MENU Schliessen

Artikel

Der filmische Datenstrom ins Kino

Kathrin Halter
07. November 2016

Onlinetransfer heisst die neue Methode, mit der Filme heute meist in die Kinos gelangen. Vor allem zwei Anbieter machen sich im Schweizer Markt den Platz streitig, zudem sind sich Verleiher und Kinobetreiber bei der Aufteilung der Kosten noch uneins.

Von  Kathrin Halter

Will ein Verleiher einen Film ins Kino bringen, braucht es die Post nicht mehr. Immer noch werden Digital Cinema Packages (DCP) auf Festplatten in einem gepolsterten Köfferchen herumgeschickt. Immer häufiger aber gelangen die Datenpakete, sicher verschlüsselt, über ein digitales Netzwerk zu den Kinobetreibern. Onlinetransfer heisst die neue Dienstleistung. Angeboten wird sie zum Beispiel von Diagonalfilm, einem digitalen Filmlabor in Zürich, mit 171 von insgesamt 257 Kino­standorten heute ein wichtiger Anbieter in der Schweiz. Die Datenmengen, die versandt werden, sind enorm: ein Film kann je nach Fassung zwischen 100 und 500 Gigabyte gross sein.

Für Verleiher und Kinobetreiber ist das Handling einfach: Martin Aeschbach, technischer Leiter von Diagonal, demonstriert den Ablauf bei einem Besuch am Firmensitz in Zürich: Das DCP wird bei Diagonal zuerst fürs Datenzentrum aufbereitet und ins System geladen. Dann wählen sich die Verleiher sich über filmservice.net in das Interface der Firma ein. In einer Liste sind sämtliche Filme, ihre Sprachfassungen, Untertitel, alle Kinostandorte und Säle aufgeführt. Verleiher wählen die gewünschte Kombination aus, gebucht wird per Mausklick. Auch die Kinobetreiber haben jederzeit Einblick, auch wann die Filme im Kino eintreffen werden. 

Mit der Buchung werden die Filmdaten automatisch auf den lokalen Server des Kinos überspielt – und zwar als einmalige Datenlieferung aus einem Rechenzentrum in Rümlang. Wie lange der Onlinetransfer dauert, hängt von der Qualität der Leitungen zum Kino ab: über das Glasfasernetz etwa 30 Minuten bis zwei Stunden, bei langsamen DSL-Leitungen eine ganze Nacht.
 

Das Schweizer-Argument

Thomas Jörg, Geschäftsleiter von Diagonal, spricht von einer Innovation: Dass der Transfer so stabil sei und auch mit langsamen Leitungen funktioniere, das biete sonst niemand an. Zusätzlich zum Rechenzentrum in Rümlang, wo sich Diagonal eingemietet hat, gibt es nämlich alternative Verteiler – für den Fall, dass das Rechenzentrum einmal ausfiele. Und falls es in einem Kino einmal einen Netzwerkausfall gibt, wird einfach eine Festplatte verschickt – oder jemand kommt vorbei, das gehört zum Service. Ihr System hat das 2004 gegründete Zürcher Unternehmen (10 Mitarbeiter) speziell für die Schweiz konzipiert. Die Software und das dazugehörige Gerät für die Kinos haben sie in den letzten vier Jahren entwickelt. 

Auf ihrem Geschäftsfeld konkurrenziert wird Diagonal von Gofilex, dem zweiten wichtigen Player in der Schweiz: Die Kitag und Arena Cinemas, nach Pathé die beiden grössten Kinoketten der Schweiz, setzen auf die holländische Firma mit Ablegern in Finnland, Deutschland und der Schweiz. Marktführer Pathé lässt den Verleihern offenbar die Wahl, welches Transfersystem sie beauftragen möchten. Die Kitag und die Arena Cinmas legen den Verleihern hingegen nahe, mit Gofilex zu arbeiten. 

Laut Martin Aeschbach von Diagonal geht es um die Zukunft der Filmdistribution in der Schweiz: «Die Frage ist doch: Will man die technische Grundlage ohne Not ins Ausland exportieren oder eine in der Schweiz entstandene Lösung und Arbeitsplätze im Land behalten.» 
 

Die Entwicklung ist unumkehrbar

Spricht man mit Verleihern und Kinobetreibern über Onlinetransfer und dessen geschäftspolitische Implikationen, ergibt sich – einmal mehr – das Bild einer Branche, die sich nicht einig wird. Es gibt Angefragte, die Wert auf einen Schweizer Anbieter legen und finden, es sollte den Verleihern überlassen sein, zu entscheiden, mit wem sie arbeiten wollen. Ihren Namen wollen aber nicht alle im Heft lesen; auch Fragen zu den präzisen Kosten bleiben meist unbeantwortet. Andere sehen das Ganze entspannter oder berufen sich auf den freien Markt (und seine Geschäftsgeheimnisse). 

Da geht es einerseits um die praktischen Aspekte einer technologischen Neuerung. Ist es für Verleiher und Kinobetreiber sinnvoll oder machbar, mit mehreren Systemen verschiedener Anbieter zu arbeiten? Wie sieht es mit der Sicherheit aus? Und wie mit der Kostenfrage? Unklar bleibt, wieviele Anbieter sich behaupten werden und wie die Entwicklung, technologisch gesehen, weitergeht. Einig ist man sich nur gerade darin, dass die Entwicklung unumkehrbar ist – niemand sehnt sich danach zurück, DCPs wieder (ausschliesslich) per Post herumzuschicken. 
 

Positionen von Kinobetreibern

Edi Stöckli, Besitzer der Arena Cinemas, sagt, die Praxis sei immer noch hybrid: Es gebe Verleiher, die Festplatten schicken, andere, die auf Onlinetransfer setzen. Es seien aber letztlich die Verleiher, die den Vertriebs­partner wählen respektive entscheiden, mit welchem Anbieter sie zusammenarbeiten – einen grossen Teil ihres Umsatzes macht die Kinokette mit den Mayors, den grossen amerikanischen Verleihern. Patrick Tavoli, Geschäftsführer der Arena Cinemas, betont zudem: «Das ist ein freier Markt, jeder kann tun, was er will. Zudem können Verleiher ja weiterhin auch DCPs schicken, wenn sie wollen.» 

Beat Käslin, Geschäftsführer der Zürcher Arthouse-Kinos. In der Zürcher Innenstadt, wo die Kinos der Arthouse-Gruppe liegen, existiert zwar noch kein Glasfasernetz. Technische Probleme mit dem Onlinetransfer gibt es trotzdem keine. Hingegen wird jedesmal ein neuer Transfer fällig, wenn ein Film der Arthouse-Gruppe von Kino A zu Kino B wechselt (die Arthouse-Kinogruppe ist kein Multiplex, sondern zählt mehrere Standorte in der Zürcher Innenstadt). «Unser Standpunkt ist, dass wir für den Transfer eines Films nicht mehrmals bezahlen können.» Zur Kostenaufteilung mit den Verleihern sagt Käslin: «Das Ziel ist, dass sich die Kinos an den Transfer-Kosten dereinst nicht mehr beteiligen müssen, weil die Kopienkosten für die Verleiher stark gesunken sind, die Transfer-Kosten vermutlich noch niedriger werden und das Handling und die Kopienlogistik so viel einfacher geworden sind». 

Res Kessler, Co-Geschäftsleiter der Neugass Kino AG (Kinos Riffraff, Bourbaki und Houdini) wünschte, die Verleiher könnten sich auf einen Anbieter einigen. Da die Verleiher die Dienstleistung bezahlen, müssten sie eigentlich selber entscheiden dürfen, wen sie beauftragen wollen. Als Kinobetrieb habe man aber kein Interesse daran, mit immer neuen Geräten und Systemen zu arbeiten. Wobei das kein Platzproblem, sondern eher ein Infrastruktur- und ein Sicherheitsproblem darstelle: So wollte man nicht, dass der Anbieter in das EDV-System des Kinos eingreift. Nun werden die Filme auf ein externes System geladen und vom Techniker ins interne Kinosystem kopiert. Ob der Anbieter aus der Schweiz oder aus Holland stamme, sei nicht so wichtig, solange es keine Sicherheitslücken gebe.  
 

Stimmen von Verleihern

Anders sieht es für einen kleinen Verleih wie Look Now aus. Inhaberin Bea Cuttat legt grossen Wert auf einen lokalen Dienstleister, der sich in der hiesigen Branche auskennt, gut erreichbar ist und in den oft komplexen technischen Belangen in den Landessprachen angegangen werden kann. Was ihr zusetzt, sind die Kosten: Der Onlinetransfer, wie die Digitalisierung überhaupt, habe nur die Arbeit der grossen Verleiher, die oft mit über hundert Kopien gearbeitet haben, stark vergünstigt. Kleine Verleiher wie Look Now profitierten finanziell bis jetzt nicht davon. «Wir können zwar schneller, einfacher und flexibler auswerten, nehmen unter dem Strich aber nicht mehr ein.» Der Onlinetransfer kommt sie sogar teurer als das vorherige Modell. Deshalb schickt sie jenen Kinobetreibern, die keinen Anteil daran bezahlen wollen, weiterhin eine Festplatte. Dass Kinobetreiber jetzt teilweise von den Verleihern verlangen, die ganzen Transfer-Kosten alleine zu begleichen, findet sie unfair, da auch die Kinoseite durch das digitale Beliefern Stunden und Personal einsparen kann. 

Auch die Filmcoopi schickt laut Felix Hächler nach wie vor Harddiscs per Post. Und zwar immer dann, wenn das Kino sich nicht an den Kosten für den Onlinetransfer beteiligen will. Das sei im Übrigen eine Frage des Verhandelns: 80 Prozent der Kinos hätten bereits eingelenkt. Er habe ein grosses Interesse daran, dass ein Schweizer Anbieter überlebe; ein DCP würde er sicher nicht nach Holland schicken. Wenn eine ausländische Firma aber einen Ableger in der Schweiz habe – weshalb nicht? Und zum Onlinetransfer generell: «Das ist die Zukunft, die gestern angefangen hat. In zwei Jahren wird es nichts anderes mehr geben.»  

Bei Universal arbeitet man erst seit kurzem mit Online-Delivery, wie Philipp Dutler, Sales Manager bei Universal, die Technik nennt; die Tests seien aber gut gelaufen. Die Entwicklung sei logisch und unaufhaltbar – und werde sicher noch weiter gehen. Online-Delivery sei vermutlich nur eine Zwischenlösung, in Zukunft werde wohl ge­­streamt werden. Durchsetzen werde sich das Streaming aber erst, wenn es ein breites Glasfasernetz gebe; heute seien die Leitungen noch zu wenig gut. 

Philipp Dutler erinnert auch daran, dass Liveanlässe wie Opernübertragungen bereits jetzt schon ins Kino gestreamt werden, teils ab Satellit, teils mit Glasfasernetz. Der Vorteil von Streaming wäre, dass man nicht mehr so enorm grosse Datenmenge herumschicken müsste wie beim Transfer. Es gebe Anbieter, die das Onlive-Delivery deswegen bewusst ausliessen und noch abwarten. Ein Sicherheitsproblem sieht er beim Onlinetransfer keines: Die Sicherheit sei nicht kleiner als beim Verschicken von Harddiscs; das Kino könne den «Content» sowieso nur mit dem Freischaltschlüssel des Verleihs abspielen. 

Originaltext: Deutsch 

 

«Es ist eine grosse Diskussion»

Kathrin Halter
07 November 2016

Als das Lobbying entdeckt wurde

Bettina Spoerri
07 November 2016

Die virtuelle Realität in der Werbung

Pascaline Sordet
07 November 2016

Weil das Alter Freiraum lässt

Pascaline Sordet
07 November 2016

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife