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Nein, wir bilden nicht zu viele aus!


07. November 2016

Sind die Filmstudentinnen und -studenten an der Fachhochschule (1) für den Einstieg in den Audiovisionsbereich gerüstet? Bereitet die Ausbildung im Bachelor- und im Master-Lehrgang sie auf ein Leben nach der geschützten Studienzeit vor?

Die Besonderheit der Schweiz ist, dass sie keine Filmschulen mit spezifischen Ausbildungsrichtungen kennt. Die Filmabteilungen sind alle einer Kunsthochschule angegliedert, die auch andere Studienrichtungen anbietet, und ihre Besonderheit ist, dass sie sich mit Film generalistisch auseinandersetzen. Das heisst, die Studenten lernen Filme­machen und erwerben damit die nötigen technischen Fertigkeiten, um sich entfalten und ausdrücken zu können. Zwar verlassen unsere Studentinnen und Studenten ihren BA-Studiengang nicht als Cutter, Kamerafrau, Drehbuchautor oder Tontechnikerin (im Masterlehrgang gibt es zwar einige Spezialisierungen), doch jede und jeder beherrscht die Ton- und Bildaufnahme, das Schreiben von Texten und Drehbüchern, das Editing und die Planung der Postproduktion. Als übergeordnetes Ziel sollen die Studenten in der heutigen Welt Fuss fassen und die Fähigkeit entwickeln, diese mit kreativen, innovativen, klaren und fantasievollen Geschichten zu bereichern. Um dann mit ihren Filmen eine schöpferische Praxis und eine Reflexion zum Ausdruck zu bringen, die, inmitten der audiovisuellen Flut, von ihrer Verantwortung als Citoyens zeugt. 

Schön und gut, aber gibt es nicht zu viele Schulen, die zu viele Diplome an junge Studenten vergeben, von denen manche keine Arbeit finden werden?

Absolut nicht. Es gibt durchaus ein Leben nach der Schule: glückliche Fügungen, weiterführende Wege, Berufskarrieren, die sich den Absolventen eröffnen oder die sie sich in einem Markt – der zugegebenermassen eher klein ist – selber aufbauen. Ist der Markt denn wirklich gesättigt? Bedauert man nicht vielmehr, dass es bei uns in der Westschweiz wie auch jenseits unserer Grenzen zu wenig Cutterinnen und Cutter und zu wenig Techniker mit spezifischer Ausbildung und Erfahrung gibt? Eine statistische Untersuchung wäre angebracht und könnte als Basis für eine gut dokumentierte Bestandesaufnahme dienen.

Fakt ist: Christi Puiu präsentierte dieses Jahr «Sieranevada» in Cannes; er ist einer der bedeutendsten Vertreter des neuen rumänischen Kinos und wurde an der Ecole d’Art in Genf ausgebildet. Von den zahlreichen Abgängern in letzter Zeit sei Basil da Cunha erwähnt. Noch vor Erhalt seines Diploms realisierte er Filme, die schon bald die Aufmerksamkeit internationaler Festivals erregten. Im Moment dreht er die zweite Staffel einer Fernsehserie. Sergio Da Costa und Maya Kosa machen seit fast zehn Jahren Filme, die regelmässig an europäischen Festivals vorgeführt werden. Beispielsweise «Rio Corgo», ihr jüngster Essay im Spannungsfeld zwischen Dokumentarfilm und Fiktion. Er wurde vielerorts gelobt und sogar in The Hollywood Reporter besprochen! Sophie Perrier arbeitet fest im Team von Fonction:Cinéma in Genf und plant nebenbei einen abendfüllenden Film. Ulrich Fischer hat seit Ende der 90er-Jahre seine eigenen Produktionsstrukturen  geschaffen und ist ein Vorreiter der digitalen und interaktiven Gestaltung städtischen Raums. Jean-François Vercasson hat zehn Episoden einer Serie vorbereitet, die am Festival Tous Ecrans 2016 gezeigt wurde und für das Fernsehen bestimmt ist. Alice Riva arbeitete auf dem Set des neusten, wunderbaren Films «Cemetery of Splendour» von Apichatpong Weerasethakul, der unserem Departement nahesteht, während Aurélie Mertenat Yves Yersin bei seinem letzten Film, «Tableau Noir», assistierte. Andere Absolventen unserer Schule spezia­lisieren sich auf unterschiedlichste technische Bereiche oder arbeiten als Programmgestalter, soziokulturelle Animatoren oder Lehrkräfte in verschiedenen Institutionen.

Häufig begleitet das Département Cinéma die ersten Schritte ausserhalb seiner Mauern, bleibt weiterhin eine anerkannte Anlaufstelle und ist eng mit dem Filmschaffen vernetzt, indem es zumal mit Schweizer Berufsleuten im Austausch steht und sie regelmässig einlädt, Workshops zu leiten. Die Ausbildung, die wir anbieten, soll ein Fenster zur Welt öffnen, ein Ort sein für Experimente, Versuche, für Begeisterung und für essayistische Visionen, die sich zwangsläufig an allen möglichen Widerständen stossen werden – spannende und wichtige Lernprozesse! Es geht um einen Humanismus heute, um eine wertvolle Zeit, die nie verloren ist, solange wir uns darin üben, unser Bewusstsein und unsere Visionen zu bündeln, damit wir uns im heutigen Leben behaupten können. Indem wir uns Fragen stellen zur Welt, zu ihren Geschichten und Utopien und dadurch lernen, uns mit ihr auseinanderzusetzen und ihr Gegenbilder entgegenzusetzen.

Jean Perret, Leiter des Département Cinéma / cinéma du réel HEAD – Genève

Originaltext: Französisch

 

(1) Die BA- und MA-Studiengänge in Film können in der Schweiz an den Fachhoch­schulen in Genf (HEAD), Lausanne (Ecal), Luzern (HSLU) und Zürich (ZHdK) besucht werden. Die Ecal und die HEAD bieten gemeinsam eine ­Master-Ausbildung HES-SO in Film an.

 

Duo Maxima

Kathrin Halter
20 September 2016

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