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Artikel

Als das Lobbying entdeckt wurde

Bettina Spoerri
07. November 2016

Ein Buch schildert die Geschichte des Vereins «Zürich für den Film» – und erzählt von der Entstehung der Zürcher Filmstiftung wie von Kämpfen und Wandlungen der Filmpolitik in den letzten vier Jahrzehnten.
 

Von Bettina Spoerri

Eigentlich ist die Geschichte kaum erzählbar. Wollte man sie in der Dramaturgie eines Drehbuchs fassen, müsste man die vielschichtigen Vorgänge auf Schlüsselszenen, einen narrativen Faden reduzieren, um eine Fiction-­Förderkommission zu überzeugen. Doch eine Reduktion der Komplexität bedeutete einen grundlegenden Eingriff in die Vorgänge. Vielleicht böte eine dramatische Vorabend-Serie die Möglichkeit, um die Auseinandersetzungen der vielen Akteure im und um den Verein «Zürich für den Film», die politische Arbeit auf allen Ebenen für eine Stärkung der Filmförderung, die basisdemokratischen Diskussionen, die Ideen und Vorstösse, die Finten und Intrigen, Freude und Triumph, das Wechselbad von Angst, Ernüchterung und Hoffnung bei allen Beteiligten darzustellen.
 

Privatarchive, Protokolle,  Erinnerungen

Nichtsdestotrotz hat der Filmhistoriker Thomas Schärer die Herausforderung angenommen, als er vom Verein «Zürich für den Film» angefragt wurde, ein Buch über dessen mittlerweile 32-jährige Geschichte zu schreiben – eine Geschichte, die auch eng mit der Gründung der Zürcher Filmstiftung verknüpft ist. Es galt, in die privaten Archive von (ehemaligen) Vereinsmitgliedern und Kulturförderern zu steigen, Stapel von Ordnern mit Dokumenten und Sitzungsprotokollen zu durchforsten,  die mündliche Erinnerung und Überlieferung einzufangen, abzuwägen, zu verschriftlichen – und sich dabei manchmal für eine Version zu entscheiden. Dass sich einige der Protagonisten heute nicht (mehr) freundschaftlich gegenüberstehen, machte diese Arbeit umso diffiziler.

Das Resultat dieser Recherche ist nicht nur aus historischer Sicht auf die Vergangenheit, sondern heute auch deshalb so interessant, weil zurzeit wieder eine kulturpolitische Vorlage, die gesetzliche Verankerung einer Film- und Medienstiftung, zur Debatte steht. Der Blick zurück in Form einer Buch-Erzählung ist Geschichtsschreibung und kann zum einen als Selbstvergewisserung des Vereins «Zürich für den Film» und anderer Mitbetroffener dienen.  Zum anderen vermittelt er einen Einblick in einen gelungenen Kampf, der in der Gründung der Filmstiftung endete. Und der aus einem Kreis initiativer Kulturschaffender hervorging, die sich auf dem politischen Parkett behauptet haben. Das vom Verein «Zürich für den Film» herausgegebene Buch präsentiert die Tour dʼHorizon in zwei sehr unterschiedlichen Hauptteilen. Einer kurzen Vorrede folgt die Nacherzählung der Vereinsgeschichte als chronologische Rekonstruktion; ein umfangreicherer Teil ist sechzehn persönlichen Porträts von Filmschaffenden und ausgewählten Figuren aus Filmförderung/Politik gewidmet, gefolgt von einem knapp gehaltenen Resümee des Autors. An dem Konzept dieses Aufbaus spiegelt sich das Bewusstsein des Historikers, dass die Zusammenhänge der Geschichte eines Kollektivs nie nur aus einer Perspektive dargestellt werden können. Was im ersten Teil durch gelegentliche Seitenbemerkungen aufgebrochen ist, etwa durch kritische Zwischenrufe von Valerie Fischer (VS-Mitglied/Sekretärin des Vereins, heute Produzentin), wird in den Porträts zu einem multiperspektiven Bild.


Die bewegten Achtzigerjahre

Im ersten Teil erfährt man, warum und wie sich «Zürich für den Film» formiert hat und welche Ziele man in dieser offenen Formation schon früh zu verfolgen begann: mehr Gewicht, mehr Anerkennung, mehr finanzielle Förderung – aufgeweckt durch die (abgelehnte) Einzelinitiative des SP-Politikers Franz Schumacher. Thomas Schärer nimmt uns mit in die bewegten 1980er Jahre, auch in Form von Flugpapieren, Plakaten, Fotografien aus jener Zeit, als alle, die man heute kennt, eben tatsächlich erstaunlich jung waren. Deutlich wird im Rückblick, dass neben den Impulsen der Aufbruchsjahre mindestens ebenso entscheidend die harte Haltung Alfred Gilgens war, des gefühlt fast ewigen Zürcher Regierungsrats (und Leiters der Erziehungsdirektion), der als Feindfigur funktionierte und die Widerstandskraft gegen die Diskriminierung nicht-etablierter Kunstsparten und Orte schärfte. Mit Rolf Lyssy als erstem Präsident des Vereins ab 1984, mit «Die Schweizermacher» zu einer prominenten Figur geworden, begann sich das Rad zu drehen, die ersten, wichtigen Pflöcke auf dem Weg zum Erfolg wurden eingeschlagen. Geradezu kriminalistisch spannend wird die Geschichte, wenn Peter Hürlimann (Gründer von Cinerent) mit Beharrlichkeit und Cleverness jenen aus heutiger Sicht geradezu sagenumwobenen Geld-Topf findet, den «Fonds für gemeinnützige Zwecke» der interkantonalen Landeslotterie, von dem niemand so richtig weiss, und der hervorragend geeignet ist für Film-Förderzwecke, weil der Zweck genügend unspezifisch definiert.
 

Die Porträts

Es folgen die Mobilisierungen der Folgejahre, der Aufbau des Argumentariums für mehr Filmförderung, welches sich – dadurch ein Kind seiner Zeit – zunehmend auch wirtschaftliche Begründungen (Besucherzahlen, Wertschöpfung, Standort) zu eigen macht. Martin Rengel, Isolde Marxer, sodann Andres Brütsch sind die Präsident/innen des Vereins in diesen Jahren, Filmfeste werden gefeiert, um das Netzwerk auszuweiten, politisches Lobbying wird vom Schimpfwort zum Erfolgsrezept. Am anschaulichsten sind in dieser Schilderung des steinigen Wegs zum Durchbruch – dem Quantensprung in der Zürcher Filmförderung und der Gründung der Filmstiftung – oft Nebenbemerkungen; so etwa, wenn die «Entflechtung von Sitzung und Abendessen» gefordert wird, Zuspätkommende nicht alles nochmals aufrollen sollen, Politiker im entscheidenden Moment durch Abwesenheit glänzen (müssen) oder Exponierte den Rücktritt einreichen, weil sie sich endlich wieder der Kunst widmen wollen. Thomas Schärer zeichnet die Verflechtungen von Verein und Filmstiftung auch bis ins Heute nach.

Man kann sich die Diskussionen im Verein umso lebhafter vorstellen, die Befindlichkeiten, die Tonfälle, die Kontroversen, wenn man die Porträts im zweiten Teil liest. Die ehemaligen Präsidenten, die Filmautoren Rolf Lyssy, Martin Rengel, Andres Brütsch, Samir und der Produzent Simon Hesse, kommen hier zu Wort (übrigens nicht die zwei Präsidentinnen Isolde Marxer und Simone Häberling, die, so liest man, einen eher schweren Stand hatten, aus unterschiedlichen Gründen: eine nicht kommentierte editorische Gewichtung). Drei Persönlichkeiten, die keine Filmschaffenden sind, haben aufgrund ihrer Verdienste um die Filmförderung Eingang in die Reihe gefunden: Susanna Tanner (bis 2014 17 Jahre Leiterin kantonale Kulturförderung), der SP-Politiker Markus Notter und Daniel Waser (Geschäftsleiter Filmstiftung seit Anbeginn). Die Auswahl der weiteren Porträtierten erschliesst sich nur teilweise; Christoph Schaub oder Franziska Reck haben sich früh schon im Verein engagiert, andere wurden dagegen ausgewählt, so Schärer, um «Varianz in Bezug auf Jahrgänge, Erfahrungsbereiche, das Ausmass des Engagements in der Filmpolitik und das Geschlecht» zu garantieren.
 

Wenig Vertrauen in Förderkommissionen  

Dass hier oft Argument gegen Argument, Behauptung gegen Behauptung steht, Widersprüche nicht diskutiert werden (und in Porträttexten nicht können), ist oft anregend, manchmal aber nicht sehr ergiebig, und, wenn es persönlich wird, eher bedauerlich. Insofern aber sind die Porträts als Kaleido­skop ein Abbild der Auseinandersetzungen, wie sie weiterhin geführt werden, zwischen Filmautoren und Produzenten oder zwischen Pragmatikern und Vorsichtigen, Warnern, Träumern, Machern. Gemeinsame Nenner sind wenige auszumachen; es ist verständlich, aber ernüchternd, dass zum einen den Förderkommissionen wenig bis kein Vertrauen entgegen gebracht wird (deshalb ist das Intendantenmodell gefürchtet), zum anderen aber auch kaum jemand die Verantwortung übernehmen möchte, in einer Kommission einzusitzen. Expert/innen aus dem Ausland sind für viele der beste Ausweg aus dem Dilemma. Die an je einem Tag geführten Porträt-Interviews weiten das Feld auf Gender-/Quotenfragen oder transmediale Produktionen und lassen von Filmprojekten in Arbeit erfahren. Zurück bleibt der Eindruck der Momentaufnahme einer heterogenen Topografie unterschiedlichster Individuen. Und dennoch das Gefühl, dass sich einige von ihnen in einem nächsten politischen Kampf engagieren werden, geht es doch um nicht weniger als die eigene Existenz. 

Originaltext: Deutsch

Thomas Schärer: Kultur, Geld und Interessen – Filmpolitik in Zürich. Hg. vom Verein Zürich für den Film. Verlag Hier und Jetzt, Baden 2016.

Bettina Spoerri leitet das Aargauer Literaturhaus, ist Schriftstellerin und Filmkritikerin.  

 

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