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«Die Branche sollte von den Behörden als Industrie behandelt werden»

Kathrin Halter
10. Februar 2017

Das Zürich Film Office hat seit Januar eine neue Leiterin. «Film Officer» Olga Zachariadis über Ideen und Pläne.

Das Gespräch führte Kathrin Halter
 

Was spricht für den Drehort Zürich? Was gefällt Ihnen hier?
Die Stadt und Umgebung ist enorm vielseitig und bietet gut erhaltene, historische Schauplätze, die glücklicherweise vom Krieg verschont blieben. Hinzu kommen die Umgebung um den Prime Tower, das postindustrielle Zürich, heruntergekommene, aber auch bürgerliche Quartiere ausserhalb der Innenstadt.

A propos Prime Tower: Die Hardbrücke und Umgebung ist gerade bei Schweizer Produktionen ein sehr beliebtes Sujet, sobald das Setting urban wirken soll. Kann der Wiedererkennungseffekt auch zu gross sein? 
Zürich ist keine Grossstadt wie Berlin, Athen oder Milano und bleibt somit ziemlich überschaubar. Dennoch gibt es eine Vielzahl interessanter Locations, die ebenfalls urban wirken wie die Duttweilerbrücke mit Blick über die Geleise oder das besetzte Koch Areal. Man kann auch nach Altstetten, Schlieren oder Oerlikon ausweichen.

Der vielleicht bekannteste Zürcher Schauplatz ist die Bahnhofstrasse mit Paradeplatz. Woran liegt es, dass das Banken­viertel nicht öfters genutzt wird?
Abklärungen und die Bewirtschaftung werden hier schnell aufwändig und kompliziert, ich denken an die VBZ, Fahrverbote, die Logistik und so weiter. Es braucht unter anderem das Einverständnis der Geschäfte; man muss Rücksicht auf die oftmals wohlhabende Privat­kundschaft nehmen, das ist delikat. Das Bedürfnis nach Privatsphäre spürt man in der Stadt Zürich überhaupt immer wieder stark. 

Nennen Sie ein paar jüngere internationale Koproduktionen, die in Zürich gedreht wurden. 
Letztes Jahr «Borcherts Fall», eine deutsch-­tschechische Koproduktion für ARD, ein zweiteiliger Krimi aus dem Anwaltsmilieu mit Drehorten in der Innenstadt; Innenszenen wurden zudem in Prag gedreht. Dann die Martin-Suter-Krimireihe «Allmen», ebenfalls eine deutsch-tschechische Koproduktion für ARD. Gedreht wurde erneut im Kreis 1 und im Dolder. Das Hotel kommt im übrigen auch in «The Girl with the Dragon Tattoo» von David Fincher vor; auch da wurde in der Innenstadt gedreht. Beim «Wall Street»-Sequel von ­Oliver Stone übrigens kam es zu jenem Malheur, dass plötzlich ein rotes Tram durch «Zürich» fährt – fertig gedreht wurde die Szene schliesslich in Prag. 

Sie haben es angesprochen: Prag bedeutet eine starke Konkurrenz für Zürich. Liegt das primär an den Kosten?
Als Drehort ist Prag in erster Linie deswegen attraktiv, weil Dreharbeiten teilweise finanziell unterstützt werden, zum Beispiel mittels Steuererlass, Produktionskostenzuschüssen, Spezialkonditionen für Unterkünfte und so weiter. Zudem sind auch die Kosten für Personal oder Locations deutlich niedriger, was wiederum mit den allgemeinen Lebenskosten zusammenhängt und nicht im direkten Vergleich mit Zürich stehen kann. Auch seitens der Behörden sind grössere Strassenabsperrungen, Stunts und ähnliches vermutlich einfacher umzusetzen als in Zürich.

Wie wollen Sie vermehrt internationale Produktionen nach Zürich locken? Diese machen laut einer Medienmitteilung gesamthaft nur etwa 5 Prozent aus. 
In erster Linie geht es darum, das Film Office Zürich zu etablieren. Es braucht einen Auftritt, eine klare Strategie, die Festlegung von Zielen; daran arbeite ich gerade. Bereichernd wird sicherlich auch der Besuch der Berlinale sein, wo ich mich mit meinen Film-Officer Kollegen aus ganz Europa austauschen kann. Auch die Bedürfnisse der direkt Betroffenen – Behörden, Produktionen, Aufnahmeleiter, Zürich Tourismus oder Stadt­entwicklung – will ich noch besser abklären. 

Sie sind erfahrene Aufnahmeleiterin. Worin bestehen die grössten Hindernisse, um in Zürich zu drehen? Bei den hohen Kosten?
Die Kosten sind sich ein wichtiger Punkt. Die Schweiz ist ein teures Land; entscheidend ändern kann man das nicht. Kosten senken kann man meiner Meinung nach aber sicher bei den Gebühren für Bewilligungen, Parkplätze, Cateringstandorte, Locations, Unterkünfte oder Autovermietungen. Finanzielle Zuschüsse würden den Drehstandort Zürich tatsächlich um einiges attraktiver machen. Die Kosten stellen übrigens für knappe Schweizer Produktionsbudgets in der Regel das grössere Problem dar als für internationale Projekte – dies ist jedenfalls meine Erfahrung als Aufnahmeleiterin. Internationale Produktionen möchten vor allem, dass Bewilligungsverfahren vereinfacht werden, grössere Strassensperrungen möglich sind und ähnliches. 

Wo gäbe es sonst noch Spielraum?
Ich denke an attraktivere Konditionen für Unterkünfte, Autovermietungen, Lager- oder Produktionsräumlichkeiten. Konkret könnten das Parkplatzpauschalen oder Parkscheinkarten sein, wie es sie in Luzern bei Tatort-Produktionen gibt, oder eine einheitliche Vergabe von Handwerkerbewilligungen. Die nationale und internationale Filmbranche sollte von den Behörden als Industrie wahrgenommen und entsprechend behandelt werden. Sie ist auf gute Arbeitsbedingungen angewiesen – und zwar unabhängig davon, ob es um Werbe- oder Spielfilmproduktionen geht. Meine Hauptaufgabe liegt unter anderem in der Sensibilisierung und Aufklärung der Behörden über die Branchenbedürfnisse. 

Wie war Ihre Erfahrung bei Drehgenehmigungen im öffentlichen Raum?
Einiges hat sich stark verbessert, die Offenheit gegenüber Filmschaffenden seitens der Behörden ist in den letzten Jahren jedenfalls deutlich gewachsen. Sogar bei «Grün Stadt Zürich», wo die Auflagen hoch sind und es nicht nur aus Naturschutzgründen schwierig werden kann, eine Drehbewilligung zu erhalten. Im übrigen: Es empfiehlt sich, das Drehvorhaben den Beamten und Behörden zu schildern. Wenn man Verständnis, gar Begeisterung für Projekte schafft, wird vieles möglich. 

Und was tun, wenn eine Drehbewilligung einmal ausbleibt?
In erster Linie: Immer das Film Office kontaktieren. Vielleicht lässt sich ja noch was machen. Gut zu wissen: Maximal eine Stunde drehen ist, unter Berücksichtigung gewisser Auflagen, auf öffentlichem Grund immer erlaubt. Das kann auch mal die Lösung sein, mit einer reduzierten Crew, reduziertem Equipment und zwei Autos innerhalb von sechzig Minuten zu improvisieren. Aber man kann und will nicht alles im Guerilla-Style machen. 

Vermitteln Sie in ihrem neuen Job auch Drehbewilligungen?
Solche Serviceleistungen, auch für internationale Produktionen, sind grundsätzlich nicht vorgesehen. Dafür gibt es Serviceproduktionen, die das leisten und lokale Aufnahmeleiter anbieten. Ich will nicht mit der lokalen Filmbranche in Konkurrenz treten. Hingegen bietet das Film Office beratend und vermittelnd Unterstützung.

Was sollte sich auf Seiten der Branche ändern?
Ich bin der Meinung, dass in erster Linie lokale Filmschaffende zu den vorgeschriebenen Vertragsbedingungen engagiert werden sollten. Natürlich ist es nicht auszuschliessen, dass gewisse Techniker aus dem Ausland unter Vertrag genommen werden. Was mich hingegen stört und auch bei der Arbeit mit den Behörden oft zu einem Problem wird: Aufnahmeleiter sollten die hiesigen Gepflogenheiten kennen und deswegen vorzugsweise aus der Region sein.                                                                 

 

Nach einer mehrjährigen Pilotphase und der Gründung eines gleichnamigen Vereins soll das Zürich Film Office zur ersten Anlaufstelle für nationale und internationale Filmproduktionen werden und den Produktionsstandort Zürich stärken. Dazu wurde Olga Zachariadis Anfang Jahr zur neuen Leiterin des Office ernannt; die Stelle ist mit 80 Prozent dotiert. Mit ihrer Hilfe sollen vermehrt Filmcrews nach Zürich geholt werden, Drehbewilligungsverfahren vereinfacht sowie die Abläufe bei Drehgesuchen für Filmproduktionen im Raum Zürich verbessert werden. Gründungsmitglieder des Vereins Zürich Film Office sind die Stadt Zürich, der Kanton Zürich, Zürich Tourismus sowie die Zürcher Filmstiftung. 

Olga Zachariadis ist in Olten geboren, im Kanton Aargau aufgewachsen und lebt seit 17 Jahren in Zürich; ihre Eltern sind gebürtige Griechen. Die neue Leiterin des Zürich Film Office hat zunächst 12 Jahre lang in der Luxusbranche gearbeitet, als Marketing- und Projektmanagerin vor allem für den indischen und russischen Markt. Sie lebte ein Jahr in Indien, wo sie sich in einem Kinderhilfsprojekt engagierte und ist alleinerziehende Mutter einer achtjährigen Tochter. Zum Film kam Zachariadis mit Dreissig, zunächst als Fahrerin, bald als Set- und Erst-Aufnahmeleiterin, so in «Chrieg» von Simon Jaquemet, im Fernsehfilm «Lotto» von Micha Lewinsky oder im neusten Schweizer «Tatort». Auch mit Werbe- und Auftragsfilmen ist sie vertraut. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

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