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«Es war heilsam zu realisieren, wie subjektiv Kritik oft ist»


03. Januar 2018

Was ist der Sinn von Drehbuchentwicklungsprogrammen, von Workshops und Labs? Was kann man dort lernen – und was nur selber erarbeiten? Wie hat sich dabei das Drehbuch verändert, und was zeichnet gute Drehbuchberater aus? Wir haben eine Autorin und einen Autor gefragt, die es wissen müssen: Simon Jaquemet hat das Drehbuch zu seinem vielgelobten Spielfilm «Chrieg» am TorinoFilmLab entwickelt. Und Simone Schmid, heute professionelle Drehbuchautorin, hat zuvor die Drehbuchwerkstatt München/Zürich besucht. Zwei Erfahrungs­berichte.

Simone Schmid:

«Als ich ganz frisch im Inlandressort der NZZ am Sonntag arbeitete, schrieb ich eine Reportage über einen seltsamen Todesfall im Diemtigtal. Im Februar 2009 hatte man einen dunkelhäutigen Mann gefunden, der vor einem Berghüttchen im Schnee erfroren war. Ein halbes Jahr lang versuchte ich herauszufinden, was mit dem Mann passiert ist und wer er war – aber es gelang mir nicht. Weil mich die Geschichte nicht mehr losliess, habe ich versucht, sie mit Fiktion gewissermassen zu bändigen. So entstand das Exposé, mit dem ich mich für die Drehbuchwerkstatt München/Zürich beworben habe.

Etwa zehn Leute sind zu einem Gespräch eingeladen worden, drei wurden genommen. Ich hatte den Eindruck, dass eher Leute gesucht werden, die nicht nur ein Drehbuch fertigstellen, sondern das Schreiben zum Beruf machen wollen. Interessanterweise waren etwa die Hälfte der Teilnehmer der Drehbuchwerkstatt Quereinsteiger wie ich; die andere Hälfte waren Abgänger von Filmschulen.

Ich kam dann, zusammen mit Niccolò Castelli und Ivana Lalovic, ins Schweizer Kolloqium. Aus organisatorischen Gründen fand die Stoffentwicklung für die drei Schweizer Teilnehmer jeweils in Zürich statt. Wir trafen uns sechsmal aufs Jahr verteilt und diskutierten,betreut von drei Mentoren, unsere Entwürfe vom Exposé bis zur letzten Drehbuchfassung. Danach reisten wir jeweils für eine Woche nach München, wo es Inputs über Grundlagen wie Recherche, Dramaturgie sowie rechtliche Fragen gab. Dass die Schweizer, Deutschen und Österreicher jeweils verschiedenen Gruppen zugeteilt sind, fand ich etwas schade. Aber der Austausch unter den Teilnehmenden war sehr intensiv und wir konnte über eine Facebook-Gruppe jeweils alle Fassungen aller anderen Stoffe lesen. Für mich als Quereinsteigerin – ich komme vom Journalismus her und habe keine Filmschule besucht – war das Programm super. Am meisten haben wir über Figuren und das Thema diskutiert und darüber, wie man den Stoff erzählen will.

Mit Lösungsvorschlägen haben sich die Mentoren auffällig zurückgehalten. Was man mit den Spiegeln anfängt, die einem von allen Seiten vorgehalten werden, das musste man schon selber herausfinden.Ich habe auch gelernt, besser mit Kritik umzugehen – ein Training, das schon deshalb nützlich ist, weil man im Beruf später dauernd mit Kritik konfrontiert wird. Heilsam war es auch zu realisieren, wie subjektiv diese oft ist – manchmal führte dieselbe Szene zu komplett unterschiedlichen Reaktionen. Man wird so auch auf sich selbst zurückgeworfen. Im ersten halben Jahr verlor ich nach jeder Kritikrunde das Vertrauen in meine Geschichte. Doch als ich aus purer Verzweiflung die Perspektive wechselte und die Geschichte aus der Sicht einer Journalistin statt aus der Sicht eines Flüchtlings erzählte, fühlte ich plötzlich festen Boden unter den Füssen. Ich hatte mich lange gegen diese Perspektive gewehrt, weil sie mir zu einfach erschien – aber dann spürte ich, wie viel ich erzählerisch aus der Authentizität schöpfen kann. Dieser Lernprozess war sehr wichtig.

Das Finale der Ausbildung war dann das Pitching am Münchner Filmfestival, wo man seinen Stoff vor 500 Branchenleuten vor allem aus Deutschland vorstellt. Ich habe mich ein Jahr lang vor dem Auftritt gefürchtet. Doch dann lief alles rund und ich lernte tatsächlich viele Leute kennen, auch die Produzenten von Turnus Film, die das Buch dann umgesetzt haben.Es werden lange nicht alle Drehbücher verfilmt – in meinem Jahrgang waren es bis jetzt zwei von siebzehn. Auch können nicht alle Teilnehmer in der Branche Fuss fassen. Bei mir war die Drehbuchwerkstatt eine Zäsur im Leben, sie hat alles – im positiven Sinn – auf den Kopf gestellt. Heute kann ich vom Drehbuchschreiben leben. Der Bedarf ist gross, ausgewiesene Autoren sind sehr gefragt. Und ich liebe meinen Beruf! Das selbständige Arbeiten, die Recherche, die Freiheit der Fiktion.

Angefangen hat übrigens alles mit der Migros Klubschule, wo ich einen Kurs von Urs Bühler belegte. Damals gab es eben noch keine Drehbuchausbildung in der Schweiz. Das hat sich zum Glück geändert.»

Aufgezeichnet von Kathrin Halter

▶ Originaltext: Deutsch


Hauptsache Drehbuch! an den Solothurner Filmtagen:

Sonntag, 28. Januar 2018

13:00–14:00, Kino im Uferbau
Masterclass Martin Suter: Schreiben für die Leinwand
Martin Suter hat u. a. Drehbücher für Daniel Schmid und Christoph Schaub geschrieben. In der Masterclass erklärt er, was das Schreiben für die Leinwand einzigartig macht.

Fokus-Tag, Montag, 29. Januar 2018
10:00–11:30 Kino im Uferbau
Bedürfnisse der DrehbuchautorInnen
Mit den DrehbuchautorInnen Lars Hubrich (DE), Antoine Jaccoud (CH), Micha Lewinsky (CH), Stéphane Mitchell (CH), Karim Moussaoui (DZ/F) und Valia Santella (IT).

11:45– 13:00 Kino im Uferbau
Labs, Workshops, Lehrgänge:
Ein Pflichtprogramm?
Mit Jacqueline Surchat (Atelier Grand Nord), Pascale Rey (DreamAgo), Wilbirg ­Brainin-Donnenberg (Drehbuch Forum Wien), Karin Franz (MFG Filmförderung Baden-Württemberg), Arne Kohlweyer (Script Station Berlinale Talents) und Francesco Giai Via (TorinoFilm- Lab).

14:15 – 15:30 Kino im Uferbau
Der Stellenwert des Drehbuchs bei der Finanzierung: Neue Modelle?
Mit Ivo Kummer (Bundesamt für Kultur), Gérard Ruey (Cinéforom), Nadine Adler ­(Migros Kulturprozent), Jolanda Herradi (SSA), Corinne Frei (SUISSIMAGE) und Daniel Waser (Zürcher Filmstiftung)

15:45 –16:30 Kino im Uferbau
Case Study: die Entwicklung von «My Little One»
Mit Frédéric Choffat (Regisseur), Julie Gilbert (Drehbuch) und Anne Deluz (Produzentin Intermezzo Films)

Simone Schmid

arbeitete acht Jahre als Journalistin für die «NZZ am Sonntag» und den ­«Tages-Anzeiger», bevor sie 2014 die Drehbuchwerkstatt München/Zürich absolvierte. Ihr dort entstandenes Drehbuch «Goodluck» wurde am Filmfest München mit dem «Script Talent»-Preis ausgezeichnet und 2016 als TV-Film «Im Nirgendwo» produziert. Simone Schmid war zwei Jahre lang Mitglied im Writers' Room der SRF-­Krimiserie «Der Bestatter», sie hat das Drehbuch zu «Zwingli. Der Reformator» (Regie: Stefan Haupt) verfasst und entwickelt zur Zeit die beiden Projekte «Di schöni Fanny» (Regie: Sabine Boss, nach dem Roman von Pedro Lenz) und «Der Manager» (Regie: Sabine Boss).

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