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Eine Familienaffäre

Pascaline Sordet
25. Juli 2016

Das Klingeln des Telefons, eine kurze transatlantische Verzögerung, dann eine Stimme. Sanft, aber bestimmt,  nimmt sie sich vor jeder Antwort Zeit. Kein Zögern, eher ein Bemühen um präzise Worte oder vielleicht eine gewisse Vorsicht angesichts des entstehenden Porträts. Aus Buenos Aires, wo sie mit ihrem Kind und ihrem Mann lebt, erzählt Milagros Mumenthaler von ihrer Kindheit, der Ankunft in der Schweiz, vom Genfer Pâquis-Quartier, dann von einer schwierigen Schulzeit und der Rückkehr nach Argentinien. Über die blutige Geschichte ihres Herkunftlandes scheint sie nicht reden zu wollen, obwohl sie in ihre Filme einfliesst und ihren persönlichen Werdegang geprägt hat: Ihre Eltern verliessen Argentinien kurz nach ihrer Geburt, als die Militärjunta das Land kontrollierte und immer mehr Menschen verschwanden. Ihr Vater besass einen Schweizer Pass, sodass sie nicht als politische Flüchtlinge galten. Für ihre Geschwister waren die Entwurzelung und deren Ursache kein Thema: «Wir wussten Bescheid, doch wir sprachen nicht darüber. Wir litten nicht unter diesem Druck.» Im Gegenteil, Argentinien erlebten sie als verlorenes Paradies, als Ferienland.

In den Filmen und in unserem Gespräch bleibt die Geschichte im Hintergrund, obschon Themen wie Trennung von den Eltern, Verlassenheit und Trauer zentral sind. In «Abrir puertas y ventanas» trauern drei Schwestern um ihre verstorbene Grossmutter, bei der sie aufwuchsen, wie dies bei vielen Kindern verschwundener Eltern geschah. In ihrem zweiten abendfüllenden Film, «La idea de un lago», der in Locarno im offiziellen Wettbewerb gezeigt wird, sieht sich eine schwangere Frau die wenigen Erinnerungsstücke ihres verschwundenen Vaters wieder einmal an. «Was mich interessiert, ist Kino über Menschen, über den Alltag, über Konflikte. Erziehung und Beziehung zur Familie, das sind wesentliche Dinge. Wichtig ist nicht das ‹Weshalb?›, sondern das, was bleibt und was man daraus macht.»

Locarno, zweiter Akt

Nun kommt die Regisseurin erneut nach Locarno – nach dem Erfolg ihres ersten Films, der hier mit einem Goldenen Leoparden und einem Darstellerpreis ausgezeichnet worden ist. Die Filmkritik in der Schweiz zeigte sich vom Charme des Films allerdings weitgehend unberührt. «Träge», «langweilig», «bourgeois», «reduzierter Plot», «konstruiert», «weitgehend spannungslos» oder bestenfalls «ganz in Ordnung», hiess es. Dazu sagt die Regisseurin, man finde eben Zugang zu ihren Filmen oder nicht –  schade für jene, die aussen vor bleiben. Ungewiss bleibt, ob sie mit ihrem neuen Film die letzteren gewinnen wird: «Ich hatte seit langem Lust, etwas sehr Visuelles, Freieres zu machen, das sich nicht so stark an einem narrativen Script orientiert.» «La idea de un lago» ist die Adaption eines Buches mit Gedichten und Fotografien und spricht vor allem mit Bildern und jenseits traditioneller Narration über intime Befindlichkeiten. Milagros Mumen­thaler hat viel Recherchierarbeit geleistet; zuerst mit dem Buchautor über dessen eigene Geschichte, dann in Gesprächen mit Kindern verschwundener Eltern. «Ich habe versucht, dokumentarische Elemente einzubauen und zugleich solches, was sich in ihren Köpfen abspielt», sagt die Regisseurin.

Fürchtet sie die Rückkehr ans Festival, sechs Jahre nach ihrem ersten Spielfilm? «Man fühlt sich immer unsicher, wenn man einen Film präsentiert, es ist kein Vergnügen, eher ein Stress nach all den arbeitsintensiven Jahren, wenn die Leute einen dann beurteilen.» Wie bei Andrea Štaka vor zwei Jahren sind jetzt auch bei ihr die Erwartungen hoch bei der Rückkehr an den Ort ihres Triumphs, mit einem zweiten Film, der weniger narrativ ist als der erste. 

Milagros Mumenthaler versichert, sie habe während der Entstehung des Films nicht daran gedacht, und fügt an, mit leicht herausforderndem Unterton: «Ich habe gemacht, was ich zu diesem Thema und mit diesem Material machen musste.» Ihr ursprünglicher Elan ist ungebrochen, sie arbeitet auf ihre Art, abseits der Filmszene in der Schweiz und auch von jener in Buenos Aires – «ich hänge ein bisschen in der Luft und habe wenig Verbindungen.» Ihre Filmfamilie besteht vorwiegend aus einem engen Kreis: ihrem Mann, der Programmgestalter ist, ihrer Schwester und ihrem Schwager, die ihre Filme produzieren: «Wir sind mit den Kurzfilmen gemeinsam gross geworden. Wir befinden uns im selben Boot, das hat sich selbstverständlich so ergeben. Der Dialog ist vermutlich viel einfacher, weil wir seit Beginn zusammen sind.»

Pascaline Sordet

«La idea de un lago» läuft am Dienstag, 9. August um 14:00 im FEVI, Locarno

 

Der Standpunkt von Bero Beyer

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