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«Erfolg konnte nichts Gutes bedeuten»


20. September 2016

Marcel Hoehn wird am Zurich Film Festival für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der Produzent über sein Selbstverständnis, das schlechte Ansehen der Produzenten in den Siebzigerjahren und die Generation des Neuen Schweizer Films.

Das Gespräch führte Kathrin Halter

Wann hat ihre Leidenschaft fürs Kino gezündet? 
Mitte der Sechzigerjahre an der Kantonsschule Enge, wo wir anfingen, in den Ferien Kurzfilme zu realisieren. Und dann im Zürcher Mittelschulfilmclub, wo ich im Vorstand war und nach der Matura auch Präsident. Die Filmprogramme liefen jeweils am Mittwoch Mittag im Kino Corso, in einem Saal mit über 1’000 Plätzen – was nicht zuletzt deshalb so attraktiv war, weil an den Mittelschulen die Geschlechter getrennt waren und man sich dort treffen konnte. Die Filme haben wir teils selber importiert. 
Wichtig waren auch die Schweizer Film­arbeitswochen in jener Zeit. Sie fanden in den Herbstferien in Leysin oder Brunnen statt. Da wurde viel debattiert, es war aber auch sehr lustig. Man traf dort jene Filmer aus der Romandie und der deutschen Schweiz des «jungen Schweizerfilms» die sich gerade zu etablieren begannen. Es war die Epoche der Nouvelle Vague, des Free Cinema und der neuen Wellen aus Osteuropa – ich habe pro Jahr nie mehr so viele Filme geschaut wie damals. 

Wie haben Sie die politisierten Jahre
um 68 erlebt?

Natürlich ging auch ich an die ersten Solothurner Filmtage, wo alles politisiert wurde. Obwohl mich die Debatten interessierten, hat es mich auch genervt, man durfte ja kaum lachen. Alles war so kopflastig, humorlos. Auch Daniel Schmid kam da bekanntlich unter die Räder. Ich sah die Welt schon damals nicht schwarz-weiss. 

Weshalb wollten Sie Produzent und nicht etwa Regisseur werden? 
Das wollte ich eigentlich zuerst. 1970-72 arbeitete ich bei Condor-Film, wo ich verschiedenste Funktionen von der Pike auf kennenlernte und Werbefilm-Regie machen konnte. Dann wurde ich freischaffend – hatte aber irgendwann die Nase voll. So beschloss ich, statt zu jammern und andere zu kritisieren, es selber besser zu machen und eine eigene Firma zu gründen. Ich erklärte einfach eines Tages, ich bin jetzt Filmproduzent. Lernen konnte man das ja nicht. T&C Film wurde dann 1976 gegründet.

«Die Schweizermacher» sind, neben «Les ­petites fugues», der einzige grosse Publikumserfolg im Neuen Schweizer Film. Darauf wurde damals in der Filmszene auch misstrauisch reagiert, wie wenn sich Qualität und Erfolg per se ausschliessen würden. Wie haben Sie das erlebt? 
Ja, das war so, Erfolg konnte nichts Gutes bedeuten. Als «Die Schweizermacher» einige Monate nach dem Kinostart in Locarno gezeigt wurde, schimpfte Alain Tanner gegen diesen «Kommerzfilm». Renato Berta hingegen gratulierte und empfahl mir, mich nicht beeindrucken zu lassen, das hat mich aufgestellt. Auch beim Bund gab es ja kein Geld für jenen Film, weil man fand, über ein so ernstes Thema könne man keine Komödie drehen. Das hat uns allerdings nicht abgeschreckt – damals hatte ich ein viel grösseres Selbstbewusstsein als heute (lacht). Ich wollte immer Kino mit Anspruch produzieren und damit auch Erfolg haben. Auch insofern waren «Die Schweizermacher» grosses Anfängerglück. 
Irgendwann hat das Klima aber geändert und man hat aufgehört, über Erfolg zu «schnöden», denn letztlich wollten ihn doch alle. Man darf auch nicht vergessen, wie erfolgreich die Tanner- und Goretta-Filme waren! Weltweit und besonders auch in der Deutschschweiz – viel mehr als in der Romandie. 

Wie angesehen war der Produzentenberuf in den Siebzigerjahren? 
Damals gab es in der Deutschschweiz eigentlich keine Kinospielfilmproduzenten mehr. Während die Welschen mit Produzenten arbeiteten, produzierten sich die Deutschschweizer Autorenfilmer zuerst selber. Produzenten gegenüber war man, wie in Deutschland, enorm misstrauisch. Man hat auch die Nase gerümpft, weil Rolf Lyssy mit einem Produzenten arbeitete. Das Bild wurde von Patrons alter Schule geprägt. Rolf Lyssy hingegen war pragmatisch. Ihm war klar, dass das Produzieren und das Regieführen verschiedene Jobs sind. Und Daniel Schmid wollte sowieso nie selber produzieren. 

Wie begreifen Sie ihre Aufgabe, über das Selbstverständliche hinaus? 
Es gibt Produzenten, die kümmern sich in erster Linie um das Finanzielle. Für mich war das Produzieren immer ein kreativer Beruf. Kreativität braucht es manchmal auch bei der Budgetierung und Finanzierung, um schlaue Lösungen zu finden. Zum Bauen eines Films gehört aber genauso der inhaltliche Dialog mit Autoren und Regisseuren; das hat mich zunehmend interessiert. Auch bei den Drehbüchern habe ich immer mitgedacht, obwohl ich kein Dramaturg bin. Jede Etappe der Stoffentwicklung wurde intensiv diskutiert. Und manchmal ist man als Produzent auch Therapeut, besonders für die Equipe. Dann war mir die Auswertung der Filme sehr wichtig: eine gute Zusammenarbeit mit den Verleihern und Kinos; dazu kam der Weltvertrieb, welchen wir zum Teil selber machten. Ohne diese intensive Arbeit hätte die Firma nicht vierzig Jahre überlebt.

Sie sind einigen Filmschaffenden treu geblieben, haben von ihnen fast alle Filme produziert. Wie wichtig sind Freundschaften?
Ein wichtiger Teil meines Jobs ist es, zu verstehen, wie meine Gesprächspartner funktionieren. Und wie ich dazu beitragen kann, dass sie das Beste aus sich herauszuholen können. Daraus entwickelte sich eine Philosophie, die besagt: Das Ziel ist der Film. Nicht die Eitelkeit von irgendwem. Und ja, es gab und gibt auch Freundschaften, besonders mit Daniel Schmid und Christoph Schaub. Der Tod von Daniel 2006 hat tiefe Spuren hinterlassen, ich habe das nie richtig verdaut. Christoph Schaub wiederum war, auch charakterlich gesehen, immer eine Art Gegenprogramm zu Daniel (lacht). Bei beiden gab es dieses tiefe Vertrauen. 

Wie sehr hat sich ihr Beruf verändert in den letzten vierzig Jahren? Trifft das Schlagwort von der «Professionalisierung» zu? 
Ja, das kann man sagen. Jetzt aber jetzt scheinen mir die gemachten Fortschritte wieder in Frage gestellt. Es gibt zu viele Filmproduzenten und Regisseure, zu viele Filme – von allem zu viel. Allein im Welschland gibt es über 200 Produktionsfirmen! Zugleich gibt es nicht mehr genügend Firmen, die kontinuierlich arbeiten können. Das ist nicht nachhaltig. So wie ich T&C Film gemanagt habe, wäre das heute nicht mehr möglich: Mit langjährigen Mitarbeitern und dem Anrecht, anständig bezahlt zu werden. Viele Firmen arbeiten zunehmend mit Praktikanten, weil sie billig sind. Eine gute Ausbildung ist trotzdem wichtig und sinnvoll – wenn sie eine Zukunftsperspektive ermöglicht.

Was wäre heute in der Förderpolitik
ihr grösstes Anliegen?

Die Filmbranche verhält sich nicht anders als die übrige Schweiz. Was ich in diesem Land vermisse, ist Reformfähigkeit. Jeder schaut nur darauf, ob ein Reformprojekt für ihn persönlich Vor- oder Nachteile hat, je nachdem ist man dann dafür oder dagegen. Meistens fehlt der Blick für das Ganze. 

Sie haben auch international koproduziert. Wie stark unterscheiden sich in der Arbeit internationale von nationalen Koproduktionen?
Das macht keinen grossen Unterschied. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Wer hat die Federführung, ist hauptverantwortlicher Produzent? Dieser Unterschied ist enorm. «Hécate», «Beresina» und «Vollmond» waren majoritäre internationale Koproduktionen. Bei minoritären Koproduktionen geht es ums Handwerk, im kreativen Bereich hält man sich zurück. Dafür bietet sich die Möglichkeit, die Arbeitsweise anderer Produzenten kennenzulernen, aus der Einsamkeit des Jobs herauszukommen und voneinander zu lernen. Das hat mir immer gefallen.

Am ZFF werden Sie für Ihr Lebenswerk geehrt; T&C Film wurde kürzlich an Frenetic Films verkauft. Gehen Sie in Pension?
Als verantwortlicher Filmproduzent und Firmeninhaber, ja. Aber man kann mich in beratender Funktion buchen. Und bei Suiss­image bin ich weiterhin einer von zwei Vizepräsidenten im Vorstand. Über die Auszeichnung freue ich mich riesig. Ein schönes Abschieds­geschenk. 

 

Marcel Hoehn hat über 40 Kinospiel- und Dokumentarfilme produziert, darunter wichtige Filme von Daniel Schmid und Christoph Schaub. 1976 gründete er in Zürich die Produktions­firma T&C Film AG, seine Karriere begann 1978 mit Rolf Lyssys «Die Schweizermacher». Marcel Hoehn wurde 1947 geboren und lebt in Zürich. 1999 wurde er mit dem Zürcher Filmpreis für seine Verdienste als Produzent ausgezeichnet. Im März 2011 erhielt er den Ehrenpreis des Schweizer Filmpreises «Quartz». Am Zurich Film Festival wird der Produzent anlässlich der 7. Zürcher Filmnacht mit dem Goldenen Auge für sein Lebenswerk geehrt (Apéro auf Einladung). Die Preisverleihung ist öffentlich. Am ZFF läuft zudem eine Retro­spektive mit zwölf Produktionen Marcel Hoehns.
Preisverleihung: Dienstag, 27. September, Kino Arena 4, Sihlcity. 

T&C Film, im Mai 40 Jahre alt geworden, gehört sei 1. Juli Frenetic Films. Der Verleih führt T&C Film nicht als Produktionsfirma weiter, sondern ausschliesslich zur Bewirtschaftung der Filme. Frenetic hat bereits Columbus Film, an der Marcel Hoehn beteiligt war, übernommen; nun werden die Filmtitel zusammengeführt. 

 

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