MENU Schliessen

Räume kreieren


13. November 2017

Su Erdt liebte es schon immer, Räume zu kreieren, egal ob reale oder intellektuelle. Dass sie damit schliesslich beim Spielfilm landen würde, war hingegen nicht vorgesehen. Nach einer Lehre als Dekorationsgestalterin arbeitete sie zuerst am Theater und in der installativen Kunst. Dank einem Filmstudenten, für dessen Diplom­film sie 1999 erstmals in der Ausstattung mitarbeitete, begann sie mit Werbefilmen und Videoclips. Bevor sie jedoch als Requisiteurin und später als Szenenbildnerin in der Schweizer Spielfilmszene Fuss fasste, machte sie in London ein Masterstudium in Scenography, bei dem sie sich mit der Dekonstruktion filmischer Konventionen in der Kunst auseinandersetzte. «Schlussendlich habe ich mich im filmischen Raum aber am wohlsten gefühlt.»
 

Stile kreieren, die zur Geschichte passen

Für die Kunst bleibt seither zwar keine Zeit mehr, doch ermöglicht ihr der Film, viel weiterreichende Räume zu entwerfen, die gleichzeitig realismusorientiert und abstrakt sein können. Zudem kommt ihr entgegen, dass sie nicht mehr selber Teil der Performance ist wie in den Theater- und Kunstprojekten. Beim Film kann sie hinter ihr Werk zurücktreten: «Ein gutes Szenenbild vermittelt die Welt der Figuren und den Subtext der Geschichte, sollte sich dem Zuschauer aber nicht aufdrängen.»

Erdt entwickelt ihre Ideen denn auch immer aus den Figuren und ihren Bewegungen heraus. Sie will einem Film nicht ihren eigenen Stempel aufdrücken, sondern einen Stil kreieren, der zur jeweiligen Geschichte passt. Also keine extravaganten Farben in der Wohnung einer Bünzli-Familie, nur weil es gut aussieht. Vielmehr strebt die Szenenbildnerin jene Authentizität an, mit der beispielsweise amerikanische oder britische Independentfilme realitätsnahe Umgebungen unspektakulär auf die Leinwand bringen. Gerade erst hat sie während drei Monaten im Jura am Szenenbild für Bettina Oberlis ersten französischsprachigen Film «Le vent tourne» gearbeitet.
 

Zum Beispiel «Die göttliche Ordnung»

Ebenso gern vertieft sich Erdt auch in die Welt von Persönlichkeiten mit einer extremen visuellen Handschrift wie etwa bei «Pepperminta» von Pippilotti Rist. Dabei fällt auf, dass bei mehr als der Hälfte ihrer Kinofilme Frauen Regie geführt haben. Immer häufiger fragen diese die Szenenbildnerin schon in der konzeptuellen Phase eines neuen Films an. «Das sind die interessantesten Anfragen. Je früher ich zu einer Produktion stossen kann, desto besser», freut sich Erdt und schwärmt von der produktiven «Ping-Pong»-Zusammenarbeit mit Kamera­frau Judith Kaufmann und Regisseurin Petra Volpe, bei deren Filmen «Traumland» und «Die Göttliche Ordnung» sie von Anfang Teil des kreativen Kernteams war. Dabei hilft es sicher, dass Erdt eine aufmerksame Gesprächspartnerin ist, die ihre Konzepte klar verständlich kommunizieren kann.

Da «Die Göttliche Ordnung» um 1971 herum spielt, hat das Szenenbild natürlich einen hohen Stellenwert. So muss es nicht nur die Welt der Figuren, sondern auch eine vergangene Epoche zum Leben erwecken. Weil die Frauenstimmrechtskomödie in einer Dorfgemeinschaft spielt, die mit den gesellschaftlichen Umwälzungen im Rest der Welt noch nicht in Berührung gekommen ist, war es Erdt wichtig, jene Bonbon-Ästhetik zu vermeiden, die man retrospektiv mit den frühen Siebzigerjahren verbindet. Statt Modekata­logen durchforstete sie deshalb private Fotoalben und sprach mit Zeitzeugen. Daraus resultierten klaustrophobisch biedere Räume mit Raufasertapeten und schon damals altmodischer Einrichtung. Vor deren Brauntönen konnte die Kostümbildnerin Linda Harper dann einzelne farbige Kleidungsstücke als Ausdruck der Befreiung einsetzen.

Aus Su Erdts anschaulichen Schilderungen wird deutlich, wie gern sie im Team arbeitet. Man glaubt ihr auch, dass sie jeden Film als Abenteuer erlebt und Extremsituationen mag. Zum Enthusiasmus gesellt sich mittlerweile Selbstsicherheit: «Jetzt fühle ich mich langsam sattelfest und habe glücklicherweise viel weniger schlaflose Nächte als am Anfang. Gleichzeitig hat man nie ausgelernt. Das Tolle an meinem Job ist, dass man mit dem Alter immer besser wird.» Auch nach 18 Jahren im Geschäft findet sie ihre Arbeit immer noch aufregend.

Oswald Iten

  Originaltext: Deutsch

 

 

 

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife