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Filmische Reisen ins heutige China


03. Januar 2018

Sein neuster Film heisst «A Long Way Home» und ist für den Prix de Soleure nominiert. Doch Luc Schaedler hat es auch nach Abschluss seiner «Asientrilogie» «Made in Hong Kong» (1997), «Angry Monk – Reflections on Tibet» (2005) und «Watermarks – Three Letters from China» (2013) nicht in heimatliche Gefilde verschlagen, sondern abermals in den chinesischen Kulturraum. Der inspiriert den Dokumentarfilmer seit über 20 Jahren zu vielschichtigen Werken, die von seinem ethnologischen Hintergrund zehren oder schlicht: von seiner ­filmischen Hellhörigkeit.

In der Teeküche im Kreis 4

Dabei ist Luc Schaedler kein zum Exotismus neigender Mensch. China als Land all seiner Filme war nicht geplant, erklärt der 54-Jährige, nachdem er einem in der winzigen Teeküche neben seinem abgedunkelten, von Monitoren beherrschten Büro im Zürcher Kreis 4 einen (chinesischen) Tee gekocht hat. Das Thema blieb aber an ihm hängen. Auf einer ausgedehnten Asienreise hatte er 1989 als Barkeeper im emsigen Hong Kong Aufkommen und Niederschlagung der Studentenbewegung auf dem Festland mitverfolgt. China war danach das Land, das er kennenlernen wollte, und was er vorfand bei einem mehrmonatigen Trip einmal diagonal hindurch, faszinierte ihn: Ein «country in the making», in dessen westlichsten Provinzen Menschen wie zu Vorväter Zeiten lebten, während in den Städten der Industrialisierungsschub einsetzte.

In seinem dritten Film «Watermarks» hat er dem chinesischen Alltag inmitten seiner Widersprüche ein tiefgründiges Porträt gewidmet. Da sehen wir ein landflüchtiges Ehepaar, das zwischen Familientradition und den emanzipatorischen Versprechen einer Kohle-geschwärzten Industrie-Tristesse aufgerieben wird; ein Dorf, in dem die Traumata der Kulturrevolution ebenso wenig zum Verschwinden zu bringen sind wie die an die Fassaden gemalten Parolen von damals; und ein knabenhaftes Mädchen, das sagt, es möchte keine Frau sein im heutigen China. Die Einblicke, die Schaedlers Protagonisten uns gewähren, sind stets von erstaunlicher Intimität, Ergebnis eines langen Atems. Drei Monate hat er jeweils bei ihnen verbracht. Luc Schaedlers Zugang zur Welt ist geprägt vom Willen zur Kommunikation unter Bedingung des Kulturschocks. Sich dem Fremden auszusetzen, das heisst bei ihm auch Reflexion der eigenen Herkunft, wo die Urbanisierung auch nur wenige Generationen zurückliegt, wie «für die Familie meines Vaters, der in einem kleinen Bauern­dorf aufgewachsen ist.

Entlarvung westlicher Fantasien

Das Rüstzeug für die analytische Neugier seiner Filme fand Luc Schaedler im Ethnologie-Studium. Man spürt seine Hochachtung für Professor Michael Oppitz, bei dem er – fast eine Weltneuheit damals – einen Film («Made in Hong Kong») als Abschlussarbeit in Visueller Anthropologie vorlegte. Als «Kunst der Genauig­keit» hatte dieser sein Fach definiert. Mit beidem, der Kunst und der Genauigkeit, ringt Schaedler, der auch die Kamera führt, stets aufs Neue, «weil man im Film über Emotionen und Bilder mehr erreicht als in der Detailgenauigkeit des wissenschaftlichen Diskurses.» Und handelt nicht genau davon sein neuer Film «A Long Way Home», wo Künstler –  in Tanz, Fotographie, Dichtung oder Trickfilm – das zeigen, was im offiziellen historischen Diskurs Chinas nicht zu sagen ist?

Das Schreiben, etwa eines Kommentars zu «Angry Monk», ist für Luc Schaedler «angstbestimmt», aus Sorge um «die richtige Stimmung im Satz». Aber er scheut sich nicht, Stellung zu beziehen und er bricht notfalls auch Tabus. Beides zu sehen in jenem Film über ein zorniges Mönchtum im alten Tibet, der das lieb gewonnene Bild des immerdar friedfertigen, spirituellen Wunderlandes entlarvt als westliche Fantasie. Deren Hartnäckigkeit hat Schaedler etwas entgeistert erfahren müssen, als ein Zuschauer in seinem Film freudig den Beweis für die Levitationsfähigkeit vergeistigter Mönche erblickte. Die schweben da auch wirklich – als trashiger Special Effect in einem ironischen Werbespot aus den 90er Jahren, und ein Novize fuhrwerkt unter ihnen mit dem Staubsauger.

Julia Marx

  Originaltext: Deutsch

 

«A Long Way Home» (2018) an den Solothurner Filmtagen:

Freitag, 26. Januar,  15:00, Landhaus

Dienstag, 30. Janurar, 09:30, Landhaus

Vorfilm: «Chen Chen» (2017) von Franziska Schlienger

 

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