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Artikel

Basel, Nordost

Kathrin Halter
25. Juli 2016

Sein erster Kinofilm spielt in Dortmund, im Einwandererviertel Nordstadt, wo viele arbeitslos sind und wo Rumänen, Bulgaren oder Roma meist schwarz arbeiten. Nicht weil sie als Illegale im Land leben. Sondern weil sie sonst keinen Job kriegen und sich deshalb für 4 Euro die Stunde als Taglöhner verdingen, auf Baustellen oder anderswo. Michael Koch nennt das den Dortmunder Arbeiterstrich. Seine Protagonstin, die junge Ukrainerin Marija, will es besser haben. Für ihre Unabhängigkeit und die Hoffnung auf einen eigenen Coiffeursalon lässt sie sich auch auf krumme Geschäfte ein. Koch erzählt das als fesselnde Geschichte einer Selbstbehauptung, dokumentarisch präzise und frei von Sozialkitsch.  

Als der Regisseur in Dortmund für seinen Film recherchierte, stiess er zunächst auf Skepsis und Ablehnung; zu viele Fernsehteams sind in der Problemzone Nordstadt unterwegs. Das Vertrauen müsse man sich erarbeiten, sagt Koch, müsse echtes Interesse zeigen und
viel Zeit haben. 

Zu seiner Geschichte inspiriert wurde der Vierunddreissigjährige in der Ukraine, 2010 bereiste er das Land mehrmals. Fast alle jungen Leute, die er dort kennenlernte, wollten nur weg nach Westen. So wie jene junge Frau, die nach Dortmund zog und die er dort später während der Recherche für «Marija» traf. In Dortmund fand Koch auch die meisten jener Laiendarsteller, die in der deutsch-schweizerischen Koproduktion (von Pandora Film, Hugofilm, WDR & Arte) mitspielen. Die Hauptdarsteller, die Deutschrussin Margarita Breitkreiz und Georg Friedrich, der «Aloys» aus Tobias Nölles gleichnamigem Film, kannte Koch von der Volksbühne Berlin. 

Wild im Herzen

Aufgewachsen ist Michael Koch in Basel, sein Akzent verrät es. Dorthin kehrt er immer wieder zurück, aus Berlin, wo er lebt, und insbesondere für Theaterprojekte: 2009 entwickelte und inszenierte er im Rahmen der Theatertage Basel eine Adaption von David Lynchs «Wild At Heart» («Wilde Herzen»), zwei Jahre später entstand eine Koproduktion mit der Kaserne Basel («Mein Kopfschuss sitzt nicht – Sandweg&Velte»). Auch in Zukunft möchte Koch parallel zur Filmarbeit fürs Thea­ter arbeiten.

Seine Kurzfilme drehte er während des Filmstudiums an der Kunsthochschule für Medien in Köln: «Wir sind dir treu» (2005) zeigt einen ungewohnten und zugleich komischen Blick aus dem Fotografengraben auf die Fankurve des FCB, wo der Anstimmer, meist mit dem Rücken zum Spiel, die Fans in ihren Sprechchören dirigiert. Der neunminütige Dokumentarfilm brachte Koch Preise ein und wurde auf über 60 Festivals gezeigt.  «Beckenrand» (2006) wiederum wurde für den Schweizer Filmpreis nominiert und «Polar» (2009), ein meist wortloses, aus unterschwelligen Gefühlen heraus entwickeltes Kräfteringen zwischen Vater und Sohn, gewann den Deutschen Kamerapreis und Kurzfilmpreis. Mit dem Kurzspielfilm schloss Koch sein Studium in Köln ab. 

In Berlin lebt Koch seit 2009 mit seiner Familie; die fünfjährige Tochter und der zweijährige Sohn besuchen den Kindergarten. Was hält ihn sonst noch in der Stadt? Der Austausch mit Berufskollegen, sagt er, wie die Auseinandersetzung mit dem Filmemachen überhaupt, die in Deutschland intensiver geführt wird. Und, sehr wichtig, die niedrigen Lebenskosten, die es ihm ermöglichen, sich auch mal monatelang für einen Stoff Zeit zu lassen. Trotzdem könnte sich der Regisseur gut vorstellen, seinen nächsten Film in der Schweiz zu drehen. Interessante Stoffe gebe es auch hier, auch wenn die sozialen Konflikte weit weniger brennen als anderswo in Europa. Jetzt kommt er aber zuerst mal nach Locarno. Dass sein erster Langfilm gleich im internationalen Wettbewerb läuft, das freut ihn sehr.  

Kathrin Halter

«Marija» läuft am Montag, 8. August um 16:30 im FEVI, Locarno

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