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Dahin, wo es weh tut


18. Mai 2017

Mit dem «Kreis» hat vieles angefangen. Es ist nicht nur der erste Kinofilm von Contrast Film, seiner Produktionsfirma und der seiner zwei Partner. «Der Kreis» zeigt gut, was Ivan Madeo wichtig ist. Wozu er bereit ist, wenn etwas wirklich zählt. Noch nicht lange ist es her, dass Stefan Haupts Film über die Zürcher Untergrundorganisation und Schwulenbewegung (mit Röbi Rapp und Ernst Ostertag) als Oscar-Kandidat für die Schweiz im Rennen war, sich für die Golden Globes qualifizierte, vier Schweizer Filmpreise gewann, an der Berlinale den Publikums-Preis und den Teddy Award bekam, in 18 Länder verkauft wurde und medial überhaupt sehr präsent war. 2014 war das. Was man dabei gerne vergisst, ist das Durchhaltevermögen, das ein solches Projekt einfordert. Acht Jahre lang hat Ivan Madeo produziert, weil das Drehbuch zuerst überall abgelehnt worden war, die Finanzierung der ursprünglich internationalen Koproduktion zusammenfiel und er nochmals von vorne beginnen musste. Die finanzielle Rettung kam dann von Seiten des SRF, der Zürcher Filmstiftung und des Verleihers Ascot-Elite.

Um zu zeigen, wer sie sind

Für ihn und Urs Frey war der Film eine Herzens­angelegenheit, erzählt Madeo in seinem Zürcher Büro, wo wir uns über seine Arbeit unterhalten. Warum eigentlich? Sie beide seien schwul, was insofern von Bedeutung sei, als in diesem Fall ihre Homosexualität der Antrieb war und alle ihre Filmen mit ihrem Selbstverständnis zu tun haben. «Da war es uns wichtig, zu zeigen, wer wir sind und welche Art von Filmen wir machen wollen. Die Grundfrage, wenn jemand ein Projekt an uns heranträgt, lautet immer, wie wichtig uns selber das Thema ist – ob das auch unser Film werden kann. Deshalb sind wir auch bei der Entwicklung der Filme stark involviert.» So hat Madeo am Drehbuch vom «Kreis» mitgeschrieben; er war es auch, dem die Idee zum Film kam, der den Stoff recherchierte und ­Stefan Haupt für die Regie anfragte. 

Gegründet wurde Contrast Film in Bern. Dort hat vor etwa zehn Jahren mit ein paar Kurzfilmprojekten und dem «Kreis» alles angefangen. Bald wurde klar, dass sie ihr Kinoprojekt nicht in Bern realisieren können, weil die regionale Filmförderung noch zu wenig Mittel besass. So wurde in Zürich eine Firma gegründet. Vor vier Jahren stiess dann Stefan Eichenberger dazu. Der Berner, bald Mitinhaber von Contrast Film, produzierte Anna Thommens Dokumentarfilm «Neuland» sowie «Parvaneh», den Kurzfilm, der eine Oscar-Nomination erhielt  – und trug seinerseits dazu bei, dass die kleine Produktionsfirma mittlerweile zu den vielversprechenden Adressen im Land zählt. Auch «Heimatland» (2015) bescherte dem Team einige Aufmerksamkeit, obwohl der Kollektivfilm (mit etwas über 16ʼ000 Zuschauern) an der Kinokasse enttäuschte. 

Bei Ivan Madeo fällt sofort die gewinnende, umgängliche Art auf; etwas Beflissenes schon fast bei aller Herzlichkeit. Auch im Argumentieren  wirkt er überzeugend. Dass der Produzent nicht nur Berndeutsch, sondern auch perfekt Englisch und ein ebenso perfektes Hochdeutsch spricht, zeigen Aufzeichnungen von Preisverleihungen und Interviews. Trotzdem wird er verlegen, als man ihn bittet, etwas Persönliches zu erzählen. Er sei es nicht gewohnt, über sich selber zu reden – was auch daran liegen mag, dass Produzenten meist im Hintergrund bleiben.
 

Von Bern Bümpliz an die Uni

Er sei ein klassischer Secondo, beginnt er dann doch. Seine Eltern sind kurz vor seiner Geburt aus Süditalien eingewandert, beide Fabrikarbeiter, wie die meisten Italiener, die in den 60er-Jahren in die Schweiz gekommen sind. Aufgewachsen sind Ivan und sein Bruder in Bern Bümpliz. «Ein Proletensöhnli!», lacht Madeo. Er ist der Erste in der Familie, der an die Uni geht – wo er gleich zwei Hochschulabschlüsse macht: Klinische Psychologie sowie Film- und Fernsehjournalismus in Fribourg. «Schon damals hat mich das Dysfunktionale interessiert – Menschen, die aus dem System fallen, nicht der Norm entsprechen. Dahin, wo es weh tut, will man ja eigentlich auch beim Erzählen von Geschichten, beim Entwickeln von Drehbüchern.» Es ist die Keimzelle jedes Dramas. 

Madeo arbeitet zuerst als Psychologe in der UPD Waldau, einer grossen psychiatrischen Klinik in Bern. Schnell merkt er, dass ihm der «maschinelle» Umgang mit Menschen nicht gefällt. So gelangt er in die Werbung, wo er fast zehn Jahre lang als Texter sowie «Agency Producer» für Kunden wie BMW oder Nestlé mitarbeitet. Er gewinnt Routine beim Organisieren grosser Filmproduktionen, findet die Arbeit aber «seelenlos». So kommt er zusammen mit Urs Frey auf die Idee, eigene Filme zu produzieren. 

Auch filmpolitisch engagiert sich Madeo: Seit einem Jahr als Mitglied in der Fachkommission Dokumentarfilm beim BAK – und neuerdings mit der Initiative, alle Produzenten des Landes in einen einzigen Produzentenverband zusammenzuschliessen.  Da kann auch die jüngste Auszeichnung nicht schaden: Als «Producer on the Move», wo Madeo am Filmfestival Cannes als einer von zwanzig aufstrebenden europäischen Filmproduzenten die Schweiz vertritt und Gelegenheit erhält, Projekte voranzutreiben. Und für einmal auch im Licht zu stehen. 

Kathrin Halter

 

▶  Originaltext: Deutsch

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