© Sabine Cattaneo
Wir haben viel mehr erreicht als ursprünglich geplant, und das Programm ist über die Jahre gereift. Zu Beginn konzentrierte es sich jedes Jahr auf eine andere Region der Welt. Zudem war es eine reine Kooperationsplattform, es ging also in erster Linie ums Geschäft. Seit 2016 fokussiert sich das Programm jeweils drei Jahre lang auf eine breitere Kulturregion. Mit dem Projects’ Hub, dem Producers’ Lab und dem neuen Directors’ Club bieten wir am Locarno Film Festival die Gelegenheit zum Austausch sowie Programme zur Projekt- und Karriereentwicklung und zur Vernetzung. 2019 wurden zudem ganzjährige Schulungs-, Beratungs- und Netzwerkprogramme eingeführt.
Sehr viele, denn mir war es wichtig, alle Erwartungen zu erfüllen. Unser Fokus bis 2024, Lateinamerika und Karibik, ist ein riesiges Gebiet. Wir reden hier von 22 Ländern, die oft als homogenes Ganzes betrachtet werden, doch das sind sie keineswegs! Meine ersten Recherchen zielten deshalb darauf ab, die wichtigsten Bedürfnisse zu identifizieren und dabei Verallgemeinerungen zu vermeiden. Der Einfluss Europas oder der USA ist je nach Region auch unterschiedlich. Mittelamerika zum Beispiel ist stark von den USA geprägt, Südamerika hingegen mehr von Spanien und Europa.
Unsere Mitarbeiter, die sich um die künstlerische Komponente kümmern, führen im Vorfeld intensive Gespräche mit jedem Produzenten und jeder Produzentin, die sich für ein Projekt interessieren. Uns ist es wichtig, für jedes Projekt und jeden Produzenten, bzw. jede Produzentin mit den bestmöglichen Partnern zusammenbringen. In unserer Sektion sind alle Genres vertreten.
Natürlich. Doch ich denke, wir lernen in dieser Hinsicht jedes Jahr dazu. Wir arbeiten mit Menschen, mit Kunstschaffenden, da gibt es immer Überraschungen. Zuweilen tut sich auch eine Kluft auf zwischen den Filmschaffenden und der internationalen Industrie, die oft auf Profit ausgerichtet ist. Wenn ein Filmemacher oder eine Filmemacherin noch nie mit diesem Umfeld konfrontiert war oder Rückmeldungen erhält, auf die er oder sie nicht vorbereitet war, kann das schwierig sein. Wir versuchen, solche potenziell verletzende Situationen zu vermeiden. Ich glaube jedoch, dass es immer eine Möglichkeit gibt, ein Projekt so zu präsentieren, dass es Anklang findet, ohne seine Essenz und seinen ursprünglichen Sinn zu verlieren. Dabei gehen wir sehr vorsichtig vor: Wir erklären der Industrie die Projekte so früh wie möglich und laden Fachleute ein, die eine besondere Affinität zur betreffenden Region haben. So sind zum Beispiel auch Produzenten und Produzentinnen darunter, die aus der Fokusregion selbst stammen und heute in Europa leben. Sie sind in der Lage, eine qualifizierte Rückmeldung zu geben. Das ist meiner Meinung nach der heikelste Punkt. Einige der Filmschaffenden werden zum ersten Mal in ihrem Leben mit Kritik konfrontiert.
Wir haben gewisse Ziele zu erreichen in Bezug auf die Förderung der Entwicklung von Film und Kultur in der Fokusregion. Diese Ziele werden mit der DEZA abgestimmt, gestützt auf einen Projektvorschlag unserer Mitarbeiter, der von der DEZA begutachtet und bewertet wird. Es handelt sich dabei stets um eine Kombination von Entwicklungszielen und künstlerischen Zielsetzungen. Wir müssen jedes Jahr einen Bericht und einen Aktionsplan erstellen, und wir kommunizieren direkt mit dem Verantwortlichen für Kultur und Entwicklung und mit jedem einzelnen Team über alles, was wir tun. Meiner Meinung nach funktioniert diese Zusammenarbeit ausgezeichnet, denn die DEZA hilft uns dank ihrer Vertretungen im Ausland, Kontakte in den jeweiligen Regionen zu knüpfen. Zudem sind die Förderbedingungen der DEZA öffentlich. Zu einem kleineren Anteil wird das Programm auch durch die Beteiligung des Festivals und spezifischer Partner jeder Ausgabe getragen.
Das offizielle Programm richtet sich in erster Linie an die internationalen Gäste, doch ich informiere die Schweizer Branche so früh wie möglich, wenn ich Möglichkeiten zur Zusammenarbeit erkenne, selbst wenn Koproduktionen zwischen der Schweiz und diesen Ländern nicht so einfach zu realisieren sind. Dank unserer Zusammenarbeit mit Visions Sud Est stammen zwei unserer Jurymitglieder aus der Schweiz. Zudem arbeiten wir eng mit dem Filmverleih Trigon zusammen, dem grössten Vertrieb für diese Art von Filmen, mit dem wir im vergangenen Jahr anlässlich unseres zwanzigjährigen Jubiläums einen Spielfilm gemeinsam vertrieben haben. Neun Schweizer Programmkinos beteiligten sich an der Initiative, indem sie ein Programm von Filmen zeigten, die in der Vergangenheit von Open Doors unterstützt wurden. Wir arbeiten auch regelmässig mit verschiedenen Schweizer Festivals wie den Internationalen Kurzfilmtagen Winterthur, Visions du Réel oder dem Festival International du Film de Fribourg zusammen.
Diese Fragestellungen sind wichtig, denn die Filmindustrie kann sehr toxisch sein. Den meisten Menschen ist dies nicht einmal bewusst. Doch wie gelingt ein Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben in einer Branche, in der Nacht- und Wochenendarbeit zur Tagesordnung gehört? Die neue Generation muss meiner Meinung nach verstehen, dass man sich vom Beginn der Karriere an die richtigen Fragen stellen muss, um sich ein gesundes Umfeld aufzubauen. Ich selbst habe vor drei Jahren einen schweren Burnout erlebt und möchte mich deshalb auch an den Gesprächen zu diesem Thema beteiligen. Das Ziel ist, möglichst viele Erfahrungen auszutauschen, um neue Energien freizusetzen. Zudem ist das übergeordnete Thema dieser ganzen Ausgabe Identität, die ja mit psychischer Gesundheit verbunden ist. Wir möchten durch künstlerische Aktionen mit Publikumsbeteiligung und Filmvorführungen das Augenmerk auf Personen mit sehr unterschiedlichen Identitäten richten.
Im Alter von zwölf Jahren träumte Zsuzsi Bánkuti davon, Regisseurin zu werden, entschied sich dann aber für eine Ausbildung zur Sportlehrerin. Während des Studiums entdeckte sie ihre Liebe zum Film wieder, «denn es gab viele gute Programmkinos in der Nähe meiner Schule in Budapest, und ich schaute mir mit Freunden zusammen jeden Tag Filme an.» 2000 begann Bánkuti ihre Karriere im Filmsektor als Leiterin im Einkauf und als Programmverantwortliche für die unabhängige Vertriebsgesellschaft Cirko Film in Budapest. 2007 wurde sie Leiterin im Einkauf bei Szuez Film und arbeitete als Beraterin für unabhängige Produktionen. Anfang 2012 zog Bánkuti nach Köln, um dort ebenfalls als Leiterin im Einkauf bei The Match Factory zu arbeiten. Dort war sie acht Jahre lang für einen grossen Teil der unabhängigen Filmproduktionen, den Vertrieb, die Festivals, die Marketingstrategie sowie die allgemeine Filmproduktion und -entwicklung zuständig. 2020 rief sie das «Cutting Edge Talent Camp» ins Leben, das sich am Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg auf deutsche Nachwuchstalente konzentriert. Seit 2020 arbeitet sie für die Sektion Open Doors des Locarno Film Festival, zuerst als Verantwortliche für Talententwicklung und seit 2022 als Programmverantwortliche. Zudem ist sie als Beraterin für internationale Strategie für das Doha Film Institute, das Torino Film Lab und Cinemart tätig.
Die Fragen stellte Adrien Kuenzy
28 Juli 2023
Die Fragen stellte Teresa Vena
28 Juli 2023