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Ein kleines Land mit grossen Ambitionen

Adrien Kuenzy und Teresa Vena
28. Juli 2023

© European Union, 2022 (CC BY-NC-ND 4.0) - sources: iStockphoto.com

Vor zehn Jahren wurde die Schweiz aus dem MEDIA-Programm – heute Creative Europe MEDIA – ausgeschlossen. Welche direkten Folgen hatte dies für die Filmbranche, und wie sind die Aussichten für die Zukunft?  

«Eine perfekte Verbindung zwischen Kultur und Industrie», so lautete 2013 der Titel des Editorials von Corinna Marschall, Leiterin von MEDIA Desk Suisse, im Bericht über die Schweizer Beteiligung am europäischen Programm zwischen 2006 und 2012. Das damalige MEDIA-Programm, heute Creative Europe MEDIA, bot den Institutionen und Fachleuten der Filmbranche bis zum Ausschluss der Schweiz 2014 viele Vorteile.

So unterstrich Felix Hächler, ehemaliger Mitinhaber der Vertriebsgesellschaft Filmcoopi aus Zürich, in einem Interview im gleichen Bericht von MEDIA Desk Suisse, in welchem Ausmass «diese Unterstützung es ermöglicht, die Produktion starker europäischer Filme zu fördern und gewagtere Werke mit grösserem künstlerischem Wert in die Kinos zu bringen. Sie federt das kommerzielle Risiko teilweise ab.» Das Programm kam allen Bereichen der Filmbranche zugute, von der Produktion über die Ausbildung und Vermarktung bis zur Verwertung. Einen Teil der Ausbeute schlägt sich auch in Zahlen nieder: Während dieser Jahre profitierten 111 Schweizer Institutionen von MEDIA-Finanzhilfen, und 250 Filmschaffende nahmen an Ausbildungen des Programms teil. Insgesamt flossen so jährlich vier Millionen Franken in die Schweizer Filmindustrie.

 Heute gleichen die MEDIA-Ersatzmassnahmen des Bundesamts für Kultur (BAK) in Zusammenarbeit mit MEDIA Desk Suisse den finanziellen Verlust für unsere Branche aus, doch durch unsere Nichtbeteiligung am europäischen Programm sind wir aus einem enormen Kompetenznetzwerk und informellen Wissensaustausch ausgeschlossen. Wie sehen unsere Zukunftsperspektiven im europäischen Netzwerk nach zehn Jahren Abwesenheit aus? Welche Gründe haben zum Ausschluss geführt, und welche direkten Folgen hatte er für die Filmbranche? Gemäss Laurent Steiert, stellvertretender Leiter der Sektion Film beim BAK, «war der Ausschluss der Schweiz 2014 eine Folge der Annahme der Volksinitiative gegen die Masseneinwanderung. Die Frage nach der Beteiligung der Schweiz am Programm von 2021 bis 2027 wurde noch nicht abschliessend geklärt, da sie eine Angleichung der Schweizer Gesetzgebung an die europäische Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) bedingt und unter Berücksichtigung der allgemeinen bilateralen Beziehungen zur EU bewertet wird.» Seit 2014 laufen Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen, das wirtschafts- und sozialrechtliche Aspekte wie Lohnschutzregeln und Bürgerrechte von Einwanderern (Unionsbürgerrichtlinie) beinhaltet und Voraussetzung für den Beitritt der Schweiz beispielsweise zum europäischen Strommarkt wäre. Schwierig also zu sagen, welchen Stellenwert die Kultur in diesem Kontext einnimmt.

 

Verlust-Gewinn-Rechnung

Unter den Schweizer Festivals, die finanzielle Förderung über MEDIA bezogen, waren das Fantoche und Locarno. Das Animationsfilmfestival erhält durch die Ersatzmassnahmen eine ähnliche jährliche Summe wie zu MEDIA-Zeiten, verbucht also keine Verluste. So verhält es sich auch bei Locarno. Hier fällt die Fördersumme aus den Ersatzmassnahmen sogar höher aus. Durch MEDIA kamen durchschnittlich 40’000 Franken zusammen, seitdem ist der Betrag auf 130’000 Franken für 2023 angestiegen. 

Die Kinos, die noch vor 2014 im Europa Cinemas-Netzwerk waren, sind nahtlos ins Ausgleichsprogramm von Eurimages übergegangen. Während MEDIA den EU-Ländern und den mit entsprechenden Abkommen assoziierten Ländern (wie Norwegen) vorbehalten ist, wird Eurimages vom Europarat verwaltet und inkludiert damit die Schweiz. Die Herstellungsförderung für Koproduktionen ist ebenfalls im Eurimages-Programm verortet und ist durch den Ausschluss aus dem MEDIA-Programm nicht betroffen.

Gibt es so gesehen überhaupt Einbussen für die Schweiz? Zwischen 2007 und 2013 hat die Schweiz durchschnittlich 5,8 Millionen Franken im Jahr ins MEDIA-Programm investiert. Ab 2014 sollten es 7,8 Millionen werden. In Schweizer Projekte sind, wie bereits erwähnt, etwa 4 Millionen im Jahr zurückgeflossen. Das Budget für die MEDIA-Ersatzmassnahmen beträgt für 2023 4,75 Millionen Franken. 

Rein rechnerisch war die Teilnahme an MEDIA teurer. Doch in Wahrheit ist die Schweizer Filmbranche dennoch ärmer dran als vorher. Die Verluste sind schwer genau zu beziffern, aber zweifelsohne über die pekuniäre Dimension hinaus von bedeutender Tragweite. Sie beziehen sich auf die Netzwerkbildung und den Wissensaustausch. 

«Filmkataloge sind mächtige Werkzeuge», sagt John Wäfler von Roadmovie, «sie bilden eine wichtige Grundlage für die Filmvermittlung in Europa». Über sie zirkulieren die Filme in Europa. Sind Schweizer Filme darin nicht oder schlecht vertreten, weil die Schweiz an der gemeinsamen Erarbeitung nicht beteiligt ist, fehlt den Werken ein entscheidender Promotionsmultiplikator.  

Im Vertrieb Schweizer Filme im Ausland schlägt sich der Mangel an standardisierten Filmrechteklärungen und löchrigen Strukturen ebenso nieder. «Wir zeigen nur wenig Filme aus der Schweiz, weil sie in Deutschland nicht sinnvoll verliehen und professionell ins Kino gebracht werden», bemerkt Wulf Sörgel, Verleiher und Betreiber des Moviemento sowie anderer Kinos in Berlin.

 

 

Auf Kurs bleiben

In einigen Bereichen hat die Schweiz auf jeden Fall gegenüber der Situation von 2014 nachgearbeitet. Sofern dies die Filmbranche betrifft, haben zwei entscheidende Anpassungen an die EU-Richtlinien stattgefunden. Die eine bezieht sich auf das neue Filmgesetz, das 2024 in Kraft treten wird. Mit der Einführung einer Quote von 30 Prozent für europäische Produktionen auf den audiovisuellen Plattformen konnte die Schweiz sich hier an die EU-Richtlinie angleichen. Mit der Verabschiedung der ebenfalls neuen Jugendschutzverordnung zieht die Schweiz auch in dem Punkt nach, in Bezug auf das audiovisuelle Angebot auf Abruf einen strengeren Schutz Minderjähriger durchzusetzen. «Es ist jedoch noch zu früh, um von einer vollständigen Angleichung zu sprechen, denn dies hängt von den künftigen Gesprächen zwischen der Schweiz und der EU ab», so Laurent Steiert.

Wie beim Projekt Horizon Europe, das den Austausch im Forschungsbereich fördert und die Schweiz als «Drittland» behandelt, entstehen durch den Ausschluss der Schweiz aus Creative Europe gewisse Probleme. Gemäss Stimmen aus der Branche ist die Wiederaufnahme der Schweiz in das europäische Programm ein Kernanliegen von Cinésuisse und den Produzentenverbänden. Für Thomas Tribolet, der als juristischer Berater für mehrere Filmverbände tätig ist, ist es unerlässlich, dass das derzeitige Förderbudget beibehalten wird und die Ersatzmassnahmen unbedingt weitergeführt werden, denn sie sollen auch dazu beitragen, eine Rückkehr der Schweiz zu Creative Europe MEDIA zu ermöglichen. «Mittels Cinésuisse stehen wir auch mit der Politik in Kontakt und sind natürlich bereit, alle Gelegenheiten zu nutzen, die sie sich uns bieten», so Tribolet. Und er ergänzt: «Wir werden weiterhin die zentrale Bedeutung und die wichtige Rolle einer Wiederaufnahme der Schweiz bei Creative Europe MEDIA betonen, nicht nur für die Filmproduktion, sondern auch für die Filmfestivals, für die es meiner Meinung nach ausschlaggebend ist, dass die Schweiz nicht als Drittland betrachtet wird.»

 Wie gross sind heutzutage die Chancen einer Rückkehr der Schweiz in diesen europäischen Raum? Laurent Steiert erinnert daran, dass der Bundesrat im Rahmen der Kulturbotschaft 2021-2024 bereits ankündigte, er werde die Beteiligung der Schweiz am neuen Programm prüfen: «Dieses Dossier ist von der allgemeinen Lage zwischen der Schweiz und der EU abhängig. Bevor wir es vorantreiben können, müssen deshalb zuerst institutionelle Fragen geklärt werden.»

Die neue Kulturbotschaft, die derzeit in der Vernehmlassung ist, bringt erneut eine Stärkung der Verbindung zwischen der Schweiz und ihrem internationalen Netzwerk zur Sprache. «Der Bund untersucht diese Fragestellungen regelmässig im Rahmen eines Gedankenaustauschs mit allen betroffenen Departementen. Technische Gespräche finden soweit nötig auch zwischen dem BAK und dem Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) statt», betont Laurent Steiert.

 

Ausblick

«Selbstverständlich muss die Branche ihre Bemühungen, den Wiedereinstieg bei Creative Europe MEDIA zu unterstützen, weiterführen, zum Beispiel, indem sie uns weiterhin konkrete negative Folgen des Ausschlusses für ihren Berufsalltag meldet», fügt Corinna Marschall an. «Das Ziel der MEDIA-Ersatzmassnahmen ist es, sicherzustellen, dass die Schweizer Branche für den (Wieder-)Einstieg ins Creative Europe MEDIA-Programm bereit ist. Darum wenden wir soweit wie möglich die Förderkriterien von Creative Europe MEDIA auch in der Schweiz an. Das aktuelle EU-Programm läuft bis 2027, eine neue Siebenjahresperiode beginnt 2028». 

Bis dahin stellt die neue Kulturbotschaft in ihrem aktuellen Entwurf den Erhalt der Ersatzmassnahmen in Aussicht, auch wenn ihr  Budget jährlich bestätigt werden muss. Die Massnahmen gelten in erster Linie weiterhin als Übergangslösung - da sie auch, gerade was verschiedene supranationale Regelungen des EU-Modells betrifft, wie in der Verleihförderung, nicht in Gänze kopiert werden können. So ist es vielleicht sinnvoll, je länger die Situation andauert, für die Schweiz einen eigenen Weg zu finden. Der könnte so ähnlich aussehen, wie in Grossbritannien, das nach dem Brexit 2021 den Global Screen Fund erschuf, um ein Werkzeug zu haben, das die internationale Zusammenarbeit in Vertrieb und Koproduktion ankurbeln soll. 

Andererseits zeigt Basel eindrücklich, was man bei entsprechender Motivation erreichen kann. «Wir wollen die Schweiz aus der Isolation holen, sie wieder besser mit der EU vernetzen», sagt Philipp Cueni, Vorstandspräsident von Balimage. Der Verein ist gleichwertiger Partner des CinEuro-Netzwerkes, welches sich über die Nachbarregionen in Deutschland und Frankreich dem Rhein entlang bis nach Belgien erstreckt. Das grenzübergreifende Projekt wird ab diesem Jahr als Austausch- und Koproduktionsforum mit dem Schwerpunkt Stoffentwicklung aktiv werden. Die Finanzierung ist durch die Mittel des EU-Fonds Interreg für regionale Entwicklung gesichert, auf Schweizer Seite durch die Mittel der «Neuen Regionalpolitik». Am Projekt sind die beiden Basler Kantone, Aargau und der Bund sowie zu 40 Prozent private Stiftungen und Balimage mit eigenen Ressourcen beteiligt. Diese Initiative reiche nicht als Ersatz für eine weiträumigere Teilnahme an EU-Filmförderprogrammen aus, sei aber eine Chance der Vernetzung, «die wir unbedingt wahrnehmen müssen», schliesst Cueni. Ein ähnliches Bedürfnis lässt sich auch in der Gründung von «Das Dach» ablesen. Dieser Produzentenallianz, initiiert von Zodiac Pictures, gehören Schweizer (zusätzlich Hugo Films), deutsche und österreichische Produktionsfirmen an. 

 

Zum Verhältnis der AVMD-Richtlinie der EU und der Situation der in der Schweiz die Einschätzung von Marina Piolino, Medienjuristin im Bundesamt für Kommunikation.

Das Schweizer Recht enthält mit dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) lediglich für das lineare Fernsehen umfassende Regelungen, während sich die AVMD-Richtlinie der EU auch auf audiovisuelle nicht-lineare Abrufdienste und Videoplattformen erstreckt. In der Schweiz werden nicht-lineare Formate aktuell nur punktuell geregelt, etwa für die Bereiche des Jugendschutzes und der Filmförderung, sobald die beiden Gesetze (JSFVG; Filmgesetz) in Kraft treten.

Unter anderem bezüglich des Schutzes vor Hassrede sowie der Werbe- und Sponsoringbestimmungen bestehen allerdings noch grössere Unterschiede zur AVMD-Richtlinie. Hier könnte die vom Bundesrat angestrebte Regulierung von grossen Kommunikationsplattformen (UVEK) eine gewisse Angleichung betreffend Schutz vor Hassrede und Werbetransparenz bewirken. Ein weiterer Unterschied ist die unabhängige Regulierungsbehörde, welche die AVMD-Richtline vorschreibt. So besteht in der Schweiz mit der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) lediglich für die Aufsicht über redaktionelle Inhalte von Radio und Fernsehen eine unabhängige Aufsichtsbehörde. tev

Zum Bundesgesetz über den Jugendschutz in Film und Videospielen. Eine Fragen an Astrid Wüthrich, Vizedirektorin des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV.

Welche werden die wichtigsten Errungenschaften des Jugendschutzgesetzes sein? Jugendliche werden zukünftig weniger Inhalte in Filmen und Videospielen sehen, die für ihr Alter ungeeignet sind. Eltern und weitere Bezugspersonen erhalten mit den Alterskennzeichnungen und den Inhaltsdeskriptoren eine Orientierungshilfe, um rasch entscheiden zu können, ob der jeweilige Film oder das jeweilige Videospiel für ihr Kind geeignet ist oder nicht. Es ist höchste Zeit gerade im Hinblick auf die wachsende Digitalisierung, den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele auf nationaler Ebene zu regeln. tev

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