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Mach mir einen Film, Roboter!

Adrien Kuenzy
28. Juli 2023

KI-generiertes Bild.

Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz für das Filmschaffen sind zahlreich, doch sie werden noch wenig genutzt. Die Spezialisten beschäftigt derzeit nicht zuletzt die Frage nach der Transparenz gegenüber dem Publikum.

Der Ausdruck «künstliche Intelligenz» (KI) ist in aller Munde und gibt Anlass zu den wildesten Fantasien. Manche behaupten gar, sie werde den Menschen vollständig ersetzen, von den Taten bis hin zum Bewusstsein. Obwohl KI bereits seit Jahren existiert, hat sich die Debatte rund um das Thema seit der Verbreitung diverser Werkzeuge wie ChatGPT des amerikanischen Unternehmens OpenAI Ende 2022 intensiviert.

Anfang Juli fand in Genf der «AI for Good Global Summit» (KI-Weltgipfel für das Gute) statt. Die Tageszeitung «Le Temps», die online ein Nachrichtenportal zum Thema KI unterhält, berichtete von den während des Gipfels vorgestellten Möglichkeiten, die im Kampf gegen Welthunger und Klimawandel eingesetzt werden können. Journalist Anouch Seydtaghia liess aber auch kritische Stimmen wie den Historiker Yuval Noah Harari zu Wort kommen, der warnt: «Wir dürfen nicht vergessen, dass die Menschen mit neuartigen Werkzeugen oft nicht umzugehen wissen und viele Fehler machen.»

Die Film- und Kunstschaffenden beschäftigen derweil pragmatische Fragen. Am letzten Neuchâtel International Fantastic Film Festival fand eine Gesprächsrunde mit Johan Rochel, Spezialist für Innovation, Kunst und Autorenrechte, sowie der Kunsthistorikerin Nathalie Dietschy statt. Die beiden Forschenden der Universität Lausanne entmystifizierten gewisse Aspekte der KI und rückten den Fokus weg vom potenziellen Verschwinden der Kunstschaffenden auf die Weiterentwicklung des kreativen Prozesses.

Für Emmanuel Cuénod, Leiter des neuen Zentrums für digitale Kreation in Genf, «ist es wichtig zu unterstreichen, dass künstliche Intelligenz weder künstlich noch intelligent ist. Sie wird von Menschen gefüttert und im Zentrum des Prozesses stehen Daten». Cuénod sieht in der KI Chancen, die die Vorbereitung eines Films vereinfachen könnten: «Mit fotorealistischen Bildern kann zum Beispiel eine Szenenbildnerin dem Regisseur zeigen, was sie sich vorstellt, bevor sie mit der detaillierten Ausarbeitung beginnt. Das kann Zeit sparen». Zudem erinnert er daran, dass das Centre national du cinéma et de l‘image animée in Frankreich Förderprogramme für technologische Innovation im audiovisuellen Sektor anbietet. «Unser Fördersystem in der Schweiz ist rein kultureller Art, und es gibt nur wenig wirtschaftliche Anreizmechanismen, um diesen Bereich zu fördern. Das ist schade.»

 

«Es ist schwer zu wissen, welche Daten in Algorithmen eingespeist wurden, und es wäre illusorisch zu denken, sie stammten aus einer wertfreien Basis.»
Alexia Mathieu, Professorin an der HEAD

 

Eine Schreib-Maschine

Manche möchten KI auch zum Schreiben von Drehbüchern einsetzen – ein Thema, das in den USA vor Kurzem anlässlich des Streiks der Drehbuchautoren und -autorinnen wieder aufkam. In der Schweiz setzt das 2018 gegründete Waadtländer Start-up Largo.ai auf Drehbuchanalyse mit seinem Programm LargoAI. Dieses kann angeblich anhand einer Datenbank von nahezu 200‘000 Filmen die Publikumsreaktionen auf jede Szene voraussehen. Konkret wird der Text ins System eingegeben und dort analysiert. Das Programm rechnet zum Beispiel den prozentualen Anteil an Fantasy- oder Abenteuer-Elementen aus und gibt dann die dadurch generierten Emotionen wie Angst, Trauer, Freude, Ekel und so weiter an. Zudem soll es die Psychologie der Figuren analysieren und in der Lage sein, die demographischen Merkmale des zu erwartenden Publikums darzulegen. Schliesslich erarbeitet es, indem es die Erfolgsquoten von  Schauspielenden berücksichtigt, Vorschläge für die Besetzung eines Filmprojekts. Es gibt weltweit nur eine Handvoll Unternehmen, die in ähnlichen Bereichen für den Film tätig sind, darunter VaultAI, Cinelytic und StoryFit. Die Resultate all dieser Programme hängen natürlich davon ab, wie sie mit Daten gefüttert werden.

Gemäss Sami Arpa, Geschäftsführer von Largo.ai, steht die Branche an einem Wendepunkt: «In einem Land wie den USA, das neuen Technologien gegenüber offen ist, fühlen die Drehbuchautoren und -autorinnen sich bedroht. Denn viele Berufe werden tatsächlich neu definiert werden. Ich denke aber, die Lösung besteht nicht darin, alles abzublocken, sondern mit den Systemen zu arbeiten». In der Schweiz haben rund zwanzig Produzenten und Produzentinnen, die anonym bleiben möchten, bereits Dienstleistungen von Largo.ai in Anspruch genommen, und fünf von ihnen haben so entstandene Werke ins Kino gebracht. Doch die Hälfte der 500 Kunden und Kundinnen des Unternehmens stammt aus den USA. In Europa steht an erster Stelle das Vereinigte Königreich, gefolgt von Spanien. Die positiven Auswirkungen sind jedoch noch schwierig einzuschätzen.

«Obwohl es mit der Technologie von Largo.ai durchaus möglich wäre, mit KI ein ganzes Drehbuch für einen Spielfilm zu schreiben, ist dies selbst in den USA noch sehr selten und in der Schweiz noch nie vorgekommen», so Sami Arpa weiter. «Zurzeit entwickeln wir nur im Bereich der Werbung ganze Handlungsstränge. Die Filmindustrie ist noch sehr zurückhaltend. Das Thema ist tabu, doch die Mentalitäten ändern sich langsam.»

Für Emmanuel Cuénod geht es nicht so sehr um die Art, wie KI eingesetzt wird, sondern um die Transparenz  dieser Praktiken und die möglichen Auswirkungen auf das Publikum. «Als Zuschauer möchte ich wissen, wie ein Werk entstanden ist. Wurde das, was ich sehe, komplett oder teilweise von einer Maschine erschaffen? Dies ändert unsere Beziehung zum Werk, und wir müssen uns dessen bewusst sein. Auch unsere Behörden müssen sich darüber Gedanken machen und eine aktive Rolle spielen.»

 

Ethik und Autorenrechte

Die bildende und darstellende Kunst geht ganz anders mit diesen Technologien um. Der Künstler Simon Senn hat mit seiner Performance «dSimon», in dem eine KI zur Schriftstellerin wird, diesbezüglich Erfahrungen gesammelt. Das System wurde mit den digitalen Daten des Künstlers gefüttert, entwickelte sich dann selbständig weiter und neigte ohne offensichtlichen Grund mehr und mehr zu merkwürdigen Verhaltensweisen, bis hin zum Ausdruck von Hassreden. «2021 arbeiteten wir mit einer ersten Version von ChatGPT. Heutzutage ist das Werkzeug weitverbreitet und deshalb sehr kontrolliert und standardisiert.» Gemäss Senn bieten die Verzerrungen in den Mechanismen der künstlichen Intelligenz jedoch interessante Ansatzpunkte: «Ich betrachte dies als ein zusätzliches Werkzeug zur Wahrnehmung, das uns eine andere Perspektive aufzeigt», schliesst der Künstler.

Laut Alexia Mathieu, Verantwortliche für den Master Media Design an der HEAD in Genf, bieten Programme wie MidJourney oder Dall-e, die aus Textdaten Bilder generieren, den Studierenden seit langem die Gelegenheit, die Mensch-Maschine-Beziehung zu hinterfragen. «Unsere Studierenden verstehen es, ausgereiftere Werkzeuge als  gängige Programme zur Bildgenerierung zu verwenden, um neue Wege zu gehen. Was mich in Bezug auf KI viel mehr beschäftigt, sind die gesellschaftlichen Folgen», so Mathieu. «Es ist schwer zu wissen,  welche Daten in  Algorithmen eingespeist wurden, und es wäre illusorisch zu denken, sie stammten aus einer wertfreien Basis.»

Für die Forschenden Johan Rochel und Nathalie Dietschy geht es nicht darum, vorherzusagen, ob die Kunstschaffenden durch Maschinen ersetzt werden – solange die Maschinen kein menschliches Bewusstsein haben, wird dies wahrscheinlich nicht geschehen – sondern vielmehr darum, zu verstehen, wie diese Werkzeuge die Spielregeln verändern, auch in Bezug auf Datenverfügbarkeit und Autorenrechte. Braucht es hier neue Gesetze?

Tatsächlich könnte nicht nur die Person, die KI im Schaffensprozess einsetzt, als Autor oder Autorin gelten, sondern jemand weiter vorne in der Produktionskette, der oder die  dafür sorgt, dass solche Bilder überhaupt generiert werden können. Ein Artikel des Professor für Rechtswissenschaften Vincent Salvadé mit dem Titel «Welchen Schutz für KI-Kreationen?», der auf der Website des LexTech Institute in Neuenburg erschien, zeigt die Grenzen der Schweizer Gesetzgebung auf: «Das Urheberrechtsgesetz schützt keine Werke, die ausschliesslich von KI geschaffen wurden (...), einerseits da der Schutz nur der physischen Person gewährt wird, die das Werk erschaffen hat, und andererseits da das geschützte Werk eine geistige Schöpfung sein muss.»

Die Frage lautet also: Inwiefern ist ein Mensch nicht Urheber eines Bildes, das von einer Maschine erschaffen wurde, die dieser Mensch erschaffen hat? Oder wie kann der Beteiligungsgrad des Menschen neu definiert werden? Und wird KI-generierte Kunst den grossen Konzernen vorbehalten bleiben, die am meisten Rechte an Daten besitzen? Es bleibt auf jeden Fall zu hoffen, dass sich das Publikum weiter an der Diskussion beteiligt – denn es bestimmt schlussendlich die Spielregeln.

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