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Startgeld für Nischen- und Publikumsfilme

Kathrin Halter
06. April 2021

Filmanlässe, wie wir sie vermissen: Ein Publikumsgespräch zu «Driften» von Karim Patwa im Kino Riffraff. © Alan Maag.

Seit Anfang Jahr gelten beim BAK neue Regeln bei der Verleihförderung und bei Succès Cinéma. Was dies für Verleiher und Kinobetreiber bedeutet – und weshalb die Plattformen dabei leer ausgehen.

Die Strukturkrise der Kinos begann lange vor Corona und trifft neben Kinobetreibern und Verleihern natürlich auch Schweizer Filme, die dort zusehends an Publikum verlieren. Was tun, wenn immer mehr Zuschauer zu den Streaming-Plattformen abwandern? Die digitale Revolution hat eine neue Realität geschaffen, die die herkömmliche Distribution in Frage stellt und zugleich neue Formen der Zusammenarbeit erzwingt – zwischen Verleihern, Plattformen und Kinobetrieben. Darauf reagiert auch das Bundesamt für Kultur. 

Der Schweizer Studiokinoverband SSV hat in der Vernehmlassung zur Kulturbotschaft 2021-2024 eine «verstärkte Anstrengung zur Bewahrung der Kino- und Filmkultur» gefordert. Filmförderung müsse auch Kinoförderung beinhalten. Konkret wurde etwa eine Verdoppelung des Succès-Cinéma-Betrags für die Kinos vorgeschlagen; auch Marketing- und Verleihförderung für Verleih und Kinos wurden angeregt. «Es geht nicht in erster Linie darum, den Kinos mehr Geld zu geben – sondern darum, für jene einheimische Filmproduktion, die vom Bund gefördert wird, einen Ort für die Auswertung zu sichern», so Thomas Imbach in einem Gruppengespräch von Cinébulletin im November 2019. Es brauche eine Gesamtsicht auf die Filmproduktion und sollte auch Anliegen der Produzenten sein, dass Kinos überleben, so Imbach damals weiter. 

In den neuen Förderkonzepten 2021-2024 hat das BAK Antworten darauf. So wird die bisherige Verleihförderung neu ausgerichtet, indem neu zwischen kleineren und grösseren Filmen unterschieden wird. 

 

Neue «Vielfaltsprämie»

Jela Skerlak vom BAK sagt dazu: «In der bisherigen Verleihförderung waren alle Filme zugelassen, die mindestens 50 Kinovorstellungen haben. Neu ist, dass gezielter gefördert wird. Wir können nicht sämtliche Schweizer Filme unterstützen, dafür gibt es auch noch die regionale Förderung. Früher haben praktisch alle Schweizer Filme Verleihförderung erhalten, die kleineren unter ihnen jedoch nur einen relativ geringen Förderbetrag zwischen 2ʼ000 bis 7ʼ000 Franken. Das fanden wir einerseits administrativ nicht sinnvoll, zugleich fehlte ein Schwerpunkt.» 

Neu wird für «Nischenfilme» ein gutes Auswertungskonzept verlangt, um bestimmte Zielgruppen anzusprechen. Solche Konzepte können in Zusammenarbeit mit Interessenverbänden oder Kulturinstitutionen entstehen und Vorstellungen mit Rahmenanlässen beinhalten – wie sie engagierte Verleihfirmen ja seit eh und je anbieten. Der Maximalbetrag dieser selektiven Förderung beträgt wie bisher 35ʼ000 Franken, damit sollen (vermutlich) weniger Filme dafür mit höheren Beiträgen unterstützt werden.  

Für Filme mit einem grösseren Publikumspotential von mehr als 2ʼ000 Eintritten hingegen ist eine neue «Vielfaltsprämie» vorgesehen. Das ist eine automatische Förderung, bei der die Verleihfirmen nur noch nachweisen müssen, dass sie die geforderten Eintritte generiert haben. Der administrative Aufwand, so Skerlak, werde damit sowohl für die Verleihfirmen wie auch für das BAK stark vereinfacht. 

Passend zur Neukonzeption der Verleihförderung soll es auch in der Kinoförderung ein neues Förderprogramm geben, das Kinos als kulturelle Begegnungsorte begreift und Rahmenanlässe betrifft wie Premieren­- Events, Filmanlässe mit Diskussionen oder Anlässe, die sich speziell an ein jüngeres Publikum richten. Dieses Programm wird erst in den nächsten Monaten ausgeschrieben, so Jela Skerlak. 

Die vom SSV erhoffte Verdoppelung der Succès-Beiträge für die Kinos wird es nicht geben. Dafür werden, vorerst auf die Pandemie-Jahre 2020 und 2021 befristet, die ­Succès-Schwellen um die Hälfte gesenkt und die Ansätze für Kino um 43% und für den Verleih um einen Viertel erhöht. Auch das Anmeldeverfahren und die Berechnung der Schwellen werden vereinfacht. 

 

Ausschluss der Plattformen

Mehr zu reden geben dürfte die Neuausrichtung von Succès Cinéma. Zum einen sind neu auch Eintritte an Schweizer Festivals anrechenbar. Das wird nicht nur die Festivals, sondern all jene Filmschaffenden und Verleihfirmen freuen, die an den Solothurner Filmtagen oder wie im letzten Corona-Jahr am ZFF manchmal mehr Besucher verbuchen konnten als bei regulären Kino-Vorstellungen. 

Wie aber reagiert das BAK auf die Streaming-Offensive? Neu sind bei Succès Cinéma auch Verkäufe in sogenannten «virtuellen Kinosälen» als Referenzeintritte anrechenbar. Das sind Streaming-Angebote, die von Kinobetreibern oder Verleihern auf Plattformen oder eigenen Webseiten lanciert werden. Dass solche Online-Buchungen denselben Stellenwert erhalten wie ein regulärer Kino­start, ist schon deshalb sinnvoll, weil dies mehr Flexibilität bei der gezielten Lancierung von Filmen ermöglicht. 

Schwer verständlich hingegen ist der Ausschluss der Plattformen bei Succès Cinéma: Wenn ein Schweizer Film via Website eines Kinobetreibers oder Verleihers auf einer Plattform gemietet wird, gibt es Succès-­Cinéma-Punkte, wenn derselbe Film direkt auf cinefile, filmingo oder Myfilm.ch gestreamt wird, gibt es keine Punkte. Dies benachteiligt natürlich die Plattformen (und dürfte ihr Interesse schmälern, Schweizer Filme in ihren eigenen Katalog aufzunehmen). Immerhin tragen Streamingplattformen zur Präsenz und – bei kleinen, kulturaffinen Portalen – teils auch zur Vermittlung von Schweizer Filmen bei. 

 

Viele Einzelkämpfer

Was sagt Jela Skerlak dazu? Dem BAK sei bewusst, dass durch diese Unterscheidung Eintritte «verlorengingen». Eine Berücksichtigung aller VoD-Eintritte brauche jedoch noch mehr Zeit: «Wir haben seit 2017 eine Meldepflicht von sämtlichen VoD-Abrufen des Schweizer Publikums, das gilt etwa für Netflix. Wir haben die Vision, dass in Zukunft sämtliche Konsum-Formen von Schweizer Filmen im Succès-Cinéma-System berücksichtigt werden. Allerdings ist bei Plattformen die statistische Erfassung von VoD-Abrufen noch nicht gut genug. Der Ball liegt nun bei den Plattformen selbst und beim Bundesamt für Statistik, das technische Lösungen entwickeln hilft.» 

Auch wenn es noch keine direkte Förderung von Plattformen gebe, so würden Filme auf Plattformen von der Förderung ja nicht ausgeschlossen: «In der selektiven Verleihförderung sind Promotionsmassnahmen neu auch bei einem reinen VoD-Start anrechenbar.» Dank VoD sehe man «eine grosse Chance zur Vergrösserung der Angebotsvielfalt», gerade für jenen Teil der Bevölkerung ohne Arthauskino in der Nähe.  

Dabei stellt sich – unabhängig von aktuellen Förderungskonzepten – eine andere Frage: Was geschieht, wenn nun jeder Kinobetrieb und jeder Verleiher auf diversen Kanälen noch eigene Streaming-Angebote lanciert? Aus Zuschauersicht sind diese Mikroangebote nämlich vor allem verwirrend und unübersichtlich: Wer hat noch den Überblick, was wo geboten wird? Auch von Verleiherseite gibt es Skepsis, ob so viel Einzelkämpfertum noch sinnvoll ist: So ruft zum Beispiel Mischa ­Schiwow (Frenetic) Verleiher, Kinobetriebe und Plattformen dazu auf, bei aller Konkurrenz auch nach gemeinsamen Lösungen suchen (Lesen Sie dazu unseren Gastkommentar). Damit das Angebot für Zuschauer überschaubar bleibt. Und sich nicht zuletzt zu viele um zu wenig Brosamen streiten. 

 

▶  Originaltext: Deutsch

 

Eine halbe Million zur Wiedereröffnung  der Kinos

Zusätzlich zu den Neuerungen in der Verleih- und Kinoförderung gibt es vom BAK zwei einmalige Ausschreibungen, um anlässlich der Wiedereröffnung der Kinos etwa 10 Schweizer Filme mit insgesamt 500ʼ000 Franken zu unterstützen; pro Film sind maximal 50ʼ000 Franken vorgesehen. Gesuche einreichen können Verleiher.

Die erste Ausschreibung von Ende April ist für Filme gedacht, die bei der Wiedereröffnung der Kinos lanciert werden, die zweite Ausschreibung Ende August für Filme im Herbst. Zustandegekommen ist die Unterstützung von Marketingmassnahmen durch eine Initiative von Pro Cinema und Cinésuisse. Die Details der Ausschreibung waren bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. 

Zusätzlich beteiligt sich das BAK mit einmalig 120ʼ000 Franken an der mehr­monatigen Kampagne «Back to Cinema» des Kinoverbands Pro Cinema.

Visions du Réel

Dokumentarfilm- und Audiovisionsforum

In Zusammenarbeit mit Focal

 

«Welches Publikum für morgen?

Die Dokumentarfilm-Distribution – ein Jahr danach»

18. April, 10:30 –13:30

Usine à Gaz, Nyon

 

Mit: Matthias Bürcher (BAK)

Susa Katz (Zürcher Filmstiftung)

Pierre-Adrian Irlé (Play Suisse)

Tobias Faust (Kultkino, myfilm.ch)

Mischa Schiwow (Frenetic Films)

David Bernet (Regisseur) 

 

Moderation: Barbara Miller (ARF/FDS)

Sprachen: Französisch und Deutsch, mit englischer Übersetzung. 

www.visionsdureel.ch

 

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