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Intellektuelles Vergnügen

Kathrin Halter
10. Februar 2017

Wenn irgendwo Experimentalfilm angesagt ist, steckt Fred Truniger dahinter. Abwegig ist die Vorstellung nicht: Schliesslich steht der Filmwissenschaftler hinter dem Forschungsprojekt «Schweizer Filmexperimente 1950-1988», aus dem die Ausstellung «Film Implosion!» hervorging, die letztes Jahr in der Kunsthalle Fribourg lief und derzeit in Zürich zu sehen ist. Bereits 2005 machte er sich auf die Suche nach unentdeckten, verschollenen Experimentalfilmen aus der Schweiz und gründete das Kollektiv reservoirfilm.ch mit, woraus Filmprogramme, später ein Restaurierungs- und besagtes Forschungsprojekt entstanden. Er hat für Festivals programmiert, zwei Dutzend Artikel und eine Dissertation an der ETH Zürich zu diesem Themenbereich geschrieben. Und als neuer Leiter des «Master of Arts in Film» an der Hochschule Luzern (HSLU) wird Truniger künftig auch Jungfilmer in der Disziplin des Besonderen, Verqueren und Ungewohnten ausbilden (dazu später mehr).

Fred Truniger sieht das natürlich weniger eng: Er wolle nicht auf Experimentalfilme festgelegt werden, sagt er in seinem Zürcher Atelier, wo wir uns zwischen Bücherstapeln und Arbeitstischen über seinen Werdegang unterhalten. Schliesslich interessiere er sich seit langem auch für andere filmische Formen, Dokumentarfilme etwa oder Kurzfilmformate. («Wie schnell ist ein Witz» ist einer seiner Aufsätze überschrieben). Eine lang anhaltende Faszination für das Experimentelle lässt er dennoch gelten, und so erzählt er von den Anfängen dieser Passion. Es gibt ziemlich viel zu erzählen. Truniger spricht schnell, energiegetrieben. 
 

Wenn sich Filmer als Künstler begreifen

Aufgewachsen ist Fred Truniger in einer Bäckersfamilie im Toggenburg. Was ihm gefiel, entdeckte er zuerst im Fernsehen: Am ORF etwa, wo er bei Dieter Moors spätabendlichen «Kunststücken» seinen ersten Lars von Trier sah. Als am Filmfestival Locarno Derek Jarmans «The Last of England» (GB 1987) lief, die alptraumhaft-düstere Filmcollage mit Tilda Swinton über die Thatcher-Jahre, war es um ihn geschehen. Diese «akute Wut», das ungeschützt Direkte hat ihn umgeworfen. Mit Zwanzig begann er an der Viper zu arbeiten, dem Video- und Experimentalfilmfestival in Luzern, aus dessen Archiv die wichtigsten Videoarbeiten gerade digitalisiert werden. «Das hat mich sehr geprägt, diese andere Arbeitsweise, wenn sich Filmemacher mehr als Künstler denn als Regisseure begreifen. Da steckt eine völlig andere Haltung dahinter, wenn Leute mit dem eigenen Medium experimentieren, es benutzen, um herauszufinden, was es sonst noch kann, ausser das Vertraute zu bedienen.» Die Beschäftigung damit ist ihm intellektuelles Vergnügen. Zugleich hat ihm immer die Spielfreude, die Tüftler- und Bastler-Mentalität von Spielernaturen wie Clemens Klopfenstein gefallen.

Aber, Hand aufs Herz: Hat er sich in Festivaljurys in Luzern, Oberhausen und Duisburg nicht auch gelangweilt, war angeödet von Halbgegorenem und Misslungenem? «Natürlich!» ruft er und grinst. Furchtbar sei das manchmal gewesen. «Doch wo etwas gelingt, entdeckt man Dinge, die es vorher nicht gab». Im übrigen: Die Gleichung Experimentalfilm und humorlos sei so ein Vorurteil: «Es gibt extrem witziges Zeugs, und wer Experimentalfilme liebt, muss nicht bierernst sein.» 
 

Keine weitere Filmausbildung

Hat er manchmal auch Lust auf ganz anderes, zum privaten Vergnügen? Auch Truniger schaut abends gerne Serien mit dem Beamer, Standup-Comedians wie Louis C.K. oder Bill Hicks haben es ihm angetan. Ins Kino kommt er nicht mehr so oft wie auch schon, auch wegen seiner beiden sieben und zehn Jahre alten Buben. 

An der Hochschule Luzern wird Fred Truniger ab September in den Bereichen «Short Motion» (Bewegtbild) und «Interaktion» unterrichten. Das sei keine weitere klassische Filmausbildung, man wolle «plattformübergreifend» die eher kurzen Formen pflegen, auch «Kürzestkommunikationsformen» von 5 bis 20 Sekunden Länge aus dem Social-Media-Bereich; «Ultrashort» heisst sein jüngstes Forschungsprojekt, das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird und an dem er seit 2014 arbeitet.  

Eine Ausbildung in Experimentalfilm wird in Luzern nicht angeboten. Wichtig ist Truniger vielmehr eine «experimentelle Ausbildung» – und die dazu passende Haltung. Intellektuelle Neugierde also. Offenheit. Und eine Freude am Tüfteln, auch über die Generation der Digital Natives hinaus. 

Kathrin Halter
 

▶  Originaltext: Deutsch. 

Film Implosion! Schweizer Film­experimente. Kuratiert von Andres Janser. Museum für Gestaltung, Toni-Areal Zürich. 3.2.-9.4.2017

Bild: Melk Imboden, Hochschule Luzern

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