MENU Schliessen

Artikel

Dunkle Säle, leuchtende Leinwände

Kathrin Halter
10. Februar 2017

«Rex, Roxy, Royal» beleuchtet einige der schönsten noch existierenden Kinos in der Schweiz, erzählt von ihren Betreibern – und damit eine wenig bekannte Kulturgeschichte.

Von Kathrin Halter

KINO / CINE: Schon der Umschlag fluoresziert in radiumgrüner Nachtleuchtfarbe. Im Innern des Buches dominieren dann jene satten, intensiven Farben, die mit Kino­nächten assoziiert werden: Neonschilder in Rot und Gelb vor eindunkelndem Nachthimmel; Leucht­tafeln und illuminierte Plakate in Kinofoyers; Vorhänge, Wandleuchter und Kino­sessel von Samtrot bis Dunkelgrün. 

Es sind hoch ästhetische Fotografien über besondere und meist auch ungewöhnlich schöne Kinos, die der Band versammelt. Der Fotograf Oliver Lang hat sie geschaffen. Vorgestellt werden 111 Kinos aus allen Landes­teilen, die laut Mitherausgeberin Sandra Walti «durch ihre Geschichte, Programmation, soziale Funktion oder Architektur herausragen».
Einige Aufnahmen hinterlassen wehmütige Gefühle angesichts von alter, verblassender Schönheit: Man erblickt viel historisches Design, vereinzelt architektonische Würfe, von den Zwanzigerjahren bis in die post­modernen Achtzigern. Aber nicht nur: Auf den ornamental wuchernden Jugendstil (das Pathé Küchlin) folgt die Kinobaracke (das Xenix), auf das denkmalgeschützte Studio­kino (das Zürcher Filmpodium) der ausgebaute Pferdestall (das Kino in der Reitschule), auf ein historisches Landkino (das Apollo in Lyss) ein Neubau (das Rex in Thun). Sogar das funktionale Megaplex Arena findet Platz. 
So machen viele Fotos Lust, die Orte zu besuchen – sogar unabhängig davon, was gerade läuft. Ganz nebenbei beweist der Band auch, dass ein Weiterleben auch kleinerer «Lichtspielhäuser» im Zeitalter von Netflix und der fortschreitenden Vereinzelung vor dem Bildschirm möglich ist. 
 

Kinogeschichten und Anekdoten

Woran das liegt, erzählen die gut recher­chierten und schön zu lesenden Begleittexte von 13 Autor(inn)en in drei Landessprachen, jeweils mit deutscher Übersetzung im Anhang. Diese schildern die wechselhafte Geschichte der jeweiligen Kinos und ihrer Betreiber und skizzieren die aktuelle Nutzung, ergänzt um Kennzahlen wie Anzahl Leinwände, Anzahl Vorführungen pro Woche oder das Eröffnungsjahr. Und es werden Geschichten erzählt, die im besten Fall kulturgeschichtliche Zusammenhänge erschliessen.  

So erfährt man, wie aus dem Zusammenschluss eines ehemaligen Billardsaals mit einem benachbarten Kino (dem Zürcher Piccadilly) die erste Arthouse-Kette der Schweiz, nämlich die Commercio Movie AG, entstand – und was das alles mit This Brunner zu tun hat, der vom Programmierer eines 49-plätzigen Studiokinos zum schweizweit bekanntesten Doyen der Cinéphilen aufstieg. Auch Anekdoten finden Platz: So sollen in den kleinen Logen vom Capitole in Lausanne, dem mit 867 Plätzen heute grössten Kino der Schweiz, sogar Kinder gezeugt worden sein. Über die langjährige Betreiberin Lucienne Schnegg, «während rund sechzig Jahren die Seele und treibende Kraft des Kinos», hat ­Jacqueline Veuve sogar einen Film gedreht («La petite dame du Capitole»).
 

Cinéphilie und Geschäftssinn

Doch die Kulturgeschichte der Kinos ist nicht nur eine Geschichte von Persönlichkeiten und Kollektiven, die sich – befeuert von Cinéphilie und Geschäftssinn – gegen widrige Umstände durchgesetzt haben. Sondern auch eine von Subventionierung, ehrenamtlicher Arbeit und Gemeinsinn. So wird das Küchlin in Basel, das ehemalige Varieté-Thea­ter, nach Bürgerprotest und Rechtsstreit vor dem Abriss gerettet. Der Freie Film Aarau, das Zürcher Xenix oder das Neue Kino Basel, im Umfeld der Acht­ziger-Bewegung für alternative Kulturräume entstanden, bevorzugten wiederum wechselnde Spielstätten: «Das alternative Filmlokal (....) ist das Antiprogramm zur Plastikwelt der Multiplex-Kinos», schreibt Susanna Petrin.  

Was die Vielfalt der Kinos und ihrer Programme mit den rechtlichen und wirtschaftlichen Strukturen in der Schweiz zu tun hat, zeigt Martin Girod in seinem interessanten Einleitungstext über frühere Kartellstrukturen (bis 1980) und die Einfuhrkontingentierung von Filmen (bis 1992). Er erinnert auch daran, wie oft das Kino schon totgesagt wurde. Und dass dann doch nichts wurde aus seiner Abdankung. Zu unserem Glück. 

▶  Originaltext: Deutsch


Bild: Interieur im Kino Corso in Lugano. © Oliver Lang

«Rex, Roxy, Royal. Eine Reise durch die Schweizer Kinolandschaft». 
Hg. Sandra Walti, Tina Schmid. Christoph Merian Verlag.

 

Intellektuelles Vergnügen

Kathrin Halter
10 Februar 2017

Frauenvortritt in Solothurn

Kathrin Halter
03 Januar 2017

Künstler vor der Kamera

Kathrin Halter
03 Januar 2017

«Ich habe das ganze Dorf miteinbezogen»

Pascaline Sordet
03 Januar 2017

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife