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Licht, Schatten und ein Vogelnest


03. Januar 2018

Bild: «Brasilia – eine Utopie der Moderne» (2007)

Der Zürcher Regisseur Christoph Schaub, Ehrengast an der Solothurner Rencontre, hat neben Spielfilmen auch eine Reihe von Architekturfilmen gedreht. Eine Betrachtung.

Von Kathrin Halter

Für einmal passte die Kinoleinwand nicht. Christoph Schaubs letzte Arbeit lief im Museum: Eine filmische Collage auf vier Monitoren, eine Hommage an Peter Zumthor für dessen Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Schon vor zwanzig Jahren hat Christoph Schaub den weltweit tätigen Bündner Architekten, Schöpfer der Therme Vals, sowie dessen Bündner Kollegen Gion A. Caminada in «Lieu, funcziun e furma» (1997) porträtiert. Auch Schaubs jüngster Filmessay, der nächstes Jahr fertig wird, beschäftigt sich mit der Erschaffung und Wirkung von Bauten: «Architektur der Unendlichkeit» (2018), so der Arbeitstitel, erzählt anhand einer Kirche in Portugal (von Alvaro Siza) oder einem Museum im Tessin (von Peter Märkli) von Orten, wo das Weltliche mit dem Sakralen zusammengeht, wo ein Gefühl für Unendlichkeit aufkommt. Elf Architekturfilme zwischen 12 Minuten und zwei Stunden hat der Zürcher Filmemacher schon geschaffen.

Was fasziniert Christoph Schaub an der Architektur? «Ich habe im Fall noch andere Filme gemacht!», erwidert er und lacht, als wir ihn in seinem Zürcher Atelier besuchen. Das mediale Interesse der letzten Wochen hat sich oft auf die Architekturfilme konzentriert, das mag den Spielfilmregisseur Schaub irritiert haben, bei allem Stolz über die Solothurner Auszeichnung und den Respekt, der ihm von «Hochparterre» bis zur «NZZ» entgegengebracht wird. Dabei ist er wohl für die meisten Zuschauer der Regisseur von «Giulias Verschwinden»(2009) , «Sternenberg» (2004) oder «Jeune Homme» (2006) geblieben. Gerade deshalb lohnt es sich, die Architekturfilme nochmals anzusehen. Man entdeckt auf diese Weise genauer, was die Arbeiten verbindet, wie sich Schaub der filmischen Herausforderung immer wieder anders stellt.

Die Freundschaft mit Meili

Dabei war ihm das Thema fremd gewesen; Architektur zu studieren, sei ihm zum Beispiel nie in den Sinn gekommen, sagt Schaub. In den Achtzigerjahren hegte er, wie damals so viele andere, eine starke Aversion gegen «den Beton», damals ein Synomym für Entfremdung, Anonymität und soziale Kälte im Kapitalismus. Heute schämt er sich ein wenig für diese «plumpe Ablehnung. Da habe ich nicht genau hingeschaut». Schaub arbeitete im Videoladen mit und drehte im Umfeld der Zürcher Jugendbewegung politische Interventionsfilme. «I Lovesong» (1984) zum Beispiel, die Chronik einer Hausbesetzung beim Zürcher Stauffacher, unernst verspielt wie die maskierten Besetzer und zugleich polemisch düster gegenüber den Feindbildern der Immobilien­spekulation.

Sein Interesse an Architektur kam rund zehn Jahre später, dank seiner Freundschaft mit Marcel Meili, dem Architekten, mit dem Schaub damals in einer WG lebte und der ihm eines Tages den Vorschlag machte, einen Film über ein besonderes Haus zu drehen. Il Girasole, Sonnenblume also, heisst jener spektakuläre Rundbau in der Nähe von Verona, der sich, bewegt durch eine komplexe Motorik, während acht Stunden einmal um die eigene Achse dreht. Schaub konnte sich einen Film dazu zunächst nicht vorstellen, doch die Freunde vertieften sich in die Idee, Schaub lernte nebenbei so einiges über Kunst- und Architekturgeschichte – und wurde süchtig danach.

Weltgewandte Architekten

«Il Girasole – una casa vicino a Verona» (1995) fängt Lichtstimmungen ein, die das Haus modellieren, zeigt wechselnde Aussichten aus Fensterfronten und skizziert anhand eines fiktiven Tages (und unterschiedlicher Jahreszeiten) Szenen aus dem längst vergangenen Leben des Erbauers Angelo Invernizzi und seiner Familie. Die Kamera führte Matthias Kälin, ein «kongenialer, kunstaffiner Kameramann» mit grossem Wissen, mit dem Schaub bis zu dessen Tod vor zehn Jahren arbeitete und der ihn sehr inspirierte. Nach «Il Girasole» wurde Schaub immer wieder für Architekturporträts angefragt, zuerst vom rätoromanischen Fernsehen, für das der Film über Caminada und Zumthor («Lieu, funcziun e furma») sowie zwei Jahre später ein Auftragsfilm über «Il project Vrin» (1999) zustande kamen.

Dann schlug der Produzent Marcel Hoehn einen Film über den spanisch-schweizerischen Architekten Santiago Calatrava vor. Hoehn hatte Calatrava, schon damals weltberühmt, in Zürich kennengelernt. «Die Reisen des Santiago Calatrava» (2000), Schaubs erster Langfilm unter den Architekturfilmen, porträtiert den Lebensstil des Spaniers, der von einer Grossbaustelle zum nächsten eilt, Besprechungen mit Bauherren und Mitabeitern aus Büros in Paris oder Zürch im Akkord absolviert und dazwischen immer wieder beim konzentrierten Zeichnen von Entwürfen gezeigt wird. Natürlich rückt Schaub auch immer wieder Calatrava-Bauten ins Bild, meist in Form von Standbildern, die sich in der Montage zu einem Gesamtbild zusammensetzen.
 

Wie Architektur filmen?

Menschenleere Architekturaufnahmen mag Schaub nicht, auch in der Fotografie nicht, und so sieht man immer wieder Leute, die die Bauten beleben: Fischer am Fluss, über den sich eine Calatravabrücke spannt; Fussballspieler und Velofahrer; Passanten, die in einer Bahnhofshalle warten. Es braucht diese Belebung, um die Bauten als soziale Räume kenntlich zu machen, um ein Gefühl auch für Distanzen zu vermitteln.

Wie also filmt man Architektur? Wie übersetzt man die dreidimensionale Raumerfahrung in zweidimensionalen Film? Diese Fragen beschäftigen Schaub immer wieder aufs Neue. Um Räume zu «öffnen», wie Schaub es nennt, ein Raumgefühl zu erzeugen also, spielen neben dem Licht auch Geräusche und Musik eine wichtige Rolle. Auch das zeigt der Calatrava-Film, bei dem Schaub Stücke von John Cage verwendet, um den Raum «aufzuspannen», um Töne ihren «Platz im Raum suchen zu lassen», wie er sich ausdrückt.

Anspruchsvoll ist auch die Orientierung im filmischen Raum, weil wir uns in der Realität dank unserem räumlichen Gedächtnis viel leichter orientieren können als im Film, wo wir Räume aus jenen Ausschnitten zusammensetzen müssen, die uns die Kamera zeigt (wobei noch das Problem von Achsensprüngen hinzukommt). Ein realistisches Abbild von Architektur, so Schaub, ist so jedenfalls kaum möglich: «Es bleibt immer eine Interpretation, wenn man die Räume filmisch zusammensetzt. Je komplexer die Raumfolgen, desto schwieriger die Aufgabe.»

Auffällig ist, wie selten Schaub in seinen Architekturfilmen Kamerabewegungen einsetzt. Viel häufiger sind eine Abfolge von Standbildern, die sich in der Montage zu einem Ausschnitt im Gesamtbild zusammenfügen. Gibt es einen Grund dafür? Für ihn vermitteln Aufnahmen mit der bewegten Kamera das Gefühl subjektiver Einstellungen, sie sind also psychologisch aufgeladen. Man hat dann zum Beispiel das Gefühl, jemand erkundet das Haus, durch das sich die Kamera bewegt; das lenkt ab. «Ich will etwas über Architektur erzählen, nicht über zufällig darin befindliche Menschen.»  Eine Ausnahme macht «Brasilia – eine Utopie der Moderne» (2007), Schaubs Film über die von Oscar Niemeyer entworfene modernistische Planerstadt. Die Kamerafahrten aus dem Auto heraus vermitteln einerseits einen Eindruck von der schieren Grösse der Bauten und Anlagen, andererseits etwas vom Aufbruchsgeist der Fünfzigerjahre und jener Leichtigkeit und Eleganz, die Oscar Niemeyer vorschwebten. Brasilia wurde als Autostadt angelegt. Auch mit einem ehemaligen Bauarbeiter spricht Schaub und bezieht die Sozial- und Gesellschaftsgeschichte der Stadt mit ein – so gut das eben geht in 30 Minuten bei einer so komplexen Thematik.
 

«Bird’s Nest – Herzog & de Meuron in China» (2008), sein bislang ambitioniertester Architekturfilm, geht diesbezüglich deutlich weiter. Hier konnte Schaub aus dem Vollen schöpfen: Ein Porträt der Architekten Herzog & De Meuron bei der Arbeit, eine Studie über interkulturelle Kommunikation und Missverständnisse zwischen westlichen Planern und chinesischen Auftraggebern und Behörden; die dramaturgisch geschickt erzählte Baugeschichte eines hoch komplexen Gross­projekts, dem Olympia-Stadion. Was «Bird’s Nest» etwas fehlte, sind Stimmen von Einwohnern oder Bauarbeitern. Es lag nicht am fehlenden Interesse: Für Schaub war «Bird’s Nest» nicht zuletzt eine Erfahrung im Umgang mit Drehbewilligungen, Zensur und anderen erschwerten Arbeitsbedingungen. Sein neu­stes Architekturprojekt über Sakralbauten wirkt da vergleichsweise einfach. Wie er das Raum-, Zeit- und Orientierungs­problem wohl diesmal löst?

  Originaltext: Deutsch


Diskussionsanlässe an der Rencontre der Solothurner Filmtage:

Samstag, 27. Januar
Kino Palace, 16:30 - 17:30

Architektur filmen
Wie lassen sich Bauwerke filmen? Christoph Schaub, ­der Architekt Marcel Meili und der Kameramann Wolfgang Thaler diskutieren über die «dritte Dimension» in Film und Architektur.

Sonntag, 28. Januar
Kino Palace, 17:30 – 18:30

In Aktion!
Christoph Schaub und Thomas Krempke diskutieren über drei frühe Interventionsfilme und politischen Aktivismus.

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