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Die Affäre Cinémathèque


31. August 2015

Le nouveau centre d'archivage et de recherche de Penthaz ne pourra ouvrir au plus tôt qu'en 2019 . Qu'est-ce qui a mal tourné ? Comment la situation peut-elle avancer ? Le point de vue des représentants de la branche diffère. Aperçu.

Das neue Archivierungs- und Forschungszentrum in Penthaz kann frühestens 2019 eröffnet werden. Was ist schiefgelaufen, wie könnte es weitergehen? Das sehen verschiedene Exponenten der Branche zwangsläufig unterschiedlich. Ein Überblick. 
 

Von Valerie Thurner

Die Luft im Pressezelt des Filmfestivals von Locarno war drückend heiss, als sich die Leitung des Bundesamts für Kultur an jenem Nachmittag im August den Medien stellte. Das heisseste Thema waren ausnahmsweise weniger die neuen Förderinstrumente, sondern das prestigebehaftete Bauprojekt des Schweizer Films, das erweiterte Archivierungs- und Forschungszentrum der Cinémathèque suisse (CS) in Penthaz. Da stockt es nämlich. Nachdem publik geworden war, dass die Streichung eines Kredits von über 6 Millionen im Frühjahr durch das Bundesamt für Bau und Logistik (BBL) im Zusammenhang mit einem Besuch der Eidgenössischen Finanzkontrolle steht, wollten die Medien nun wissen, wie tief der Graben zwischen den Bundesbehörden und der Leitung der CS eigentlich sei. Den Kredit hätte das Parlament diesen September verabschieden sollen. Daraus wird jetzt vorerst wohl nichts. Die Fertigstellung des Baus verzögert sich noch um mindestens ein weiteres Jahr, erklärt Direktor Fréderic Maire. Übergangslösungen seien nun gefragt (siehe Interview). 
 

Vorwürfe und Altlasten

Die Vorwürfe an die Verantwortlichen des Projektes lasten schwer, was bereits im Frühling aus dem Jahresbericht der Finanzkontrolle des Bundes herauszulesen war. Die Finanzkontrolle rate zu einem Ausgabenstopp, solange keine genaue Archivierungs- und Digitalisierungsstrategie bestehe, heisst es dort. Es sei nicht sinnvoll, ohne eine Bedarfsklärung eine Finanzierung zu bestimmen, kolportierte die Presse. Frédéric Maire zeigte sich aufgebracht und in der Folge beantragten Journalisten, einem kleinen Skandal hinter den Kulissen der Schweizer Kulturpolitik auf der Spur, Einsicht in den gesamten Prüfbericht. Und just, als die Branche so langsam am Lago Maggiore eingetrudelt war, wurde dieser publik. Der darin herauszulesende Interessenkonflikt zwischen der CS und dem Bundesauftrag an das grösste Schweizer Filmarchiv schlug erneute Wellen in der Presse. Von fehlender Digitalisierungsstrategie, intransparenter Auftragserteilung, nicht konsequent ausgeschriebener Beschaffung sowie lascher Buchhaltung war die Rede. «Niemand erwähnt, dass dies eine alte Geschichte ist», sagt Stiftungspräsident Marc Wehrlin. Die fehlende Kosten-Leistungsrechnung wurde nach der Pensio­nierung des damaligen Finanzverantwortlichen eingeführt – was bereits der Kontrollbericht der EFK festhält.» 

Doch bei diesen  Altlasten handelt es sich immerhin um 19,2 Millionen Franken Steuergeldern aus zwei Zusatzkrediten von 2009 und 2011, über deren Verwendung dem BAK aufgrund fehlender Kontrollinstrumente wichtige Informationen fehlen. 
 

Der Fokus auf Helvetica soll es richten

Die BAK-Leitung war auf unangenehme Fragen vorbereitet. Kulturministerin Chassot las vor schwitzenden Journalistenrängen ihre Stellungnahme ab, sie beteuerte, dass bis Ende Jahr die ausstehende Feinabstimmung in der Archivierungsstrategie ausdiskutiert sei. 2013 hatte der Bund eine Kanalisierungsmassnahme festgelegt, künftig nur noch die Sammlung der «Helvetica» zu unterstützen, also der Filme mit starkem Schweiz- Bezug oder von gesamtschweizerischer Bedeutung. Hier fehlten der Finanzkontrolle klar ausgewiesene Kriterien für die Priorisierung, um den Finanzbedarf zu klären. Auf die Frage von Cinébulletin, wie denn ab 2016 diese Helvetica-Kriterien auf den Film angewendet werden sollen, hält man sich beim Bund bedeckt. Die Diskussion könnte allerdings noch für rote Köpfe sorgen. Schliesslich hat die Cinémathèque bisher dem Filmgesetz entsprochen und sämtliche Filme archiviert, die in den Schweizer Kinos liefen. Wie bereitwillig sich die Cinémathèque künftig vom internationalen Schaffen trennt, ist fraglich. Eben erst hat sich die Cinémathèque in Locarno nicht nur mit restaurierten Schätzen des Schweizer Filmerbes, sondern mit einer umfangreichen Retrospektive des Hollywood-Haudegens Sam Peckinpah profiliert. 

«Der Bau von Penthaz hängt nicht von dieser letzten offenen Frage in der Strategie ab», sagt Marc Wehrlin, Präsident der Stiftung, und kann die Aufregung nicht verstehen. «Der wahre Skandal ist, dass der Bund 50 Millionen in ein Projekt investiert, das dann nicht zügig zu Ende gebaut wird». Vielleicht aber doch? Der Finanzkontrolle fehlten offenbar auch konkrete technische Lösungsvorschläge, aufgrund derer überhaupt die Kosten evaluiert werden könnten. Es stünde beim Bund zwar ein EDV-Budget bereit, doch ohne konkretes Informatikprojekt, so der Bericht.

Ziel von Frédéric Maire, seit 2009 oberster Archivar des Schweizer Filmerbes, ist weiterhin die internationale Ausstrahlung der Cinémathèque. Dies auch  dank einem vielseitigen Filmprogramm, teilweise auch in Eigenverleih. Von der Internationalen Vereinigung der Filmarchive wird gemäss Webseite der CS das Archiv als sechstgrösstes weltweit eingestuft, doch scheint es nicht ganz nach Plan zu laufen. Beobachter, die bei den Planungsarbeiten vor acht Jahren dabei waren, monieren laut dem Tages-Anzeiger, dass die Digitalisierungsstrategie letztlich egal war, man wollte einfach die Bundesgelder. Offene Kritik am Projekt ist rar in der hiesigen Branche, zu gross sind wohl die Ängste vor finanziellen Konsequenzen, da die meisten in irgend einer Form vom BAK oder der CS abhängig sind. 
 

Diskussion hinter verschlossenen Türen

Barbara Flückiger, Professorin für Filmwissenschaft und Projektleiterin des Forschungsprojekts Diastor, äussert schon seit Jahren Bedenken am Gedeihen der digitalen Archivierungsstrategie bei der Cinémathèque suisse. Sie stört sich daran, dass die Diskussion hinter verschlossenen Türen geführt wird. «Offenbar liegt ein Soft- und Hardwarepaket bereit, aber ich sehe das nirgendwo ausgeschrieben. Es fehlt eine offene Debatte», sagt Flückiger. «Es macht keinen Sinn, über Finanzierungsmodelle zu diskutieren, bevor nicht eine offengelegte Strategie vorliegt, wie die Langzeitsicherung und die digitale Archivierung ablaufen soll. Es braucht endlich eine vom Bund geleitete nationale Strategie zur Erhaltung und Zugänglichkeit des filmischen Erbes der Schweiz.» 

Braucht es eine analoge Ausbelichtung zur Langzeitsicherung? Beim Bund scheint man bei dieser Frage abzuwarten, bis international erste quantifizierbare Ergebnisse zur Sicherheit der digitalen Langzeitspeicherung vorliegen. Für den Produzenten und Cinémathèque-Stiftungsrat Werner «Swiss» Schweizer bremst diese Grundsatzdiskussion alle weiteren Schritte: «Solange diese nicht geklärt ist, kann auch die Frage, wer für die Kosten aufkommen soll, nicht angegangen werden», so Schweizer. In einem ungewöhnlich unsorgfältig argumentierenden Bericht schliesst die NZZ aus der Rüge des Prüfberichts, dass von der Leitung der Cinémathèque «aufgrund einer Skepsis gegenüber der Computertechnik» falsche Prioritäten in der Langzeitsicherung gesetzt worden seien. Während die Zeitung zu wissen glaubt, wie die adäquate Langzeitsicherung aussehen soll, spaltet diese Frage allerdings Experten weltweit. 
 

Zwei Glaubensrichtungen 

Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt «zwei Glaubensrichtungen», bestätigt auch Christoph Stuehn, Direktor von Memoriav, dem Verein zur Erhaltung des audio­visuellen Kulturgutes der Schweiz. «Die Frage, ob die digitale Variante zum heutigen Zeitpunkt genug zuverlässig und sicher ist, wird auch innerhalb von unserem Netzwerk nach wie vor kontrovers diskutiert.» Frédéric Maire vertritt heute die Position «retour à la pellicule», die doppelte Sicherung, also mindestens eine analoge Kopie auszubelichten und gleichzeitig ein digitales Deponat zu erstellen.  

Das analoge Deponat gesetzlich zu verankern, davon will der Bundesrat aber absehen, solange gar nicht geklärt ist, wie die Langzeitsicherung gelöst werden soll. Für das letzte chemische Labor der Schweiz, Cinégrell, wäre das eine sehr gute Möglichkeit, das Know-how zu halten. Denn die wenigen Restaurationsaufträge von analogen Filmen genügen nicht, um mittel- und langfristig zu überleben . Allerdings sind die Kosten für die Produzenten bei dieser Variante entsprechend hoch. Und einigen reicht zu wissen, dass sie die Daten im eigenen Keller haben und kümmern sich nicht so sehr, was mit ihnen in Lausanne geschieht. 
 

Munteres «Heim-Migrieren» 

So wird hierzulande auch munter in Heimarbeit von einem Format zu nächsten migriert. Das kann aber nicht die Lösung sein, findet Barbara Flückiger. Sie vermisst in der Kulturbotschaft eine Strategie für die digitale Sicherung, was sie in einem Inputpapier bei der Vernehmlassung im letzten Jahr auch klar darlegt. Der bauliche Bedarf von 6 Millionen Franken für ein «digitales Archiv» wird in der Kulturbotschaft speziell hervorgehoben. Der genaue Finanzbedarf für die Digitalisierung war zum Zeitpunkt, als die Kulturbotschaft verabschiedet wurde, aber noch nicht klar. Ein Versäumnis? «Die digitale Archivierung ist momentan eine Pflasterlösung», räumt auch Laurent Steiert vom BAK ein. «Prioritär ist in der nächsten Förderperiode die Aufnahme des Vollbetriebs sowie die Umsetzung eines Sammlungskonzept, das bei der Langzeitarchivierung auch digitale Filmbestände berücksichtigt», so Steiert. «Der zwingende bauliche Bedarf für ein ‹digitales Archiv› wurde in der Kulturbotschaft erkannt und speziell hervorgehoben, inklusive Baubedarf der 6 Millionen. Nicht festgelegt wurde die genaue Präzisierung der Prioritäten, die für die Digitalisierung gestellt werden müssen. Diese detaillierte Strategie, was und in welchem Umfang zu digitalisieren sein wird, bildet nun aktuell Gegenstand von Diskussionen bis Ende dieses Jahr, um die Leistungsvereinbarung mit der Cinémathèque für die nächste Periode zu etablieren», führt Steiert aus. Vorläufig werde man sich mit dieser Übergangslösung abfinden müssen.
 

Wieviel Staat braucht die CS?  

Der Löwenanteil der gesamten Bundessubventionen für die Erhaltung des Schweizer Filmerbes fliessen bekanntlich in die Cinémathèque. Flückiger warnt vor den Folgen der Monopolisierung der Cinémathèque: «Bevor man bei der Verteilung der Mittel über Finanzierungsmodelle innerhalb der Cinémathèque spricht, sollte zuerst eine gesamtschweizerische, vom Bund koordinierte und gesteuerte Strategie entwickelt werden, die auch Förderinstrumente für andere Institutionen und filmtechnischen Betriebe mitberücksichtigt. Die Cinémathèque darf nicht zu einem Nadelöhr werden». 

Deutlich wird auch Andrew Katumba, Co-Präsident des Vereins «Zürich für den Film» und ehemals Geschäftsleitungsmitglied der 2013 von Cinégrell übernommenen Egli-Film. «Mit dem Entscheid, die Cinémathèque weiterhin als eigenständige privatrechtliche Stiftung zu führen und nicht wie von der Branche gefordert als bundeseigener Betrieb, ist das BAK damals ein Risiko eingegangen. Dieser Entscheid war aus heutiger Sicht falsch.» Er fordert einen klaren Strukturentscheid im Hinblick auf ein nationales Kompetenzzentrum, das die Cinémathèque mit Memoriav zusammenführt. «Zudem sollen die konservatorischen Kompetenzen in der Schweiz gestärkt und weiter ausgebaut werden. Die Voraussetzungen hierfür wären in der Schweiz ideal.»

Inwiefern sich der Bund einen Kurswechsel in der Trägerschaft der Cinémathèque erarbeitet, ist zur Zeit nicht bekannt. Auf Ende Jahr zieht sich das BAK aus dem Stiftungsrat zurück, um dem Prinzip der Corporate Governance gerecht zu werden, kündigte Kulturministerin Chassot in Locarno an.
 

Die Frage der Standortförderung  

Die Forderung nach staatlichen Steuermassnahmen zur Standortsicherung in der Schweiz ist komplex. Als Hochlohnland ist es natürlich verlockend, Aufträge ins Ausland zu vergeben, was auch die Cinémathèque im grossen Stil getan hat. Dies aber nicht nur wegen der tieferen Kosten, sondern aufgrund über Jahre ausgewiesener qualitativ hochstehender Arbeit im Bereich Restauration, wie sie das Restaurationslabor L'Immagine Ritrovata in Bologna leistet. Wer entscheidet, inwiefern solche Kompetenzen auch in der Schweiz vorhanden sind und wie frei staatlich subventionierte Institutionen in der Zusammenarbeit mit dem Ausland sind? Christoph Stuehn äussert gegenüber den von Memoriav finanziell unterstützten Projektpartnern zwar den Wunsch, die Gelder in Betriebe der Schweiz zu investieren; es handle sich dabei aber um eine reine Empfehlung, für die es derzeit keinerlei gesetzliche Verpflichtung gebe. 

Heinz Schweizer, Redaktionsleiter Einkauf Film und Serien bei SRF, begrüsst die Standortförderung für Schweizer filmtechnische Betriebe. Er ist an der Rettungsinitiative der Schweizer Labore beteiligt und arbeitet zusammen mit Cinégrell auch aktuell an einem Restaurationsprojekt mit der CS. «Seit sowohl Kino und Fernsehen auf digital umgestellt haben, ist die Kooperation zwischen SRF und Cinémathèque intensiver geworden, diese Zusammenarbeit ist fruchtbar», sagt Schweizer, «so lernen beide von einander.» Laborinhaber Richard Grell bestätigt dies; er wünscht sich nach wie vor von der Leitung der Cinémathèque eine transparentere Ausschreibung der Auftragssituation.
 

Eine komplexe Debatte   

Die Fertigstellung des neuen Schweizer Archivierungs- und Forschungszentrum ist also an eine komplexe, mehrschichtige Debatte geknüpft. Vom BAK sind hier bald Entscheide gefragt, die wohl nicht alle zufrieden stellen werden. Die Diskussion, wie man den prioritären Auftrag, ein gesamtschweizerisch relevantes Archiv und Forschungszentrum und den lokal wirkenden Vermittlungsbetrieb unter einem Dach vereinigen will, geht weiter. Schade wäre, wenn dieser inzwischen öffentliche Interessenkonflikt jenen Parteien im Land Aufwind geben würden, die regelmässig Sparmassnahmen im Kulturetat des Bundes fordern.

 

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