnahme, doch merkt man das auch? Jedenfalls wird dieser Umstand deutlicher, wenn Elmer staubsaugt oder die Stühle auf den Küchentisch stellt als wenn er bloss Kaffee macht. Da Elmer gerne ausufernd erzählt, muss ihn Plüss immer wieder ins Off setzen, um seine Ausführungen kürzen zu können. Bildideen zu finden ist in diesem Projekt eine weitere Herausforderung – denn wie zum Beispiel stellt man Elmers Gegner, wie «die strukturelle Gewalt» vom Finanzplatz Schweiz visuell dar? 

Das kann in dieser Phase der Arbeit nur symbolisch gelingen: Plüss zeigt Aufnahmen aus der Zürcher Bahnhofstrasse mit Geschäftsleuten, die sie in einer Doppelbelichtung mit Spiegelungen aus Schaufenstern überlagert hat: Die Stilisierung hat den Vorteil, dass Personen unkenntlich werden, schafft auch ansprechende Stimmungsbilder. Aber genügt das? Kürzlich habe sie mit Swiss zum Beispiel über «Citizen Four», den Dokumentarfilm über Edward Snowden gesprochen; die Geheimdienstwelt sei schliesslich ähnlich obskur und schwer darstellbar wie der Bankenplatz. Als man Plüss bei diesem ersten Treffen noch fragt, ob sie manchmal das Gefühl habe, zu schwimmen, meint sie nur: «Das ist kein Gefühl, sondern eine Tatsache». Bei allen Fortschritten und Glücksmomenten in der Arbeit: Es ist jene Phase des Films, die ihr manchmal schlaflose Nächte bereitet. 
 

Produktive Reibungen

Beim zweiten Treffen mit Plüss Ende Juli ist auch Werner Schweizer dabei. Wir sitzen in einem Schneideraum bei Dschoint Ventschr und reden über ihre Zusammenarbeit, diesmal auch aus Sicht des Regisseurs.

Die Dinge sind inzwischen weiter gediehen: Das Elmer-Material hat man gemeinsam auf rund viereinhalb Stunden ausgemustert und mit Exkursen zum Schweizer Finanzplatz verwoben, und zwar möglichst so, dass sich die Archivteile mit den Elmer-Kapiteln produktiv reiben. Hierzu werde es noch Diskussionen mit weiteren Leuten geben. Schweizer schreibt nun weiter an seinen Off-Texten, täglich zwei bis drei Seiten, unterstützt von Plüss, die ihn auch zum Schreiben antreibt. 

Jetzt geht es noch darum, Anschlüsse zu finden und weiteres Archivmaterial einzuweben: die Achtziger-Bewegung zum Beispiel, als Elmer noch an der Bahnhofstrasse arbeitete und Swiss im Videoladen. Oder das neue Material, das Schweizer kürzlich aus den USA mitgebracht hat. Auch die Gespräche mit Elmer müssen weiter gekürzt werden. 
 

Sie sieht seine Fehler

Er brauche ein kritisches Gegenüber, sagt Schweizer, als man ihn nach der Rolle seiner Cutterin fragt. Dabei ist sie auch so etwas wie das Gedächtnis des Films: «Ich bin froh, dass mir Kathrin Vorschläge machen kann, weil sie das Material besser im Kopf hat als ich. Nach dem Drehen war ich relativ frustriert und konnte bestimmte Eigenarten Elmers nicht mehr sehen. Kathrin hat mir beim Ausmustern geholfen, dass ich wieder Vertrauen in das Material gewann. Zudem verschönert sie jene Stellen, die ich geschnitten habe; handwerklich bin ich nicht so versiert wie sie oder verliere mich in Details».  

Plüss wirke für ihn wie ein Spiegel oder ein Vergrösserungsglas, «denn sie sieht meine Fehler, merkt, wo ich nicht konzentriert zugehört oder eine Frage nicht präzise gestellt habe und überhaupt, ob etwas taugt». Am Anfang habe er darunter gelitten, «jetzt nehme ich das sportlich», sagt er noch und lacht. Dass sich seine «Sparringpartnerin» nicht nur leidenschaftlich für den Inhalt des Films interessiere, sondern auch viel darüber lese, sei nicht selbstverständlich. 
 

Dann sucht sie sich Allierte

Etwas von der Eigenart und der Dynamik beim Zusammenspiel zwischen Plüss und Schweizer begreift, wer ihnen beim Diskutieren zuhört. Während sich Plüss den Film vor lauter Details zeitweise nicht mehr vorstellen konnte, hatte Schweizer, wie er behauptet, immer eine klare Vision des Ganzen. Für ihn gab es immer nur bewegliche Details um ein festes Ganzes, das sich weitgehend aus der Chronologie der Ereignisse ergibt. Und während der Schnittprozess für Plüss eher langwierig verlief, erwidert Schweizer, er habe noch nie so schnell einen Film gemacht. (Schweizer: «Wir sind noch nicht mal ein Jahr dran, das ist für mich sensationell!», Plüss: «Wir sind noch nicht fertig...»). 

Als Schweizer en passant einen möglichen Schluss des Films skizziert, den er angeblich schon lange im Kopf habe, entfährt es Plüss: «Das ist DEIN Schluss?! Davon höre ich aber zum ersten Mal!» Sie suche eben jeweils Alliierte, wenn sie nicht einverstanden sei, «da muss ich dann halt kämpfen». Er sei manchmal eben ungeduldig und kryptisch, fügt Plüss noch an. «Aber ich habe Vertrauen, dass er nicht lockerlassen wird, bis der Film gut ist.» 

Ende September soll nun der Rohschnitt fertig sein, so dass sie während der Weinernte den Feinschnitt besorgen kann (Werner Schweizer ist bekanntlich auch noch Winzer!). Dass sie dann gestalterisch mehr als bisher visuell arbeiten kann, da nun das meiste Material vorhanden ist, darauf freut sie sich jetzt schon. Die schlaflosen Nächte aber, die gehen weiter. ­Bis zum Abspann.

 

Zu Kathrin Plüss: Kathrin Plüss wurde 1954 in Zofingen AG geboren. Die Cutterin arbeitet seit über dreissig Jahre in ihrem Beruf. Sie ist Mitglied beim Schweizerischen Filmtechnikerverband / Syndicat Suisse Film et Vidéo (SSFV), seit drei Jahren zudem im Vorstand von Cinébulletin. 2002 erhielt sie den Filmpreis der Stadt Zürich. Sie hat an den meisten Filmen von Werner Schweizer mitgewirkt; ihre letzte Schnittarbeit ist das für SRF entstandene Porträt der Zürcher Regisseurin Rahel Grunder über Emilie Kempin-Spyri, die erste Anwältin der Schweiz. Sie unterrichtet sporadisch und hat während 12 Jahren im Vorstand von Focal die Weiterbildung der Techniker mitkonzipiert. Kathrin Plüss lebt und arbeitet in Zürich und im Tessin. 

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