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«Alles entsteht im Moment»

Kathrin Halter
17. Mai 2021

«Einfach das Ende der Welt» mit Benjamin Lillie, Regie: Christopher Rüping.

Das Schauspielhaus Zürich versucht mit Live-Streamings theaternahe Erlebnisse zu schaffen. Wer dabei für Kamera und Schnitt verantwortlich ist, wie die Atmosphäre hineinspielt. Und was das Format für die Darstellenden bedeutet. Ein Gespräch mit Negi Tafreshi.

 

Sie sind Projektverantwortliche für Streaming-Angebote am Schauspielhaus. Welche Erfahrungen haben sie damit gemacht?

Im ersten Lockdown vor einem Jahr gab es einzelne Projekte wie der «Dekalog» von Christopher Rüping, eine Serie von Live-Streams mit einer neuen Folge pro Woche. Das war ein Experiment, dazu kostenlos. Im Herbst konnten wir wieder spielen, zuerst für 300, dann nur noch für 50 Personen. So entstand im Dezember der Streamy Thursday.  

 

Ein Live-Streaming...

Genau. Diese Eigenschaft ist uns sehr wichtig. Ein Live-Streaming kann man nicht nachträglich noch anschauen, man kann auch nicht zu spät einschalten und danach «zurückspulen». Es ist eben kein Film! Was auf der Bühne vergänglich ist, soll es auch im virtuellen Raum sein. So haben wir versucht, ein theaternahes Erlebnis zu schaffen. Man kann wie an einem Theaterabend Tickets kaufen, sich schon etwas früher einloggen, wobei man dann schon etwas von der Bühne sieht, und wenn man zu spät kommt, verpasst man eben die ersten Minuten. Der Live-Moment vermittelt auch den MitarbeiterInnen vom Schauspielhaus ein Gefühl von Premiere. Häufig gibt es auch noch ein Gespräch nach der Inszenierung. 

 

Ohne Videothek verliert man aber poten­tiell viele Zuschauer? 

Natürlich hätten sich viele gefreut, wenn wir die Videos nochmals zur Verfügung gestellt hätten. Wir prüfen jetzt gerade, ob wir am Ende der Spielzeit einzelne Videos nochmals online stellen. Allerdings versuchen wir mit dem Live-Stream ja gerade einen anderen Wert zu schaffen. 

 

Spricht die Regie bei Kamera und Schnitt von Live-Streams mit?

Die Vorstellungen werden mit mehreren Kameras gefilmt, die Dramaturgin oder der Dramaturg gibt Anweisungen an die Kamera, die RegisseurInnen wiederum entscheiden live, welche der Kameraeinstellungen verwendet werden, sie sind also für den Bildschnitt verantwortlich. Das unterscheidet sich stark von einem Film, da alles im Moment entsteht, ohne Schnittplan, da spielt auch die Atmosphäre des Abends eine Rolle. Das bedeutet, dass das Ergebnis nicht perfekt ist, diesen Anspruch haben wir auch gar nicht. 

 

Wie gut ist der Streamy Thursday besucht?

Das variiert zwischen 300 und 1000 verkauften Tickets pro Abend, wobei wir davon ausgehen, dass sich vor jedem Gerät mehrere Personen versammeln.

 

Was könnte davon bleiben nach der Pandemie?

Demnächst dürfen wir ja wieder für 50 Personen spielen. Das Streaming läuft aber weiter, ziemlich sicher auch nach der Pandemie. Dabei haben wir den Anspruch, noch innovativer zu werden, das Format weiterzuentwickeln. Zum Beispiel durch  Partizipation der ZuschauerInnen, wie es Christopher Rüping mit dem «Dekalog» gemacht hat. Dabei kann das Publikum mitentscheiden, was als nächstes passiert. 

 

Live-Streams enthalten auch Grossaufnahmen von Gesichtern, ein sehr filmisches Mittel – so ganz anders als die übliche Totale im Theatersaal. Verändert das auch das Spiel der Darsteller?

Es verändert vor allem das Sehen. Christopher Rüping hat einmal gesagt, Streamings seien «undemokratisch». Im Live-Theater sehe ich verschiedene DarstellerInnen auf der Bühne und kann mich entscheiden, für wen oder was ich mich gerade interessiere, wo ich hinblicke. Am Bildschirm wird diese Entscheidung vorweggenommen. Handkehrum wäre es total uninteressant und bei unseren Sehgewohnheiten auch nicht mehr machbar, einfach die Bühne in der Totale abzufilmen. 

 

Und was bedeutet die Anwesenheit der Kameras für die Schauspieler?

Viele der Schauspieler haben schon Film­erfahrung, Kameras auf der Bühne sind da keine Fremdkörper. Aber die Kombination von Kamera und Theaterraum ist schon sehr ungewohnt. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die Schauspieler ihre Spielweise verändern oder dem Medium anpassen; wo im Live-Theater laut geschrien wurde wird auch im Live-Stream noch laut geschrien. Es ist immer noch ein Theaterabend. 

 

Sind neue Jobprofile entstanden, zum Beispiel Kameraleute eingestellt worden?

Wir hatten immer schon Videotechniker­Innen im Team, aber keine festangestellten Kameraleute. Für die Live-Streams arbeiten wir mit einer Firma zusammen, die uns Kamera­equipment, Schneidetools und Kameraleute pro Projekt vermietet. Man muss zwischen Standkameras unterscheiden, die im Publikumsbereich platziert sind. Und den Handkameras, die auf der Bühne eingesetzt werden. Da arbeiten wir mit Leuten, die Thea­tererfahrung haben und die wir gut kennen. 

 

Negi Tafreshi ist Projektverantwortliche für Streaming-Angebote beim Schauspielhaus Zürich. Zuvor war sie beim Tonhalle-Orchester Zürich unter anderem für das Streaming zuständig. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

 

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