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Artikel

Künstler vor der Kamera

Kathrin Halter
03. Januar 2017

Was treibt Künstler an? Und wie erklären sie ihre Arbeit? Ein neuer und ein älterer Dokumentarfilm setzen sich, ganz­ unterschiedlich, mit diesen Fragen auseinander. 

Von  Kathrin Halter

Ein verspiegelter Raum, Kameras und Betriebsamkeit, in der Mitte: Lawrence Weiner, der 74-jährige amerikanische Konzeptkünstler. Sein Blick in die Kamera: ratlos und verwundet, als sitze er hier, umgeben von Galeristinnen und Professionals, wie ein gefangenes Tier. Gefangen im Kunstbetrieb. 

Ein Schnitt versetzt uns ins Jahr 1969 zurück, die Aufnahmen zeigen einen gut gelaunten (und schon damals vollbärtigen) Weiner, der gleichermassen ernsthaft wie verschmitzt erklärt, weshalb es sinnlos sei, Kunst erklären zu wollen: «Why do we need art?» erwidert er lächelnd auf die Frage einer Reporterin. «You don’t. Art is probably the one thing, that... there is no real rationale for. There is no reason, no excuse. Art is something, that artists make. That’s all.» 
 

Wortkarge und Redefreudige 

Ja, ist das wirklich alles? Ist Kunst grundlos, braucht sie weder Argumente noch Rechtfertigungen? Was für ein witziger Einstieg in einen Film, der Weiners Prämisse, hintersinnig und vielseitig, gleich wieder in Frage stellt. «In Art We Trust» (CH/F 2016) heisst der Dokumentarfilm des französisch-schweizerischen Regisseurs Benoît Rossel, der Künstler bei der Arbeit beobachtet – und ihnen zuhört, wie sie über ihre Arbeit reden. Wie sie argumentieren, nach Worten suchen. Wie sie sich erklären, manchmal gar rechtfertigen. Da gibt es die Wortkargen und die ganz Stillen, die Intro- und die Extrovertierten, die sprachlich Gewandten und die rhetorischen Freejazzer. Was sie sagen, klingt mal anschaulich konkret, mal verschroben oder klug, aber nie intellektuell versnobt oder abgehoben. So erzählt der Amerikaner Dennis Adams davon, wie er durch Selbstgespräche und «head trips» auf Ideen kommt («I love to live in my head. I am my best intellectual friend, you know. I’m talking to me a lot and that ... brings me to things and ideas»). Und der ­britische Künstler Liam Gillick entwickelt eine gut begründete Schach-Wurst-Theorie («I am interested in a kind of abstraction. That’s a bit like being interested .... in chess and sausages»). Er muss selber lachen, als er sie vorträgt. Interessant auch die Szene mit Kunststudenten, die ihre Arbeiten vorstellen. Das klinge wie eine Rechtfertigung oder, noch schlimmer, nach Entschuldigung, kritisiert John Armleder die Präsentation einer Studentin. Wie sich ein Bewusstsein für die eigene Arbeit von Selbstdarstellung und Selbstvermarktung unterscheidet, wird allerdings nicht immer klar – gerade bei den Erfolgreichen nicht wie Laurent Grasso, der Stars wie ­Pharrell Williams zu seinen Kunden zählt. Nur, woher weiss man so genau, was man tut?

Die spanische Künstlerin Esther Ferrer, die sich in ihren Arbeiten oft mit Zeit auseinandergesetzt hat und diese nicht signiert oder datiert, sagt einmal, am liebsten möchte sie eine Kunst schaffen, ohne Spuren zu hinterlassen. Die Beschwörung flüchtiger, zweckloser, reiner Gegenwart mag kokett klingen – bei Ferrer wirkt sie glaubwürdig und reflektiert. Das verweist auch auf das Medium Film, das Kunst im Moment der Entstehung festhält und sie so – ganz anders als im Museum – verlebendigt und lebendig hält. Und gerade dadurch an ihre Vergänglichkeit erinnert. Gegen Schluss vollführt der Film dann nochmals eine schöne Schlaufe, bei der Verfilmung einer Performance, in der sich Guy ­Sherwin mit einem rhythmisch gedrehten Spiegel im Licht einer Filmprojektion filmen lässt: Ein Film im Film, ein Spiel mit Licht und filmischer Bewegung. Flüchtig festgehalten fürs Kino. Für die Kunst?

«Du würdest mir gescheiter helfen!» 

Rossel reiht so viele Begegnungen aneinander, dass man zeitweise den Überblick verliert, zumal er konsequent darauf verzichtet, die Porträtierten mit Namen vorzustellen (eine Liste im Vor- und Abspann muss genügen). Vorteil dieser Praxis: Man sieht die Gemeinsam­keiten und Unterschiede besser, hört Motive heraus, unabhängig davon, wie unbekannt oder berühmt die Künstler sind. 

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt das Künstlerporträt, in dem ein(e) einzelne(r) unsere volle Aufmerksamkeit einfordert.  Eine schöne Wiederentdeckung aus der Solothurner Reihe ist «Josephsohn – Stein des Anstosses» (1977) von Jürg Hassler (Bild). Das liegt zum einen an Hans Josephsohn selber, dem 2012 verstorbenen Bildhauer. Wenn er im Atelier unbeirrt seine Runden dreht, Ton formt, raucht und mit Gips hantiert, dann schaut man einfach hin. Wenn er redet, hört man ihm zu. Und wenn er denkt, dann wird es interessant. Originell ist auch Hasslers Vorgehen, der mehr tut, als einem Meister (und Freund) ergriffen zuzuhören und dessen Lebensgeschichte zu erzählen. Einmal zeigt er Putzfrauen in einer Josephson-Ausstellung, die seine Plastiken vor allem als Staubfänger wahrnehmen, konfrontiert Aussagen eines linken Dogmatikers, der über die kulturellen Bedürfnisse des Volkes daherphilosophiert mit Montageaufnahmen von Popart, zeitgenössischer Warenästhetik – und mit Josephsohns Widerspruch. Und er ver­wickelt den Künstler immer wieder in Dispute. «Du würdest mir gescheiter helfen als zu filmen!» ruft dieser einmal. Ein anderes Mal erklärt er Hassler, jemanden am künstlerischen Prozess teilhaben zu lassen, sei wie sich beim Liebemachen filmen lassen. ­Hassler lässt er mit der Kamera dennoch nahe an sich heran, auch das macht dieses Porträt so persönlich und lebendig. 

«Josephsohn - Stein des Anstosses» wird in Solothurn am 22. Januar in einer neuen digitalen Kopie und einer leicht überarbeiteten Fassung gezeigt.  
«In Art We Trust» läuft am 20. und 25. Januar als Weltpremiere.

▶  Originaltext: Deutsch 

 

KUNST IM FILM – FILM IN DER KUNST

Das Verhältnis von Film und Kunst beschäftigt seit langem: Künstler setzen sich immer wieder mit Kino und dem Medium Film auseinander, Filmschaffende bilden Kunst ab und inszenieren sie, erzählen von ihren Protagosten oder setzen sich mit künstlerischen Fragen auseinander. So spiegelt sich die wechsel­seitige Faszination in verschiedenen Medien, man beeinflusst sich gegenseitig. Die Solothurner Filmtage und das Aargauer Kunsthaus widmen den komplexen Beziehungen nun ein Spezialprogramm und eine Ausstellung. 

Unter dem Titel «Art mon amour. Kunst im Film» laufen in Solothurn im Rahmen des «Fokus» zehn nationale und internationale Filme. Da gibt es Künstlerporträts (zu Eva Hesse oder Maria Lassnig) und ein künstlerisches Selbstporträt (des Künstlerpaars Melissa Dullius und Gustavo Jahn), dokumentarische Recherchen im Museum («Das grosse Museum» von Johannes Holzhausen über das Kunsthistorische Museum Wien) und vom Aufbau einer Ausstellung («Sign Space» Hila Peleg). Hinzu kommen zwei Spielfilme: «Where is Rocky II?» von Pierre Bismuth, in dem sich ein Detektiv auf die Suche nach einem verschollenen Werk von Ed Ruscha macht, laut Kuratorin Jenny Billeter ein «nicht ganz klassischer Hollywoodfilm», sowie «Le dos rouge» von Antoine Barraud, wo ein Filmautor in Gemälde­galerien nach Inspiration sucht. 

Interessant dürfte die Schweizer Produktion «Ceci n'est pas un tableau» (2017) von Jacob Berger und den Animationsfilmern Fred & Sam Guillaume werden. Der kurze Animationsfilm geht von drei klassischen Schweizer Gemälden aus, um dazu künstlerisch frei zu assoziieren. Weltpremiere hat der Film am Fokus-Tag am Montag, 23. Januar, gefolgt von einem Gespräch mit den Filmschaffenden. Zum Programm am Fokus-Tag gehören auch Gespräche mit Film- und Kunstschaffenden aus dem In- und Ausland zu den Themen «Künstlerportraits auf Kinoleinwand», «Schnittstellen zwischen Film- und Kunstwelt» sowie «Kunst im Fernsehen». 

Unter dem Titel «Cinéma mon amour. Kino in der Kunst» versammelt die Gruppenausstellung im Aargauer Kunsthaus Werke zeitgenössischer Kunstschaffender wie Pierre Bismuth, Candice Breitz, Janet Cardiff & George Bures Miller, Stan Douglas oder Sam Taylor-Johnson. Diese setzen sich mit unterschiedlichen Aspekten von Kino und Filmschaffen auseinander und reflektieren in ihren Arbeiten Fragestellungen rund um das Filmbusiness, das Kino als Wahrnehmungsraum, Found Footage, spezifische Filme und Genres oder die Mechanismen des Films. Zeichnung, Malerei, Fotografie, Skulptur und Installation sind ebenso vertreten wie Video- und Film­abeiten. 

Aargauer Kunsthaus, 22. Januar bis ­ 17. April 
Ver­nissage: 21. Januar, 17:00

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