MENU Schliessen

Artikel

Fremde Heimat

Kathrin Halter
31. März 2017

Die Dokumentarfilmerin und Dramaturgin Tamara Trampe verlangt vom kreativen Dokumentarfilm eine klare Haltung und einen persönlichen Zugang zum Stoff. Das lässt sich auch an ihrem Film «Meine Mutter, ein Krieg und ich» studieren.


Und dann steht sie auf einmal ungläubig lächelnd im Schneefeld, streckt den Arm hoch und macht das Victory-Zeichen. Irgendwo hier wurde Tamara Trampe geboren, mitten auf einem Feld in der Nähe der russischen Front. Es war eine Nacht im Dezember 1942, die Mutter, eine junge Krankenschwester der Roten Armee, ganz auf sich alleine gestellt; das Neugeborene hob sie aus dem Schnee und hüllte es in einen Militärpelzmantel. «Dein erstes Kleidungsstück», hört man die Stimme der Mutter im Off.

Für ihren Film ist Tamara Trampe an den Geburtsort zurückgekehrt, 70 Jahre später und ein Jahr nach dem Tod der Mutter, mit der sie kurz zuvor nochmals über das Unglaubliche gesprochen hat. Und versucht hat herauszufinden, wer jene 22-Jährige eigentlich war, die damals im Schnee ihr erstes Kind gebar.

Weder Mutter noch Tochter verlieren in «Meine Mutter, ein Krieg und ich» viele Worte; die Zurückhaltung ist bezeichnend für diesen eindrücklichen Dokumentarfilm, der sachlich bleibt und doch an tiefe Verletzungen rührt. 2014 auf der Berlinale vorgeführt und wie immer in Co-Regie mit Johann Feindt entstanden, ist es Tamara Trampes bislang persönlichster Film. Sie folgt darin nicht nur den Spuren der Mutter, sondern versucht auch etwas über den unbekannten Vater herauszufinden; zudem besucht sie einen Onkel und drei weitere Frauen der Elterngeneration und schafft so, fast beiläufig, auch noch ein Por­trät russischer Frauen im Zweiten Weltkrieg. Es sind oft traurige Begegnungen mit alten Menschen, die alleine in kalten Häusern wohnen; nie aber tritt die Regisseurin ihnen zu nahe.

Als die 75-Jährige am Telefon über ihre Arbeit spricht, kommt sie einem schnell nahe mit der dunklen, warmen Stimme. Sie redet ohne Umschweife, die Sprache klar und unverschnörkelt; auch die Berlinerin hört man in ihr. Es bleibt der Eindruck einer Frau, die nur noch tut, was ihr wichtig ist.

Persönliches vom Privaten unterscheiden

In Nyon wird die Dramaturgin zusammen mit Cornelia Klauss ein Werkstattgespräch führen. «Wie erzähle ich meine Geschichte? Erzählstrategien im Dokumentarfilm» lautet der Titel der Veranstaltung (siehe Box nächste Seite). Gefordert wird eine klare Haltung und ein persönlicher Zugang zum Stoff. Das lässt sich auch an Trampes Film zeigen.

Wo liegt denn die Schwierigkeit, wenn man sich filmisch mit Biografien, auch der eigenen, auseinandersetzt? Wenn die Regisseurin gar zur Protagonistin wird? Und wie war das bei ihr? In «Meine Mutter, ein Krieg und ich» taucht Trampe immer wieder am Bildrand auf; sie bleibt präsent, ohne sich in den Vordergrund zu schieben. Dabei wirkt sie eher kamerascheu. Trotzdem spürt man ihre Verletzlichkeit und wie nahe ihr alles geht.

Sie habe es ganz gerne, wenn man sehe, «wie der Mensch aussieht und sich benimmt, der Fragen stellt». Obwohl viele Dokumentaristen finden, dass ein Regisseur vor der Kamera nichts verloren habe; das gebe immer ein «Riesentheater». Viel wichtiger ist Trampe, dass man Persönliches und Privates auseinanderhält – eine «Gratwanderung», die ihr gerade in Bezug auf die Mutter nicht leicht fiel. Als Beispiel erwähnt sie eine Szene im Film, als sie auf einem Bett liegend ihrer Mutter die Hände entgegenstreckt, diese sich aber entzieht und das Zimmer verlässt. «Ich hätte sie auch fragen können, Mama, warum hast du uns nie in den Arm genommen. Doch das hätte ich bei einer neunzigjährigen Frau nicht tun wollen; das wäre auf eine Weise privat gewesen, wie ich das nicht für richtig hielt». Dabei zeigt sich für die Tochter in der Reaktion der Mutter die Unfähigkeit einer ganzen Kriegsgeneration, «zärtlich zu sein und Körperlichkeit zuzulassen». Wie ihre Geschwister hatte Trampe ein schwieriges Verhältnis zur Mutter, die durch den Krieg schwer beschädigt und oft sehr schweigsam war, wie sie sagt.

Was eigentlich in eine Therapie gehört

Umso wichtiger ist der Regisseurin ein respektvoller Umgang mit Protagonisten, die bereit sind, von sich zu erzählen, selbst wenn das Erlebte schrecklich war. Das Wichtigste überhaupt sei für sie Neugier und Offenheit anderen gegenüber. Und als man sie fragt, was sie überhaupt nicht möge, nennt Trampe «Überheblichkeit. Und wenn in anderen rumgebohrt wird.»

Überhaupt bestehe die Gefahr, dass man «an Schmerzpunkte gelangt, die eigentlich in eine Therapie gehören. Wenn ich zum Beispiel mit alten Frauen rede, die im Krieg Traumatisches erlebt haben, sollte ich wissen, was ich fragen kann und was nicht». Das kann nur gelingen, wenn sich diese sicher fühlen, auch angesichts einer Kamera. Deshalb haben Trampe und Feindt alle Frauen vor den Dreharbeiten besucht und lange mit ihnen gesprochen, um ihre Gestik zu verstehen und zu begreifen, wann sie sich zurückziehen. Und zu wissen, wenn man besser aufhört mit dem Fragen.

Bild: Tamara Trampe mit ihrer Mutter auf einer alten Fotografie

▶ Originaltext: Deutsch

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife