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Artikel

«Bin ich mutig genug, oder frage ich nur fremde Leute aus?»

Kathrin Halter
30. März 2017

Tamara Trampe über den Unterschied zwischen einem kreativen Dokumentarfilm und einer Fernsehreportage. Und was sie nicht ausstehen kann.

In Nyon reden Sie über persönliche Ansätze im Dokumentarfilm. Was verstehen Sie darunter?

Ich unterscheide zwischen Dokumentation und Dokumentarfilm. Die Dokumentation orientiert sich am Objektiven. Eine Fernsehreportage geht einer dezidierten Frage nach, die beantwortet werden soll. Im Dokumentarfilm, was ja eine Kunstform ist, braucht es einen anderen, einen künstlerischen Ansatz.

Sie unterscheiden also Interviews mit journalistischem Ansatz von persönlichen Begegnungen?
Ja, genau. Das ist aber kein Werturteil. Beide Genres sind genau gleich wichtig, es sind nur verschiedene Vorgehensweisen.

Für mich ist das Allergrundlegendste Neugier und Offenheit. Mich interessiert, wo wir uns in den Fragestellungen, in unserem Leben und unseren Verletzungen gleichen. Deswegen mache ich keine Interviews, sondern führe Gespräche und suche ich nach einer Ebene, wo wir uns begegnen können, wo sogar Gefühle, Zärtlichkeit und Wärme möglich sind. Ich bin so dankbar, wenn Menschen bereit sind, mit mir über ihr Leben zu reden. Ich suche nach Fragen, die mich persönlich beschäftigen. Aber bin ich mutig genug, mich mit mir selber zu konfrontieren oder frage ich nur fremde Leute aus? Es gibt Regisseure, die eine Frage fünfmal stellen, bis sie genau jene Antwort kriegen, die sie haben wollen. Das ist mir komplett fremd.

«Jeder Stoff verlangt einen originären erzählerischen Zugriff» liest man über Ihr Werkstattgespräch. Gibt es das überhaupt noch? Greift man nicht immer wieder auf vertraute Formen zurück?
Natürlich tut man das, aber für sich selbst und den eigenen Stoff muss man eine Form erfinden, die einem entspricht. Das kann jeder nur für sich bestimmen. Man macht einen Film ja dreimal: Man recherchiert und schreibt, denkt über die Form nach und versucht herauszufinden, wo das Zentrum der Erzählung liegen könnte. Beim Drehen kann dann vieles wieder andere Richtung nehmen. Und wenn es klappt, findet man bei der Montage über das Material wieder zur Idee des Anfangs zurück. Wichtig ist, dass diese Idee, die ursprüngliche Intention, was man eigentlich erzählen will, klar genug war. Ich kriege ja viele Bücher zu lesen – da krankt es bei vielen.

Tamara Trampewurde 1942 in Woronesch, Russland, geboren. 1970 bis 1990 Dramaturgin an der DEFA im Studio für Spielfilme, Potsdam; 1993 bis 2001 Auswahlkommission Int. Festival für Dokumentar- und Animationsfilme, Leipzig; seit 1990 freiberufliche Filmemacherin, Autorin und Dramaturgin. Dozentin an der DFFB in Berlin. Filme in Co-Regie mit Johann Feindt (u.a.): «Weisse Raben – Alptraum Tschetschenien» (2005), «Wiegenlieder» (2010), «Meine Mutter, ein Krieg und ich» (2014)

Bild: Tamara Trampe in «Meine Mutter, ein Krieg und ich»

▶ Originaltext: Deutsch

Das Werkstattgespräch:
«Wie erzähle ich meine Geschichte? Erzählstrategien im Dokumentarfilm –
mit Tamara Trampe und Cornelia Klauss»

Sonntag, 23. April, 10:30-14:30, mit anschliessendem Apéro, offeriert vom ARF/FDS
Grande Salle de la Colombière, Nyon
Eintritt: frei

Anmeldung erwünscht, per E-mail an: [email protected]

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