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25 Jahre und voller Ambitionen

Muriel Del Don
18. Mai 2017

Das CISA wandelt sich, ohne seinen ursprünglichen Zielen untreu zu werden. Was bedeutet es, einzige Filmschule im Tessin zu sein? Wird sie in der Schweiz und im Ausland wahrgenommen? Ein Besuch in Lugano.

Nach dem Tod ihres Gründers im Jahr 2005 hatte das Conservatorio Internazionale Scienze Audiovisive CISA eine Krise durchzustehen, die sich nachträglich als nützlich erwies. Die Schule hatte ein wenig ihre Positionierung und ihre Zielvorstellungen verloren und es musste ein Nachfolger für Pio Bordoni gefunden werden. Zunächst stand als Leiter Marco Müller in Aussicht, aber nach seiner Wahl zum Direktor des Filmfestivals Venedig ging er einen anderen Weg. Die Schulleitung wurde interimistisch vom italienischen Produzenten Gianfilippo Pedrotti und der Tessiner Anwältin Giovanna Masoni Brenni übernommen. Zwei Jahre lang durchlebte die Tessiner Schule eine Zwischenphase und suchte das Gleichgewicht wieder zu finden. Es war Domenico Lucchini, der vormalige Direktor des Centro Culturale Svizzero Milano und des Schweizer Instituts in Rom, der 2008 die Leitung übernahm.

Domenico Lucchini und seine neue Equipe mussten die Zielsetzungen des CISA neu überdenken, nämlich die einer Berufsschule, die auf die Berufe beim Film und beim Fernsehen praktisch vorbereitet. Diese Zielsetzung bildet heute noch das Rückgrat des Schulkonzepts. Ihr Direktor führt uns durch eine Schule, in der nach Art einer Kunstwerkstätte der Renaissance verschiedene Metiers gepflegt werden und Teamgeist im Vordergrund steht. 
 

Ein neuer Campus

Es ist ein kalter Sonnentag, wie er für das Tessin typisch ist und uns sogar die winterliche Lethargie erträglich macht. Der Direktor empfängt uns mit einem Lächeln, das die Verbundenheit mit seiner Schule spüren lässt, in der man die Lernenden das Experimentieren lehrt, ohne dass sie dabei die Bodenhaftung verlieren. Das CISA kann dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiern, ein markanter Augenblick für eine kleine Schule, die in der Region am Anfang als eine Art UFO wahrgenommen worden war. «Für viele, und erst recht im Tessin, war damals ein Filmstudium schwer vorstellbar. Kaum ein Tessiner kannte das CISA», berichtet Andrea Pellerani, Absolvent mit Diplom von 2007. Die Schule musste sich also erst bemerkbar machen und musste zeigen, dass man auch in einer ziemlich engen Region wie dem Tessin Grosses träumen kann.

Nach 25 Jahren formuliert das CISA seine Absichten und Wünsche heute selbstbewusst und deutlich: Ein neuer Campus soll errichtet werden (die Arbeiten sind im Gange). Er wird das Kino «Lux» in Massagno – in «Arthouse Lux» umbenannt – integrieren und in einem neuen Gebäude ein Studio von 500 m² Grundfläche sowie Unterrichts- und Produktionsräume für die audiovisuelle Produktion beherbergen. Mit dem neuen Komplex, in jeder Hinsicht von universitärem Zuschnitt, auch dank dem Einbezug des Kinos, wird sich die Schule noch mehr auf den künstlerischen Film ausrichten, auf Begegnungen mit Filmschaffenden, nicht zuletzt des Schweizer Films. Eine Besonderheit des Campus Massagno stellt das Konzept dar, dass künftig die Studierenden das Kino betreiben werden: die Programmation, Betreuung der Eingeladenen, vom Kassendienst bis zur Bedienung an der Bar. Eine alternative Art, das Führen eines Kinos und das Funktionieren des Kinoverleihs kennenzulernen. Ein anspruchsvolles Projekt, mit dem die Schule aus dem Schatten heraustreten und lautstark vermelden will, dass das Tessin existiert.
 

Berufsperspektiven in Film, Fernsehen und Multimedia

Das CISA ist 1992 vom Tessiner Filmemacher und Produzenten Pio Bordoni gegründet worden: «Er war vom Metier und war überzeugt, dass man in einem kleinen Gebiet wie dem unseren, wo es damals weder Universitäten noch Fachhochschulen gab, durchaus eine Berufsschule für angehende Audiovisionsleute gründen könnte», erläutert Domenico Lucchini. Bordoni nannte diese Conservatorio Internazionale Scienze Audiovisive, um damit seine Absicht zu betonen, Leute in verschiedenen Berufen heranzubilden, ähnlich wie man es in den «botteghe» der Renaissance praktiziert hat – eine Nuance, die das CISA bis heute bewahrt hat. Daher sind die Absolventinnen und Diplomanden typischerweise Technikerinnen und Techniker mit Berufsperspektiven nicht exklusiv im Film, sondern ebenso beim Fernsehen oder in Multimediaproduktionen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war für Bordoni die Öffnung zur Welt. Der Gründer wollte nicht, dass sich die Schule abschottet, sondern die besonderen Gegebenheiten der Lage nutzt: die Nähe zu Italien und das Fehlen von Konkurrenz im Bereich audiovisueller Ausbildung. Während aber HEAD, ECAL oder ZHdK unter den internationalen Filmschulen schon klingende Namen sind, gibt es für das CISA hier noch aufzuholen. Der neue Campus von Massagno und die Beziehung zum Locarneser Palazzo del cinema dürften der Schule ebenso zu mehr Wahrnehmung verhelfen wie seit zwei Jahren die Mitgliedschaft beim CILECT (Centre International de Liaison des Écoles de Cinéma et Télévision), des Dachverbands von weltweit 160 Film- und Fernsehschulen.
 

Viele Schulabgänger finden Arbeit beim RSI

Was das CISA, verglichen mit anderen Schweizer Filmschulen, auszeichnet und unterscheidet, sind sein Status und seine engen Beziehungen zur Fernsehproduktion. Das CISA entstand als eine Kunstgewerbeschule und erhielt neuerdings den Rang einer Höheren Fachschule (FH). Lieber wollte man ein Berufsbildungsinstitut bleiben: Lucchini betont, «wir wollten uns nicht wie andere Filmschulen einer Hochschule angliedern und dort eine Abteilung unter vielen anderen werden. Wir wollten lieber klein bleiben wie unser Kanton, um alle Studierenden optimal begleiten zu können. Je grösser man wird, umso eher gleiten einem die Dinge aus den Händen.» Das CISA hätte zwar an finanzieller und organisatorischer Stabilität gewonnen, hätte es sich in die SUPSI (die grosse Tessiner Hochschule) integriert; es hätte aber ein Gutteil seiner Identität und seiner Autonomie verloren. Die Zukunft wird weisen, ob dies der richtige Entscheid war.

Lucchini zufolge erlaubt sein Status dem CISA, mit der Arbeitswelt in Kontakt zu bleiben und sich zugleich pädagogisch zu verbessern. «Ich bin glücklich, dass wir eine Höhere Fachschule wurden, denn das gestattet uns den direkten Link zum Arbeitsmarkt. Zwischen 80 und 85 Prozent der Abgänger finden eine Stelle im Bereich ihrer Spezialausbildung.» Viele werden vom Tessiner Fernsehen RSI engagiert, dem wichtigsten Arbeitgeber der Diplomierten. In Zusammenarbeit mit diesem hat das CISA übrigens soeben ein Fachdiplom «creative producer» geschaffen, das speziell auf Fernseharbeiten ausgerichtet ist. Diese enge Beziehung, die der Leiter wiederholt erwähnt, ist eine Besonderheit des CISA. «Wir sind stolz, dass wir unsere Studierenden auch für Fernseh- und Multimediaproduktion ausbilden, und es ist eines unserer Grundziele», fügt Lucchini hinzu, «die Leute abzuhärten, um sich im rasch wechselnden Berufsumfeld der Kommunikations- und Audiovisions­branche neuen Gegenbenheiten anpassen zu können. Wir wenden uns dem zu, was gefragt ist.»

Im Unterschied zu den anderen Schweizer Filmschulen ist das Luganeser «Konservatorium» ein privates Institut, dessen Diplome auf Bundesebene anerkannt sind. Zwar ist es subventioniert vom Kanton und vom Bund, doch haben die Studierenden erhebliche Studiengebühren zu bezahlen: 17’000 Franken für die zwei ersten Jahre, weitere 10’000 Franken für das Nachdiplomjahr mit der Spezialisierung, was eine Barriere sein kann.
 

Nachdiplomstudium im Palazzo del cinema von Locarno

Domenico Lucchini kam zum CISA zwei Jahre nach der ersten Stiftungsgründung für den Palazzo del cinema von Locarno. Er wollte sogleich, dass seine Schule mit diesem für die Schweiz wie international wichtigen Festival kooperiert. Der Palazzo del cinema, dessen Eröffnung in diesem Sommer vorgesehen ist, wird künftig den Studiengang des Spezialisierungs-Nachdiplomjahrs beherbergen. Die Beziehungen zu Locarno sind schon immer sehr intensiv gewesen. Traditionellerweise verwandeln sich die Studierenden während der zwei Festivalwochen in Hilfskräfte der Veranstaltung, indem sie Beiträge zu Pardo Live verfassen oder Videos der Pressekonferenzen realisieren. 

Gibt es auch Beziehungen des CISA zu anderen Festivals in der Schweiz und im Ausland? Lucchini bemerkt, dass «die Qualität der Diplomfilme unserer Schule kontinulierlich steigt. Die meisten sind Koproduktionen zwischen der RSI und unabhängigen Tessiner Produktionen, doch nicht alle. Manche werden für wichtige Festivals wie Solothurn, Locarno oder Winterthur ausgewählt. Wir beginnen allmählich, uns in der Festivalszene bemerkbar zu machen, doch gibt es hier noch einiges zu tun. Einzelnen Produktionen wie ‹The Life of Mecca› von Stefano Etter sind sogar kleine Karrieren gelungen.»

▶  Originaltext: Französisch

 

Lara Fremder, ​Drehbuchautorin, Regisseurin und Dozentin im Fach Drehbuch am CISA in Lugano:

Was sind Ihrer Meinung nach die Besonderheiten des CISA?
Das CISA setzt auf die praktische Berufsausbildung der Studenten. Es bietet für jeden Beruf der Film- und Fernsehindustrie eine eigene Spezialisierung an: von Ton über Montage bis hin zu Produktion, Drehbuch, Regie und Kamera. Dies findet man zwar auch an anderen Filmschulen, doch das CISA bietet den Studenten die Möglichkeit, während der ersten zwei Studienjahre in allen Berufen der Filmindustrie ein wenig zu «schnuppern», um sich dann im letzten Jahr für eine Sparte zu entscheiden. Praxis wird an der Schule gross geschrieben, sie zeigt den Studenten die Wichtigkeit aller Berufe in der Filmbranche auf sowie die Bedeutung von Teamarbeit bei der Entstehung eines Films. Im Vergleich zu den grossen Filmschulen fördert das CISA eine gewisse Intimität, die man anderswo nicht findet. 

Spornt das CISA seine Studenten an, mit dem Medium Film zu experimentieren?
Es wäre toll, wenn die Studenten schon zu Beginn ihrer Ausbildung  experimentieren würden, doch sie sind oft noch sehr jung und müssen sich zuerst mit dem Film vertraut machen, bevor sie sich gehen lassen können. Während der dreijährigen Ausbildung wachsen sie heran und entdecken den Film von einer anderen Seite. Natürlich ist das von Schüler zu Schüler unterschiedlich: Einige haben schon künstlerische Erfahrung, wenn sie in die Schule eintreten, andere müssen erst noch stimuliert werden. Im ersten Studienjahr will jeder Regisseur werden, doch während der Ausbildung ändern viele ihre Meinung und wenden sich anderen Berufen zu. Am Anfang sind die Studenten noch ein wenig orientierungslos, sie stellen sich viele Fragen. Es braucht eine kreative Ader und Lust, etwas zu wagen. 

Eine weitere Besonderheit des CISA, die ich sehr interessant finde, ist der Austausch zwischen Studentenn und den Referenten der Master­classes: Bellocchio, Minervini, Lech Kowalski – Namen, die dem breiten Publikum nicht sehr bekannt und die dennoch einflussreich sind.  

Welche Beziehungen unterhält das CISA zum Fernsehen?
Wir arbeiten mit dem Fernsehen zusammen, denn dort ist es derzeit am einfachsten, einen Job zu finden. Ich finde es unsinnig und unnötig, das Fernsehen gegenüber dem Kino zu diskriminieren. Nicht jeder Kinofilm ist ein Autorenfilm, und nicht jede Fernsehproduktion ist gezwungenermassen von minderer Qualität. Das Kino und das Fernsehen sprechen grundsätzlich die gleiche Sprache, auch im meinem Unterrichtsfach Drehbuch mache ich keinen Unterschied. Es geht darum, wie man eine Geschichte erzählt, egal in welchem Medium. Zudem müssen die Studenten lernen, richtig mit Worten umzugehen. Wenn man einen Dokumentarfilm schreibt, muss man die Sprache perfekt beherrschen, um sein Projekt bestmöglich zu präsentieren und ihm Glaubwürdigkeit zu verleihen. 

 

Andrea Pellerani, Regisseur, ehemaliger Student des CISA und der HEAD in Genf:

«Am Anfang waren wir nur eine kleine Gruppe, und wir waren alle noch sehr naiv. Am CISA habe ich gelernt, mich mit anderen auseinanderzusetzen. Die Dozenten warnten uns, es sei einfacher, im Lotto zu gewinnen, als ein erfolgreicher Regisseur zu werden. Zu Beginn der Ausbildung lernten wir, mit der Technik umzugehen: die ersten grossen Kameras, die Arbeit mit dem Dolly. Mit dem Aufkommen des Internets und der neuen Technologien ist die Magie, die vom Kino ausgeht, kleiner geworden und die Schulen müssen neue Unterrichtsformen entwickeln.

Einige Dozenten und Referenten haben mich berührt und meine Entwicklung gefördert. Dabei denke ich vor allem an Mario Garriba, der im Fach Drehbuch unterrichtete. Er war sehr streng und trieb uns an, unser Bestes zu geben. Seine Methode war die Konfrontation. Auch Andrea Pastor hat mich geprägt; seine Liebe zum Kino ist tief verwurzelt. Er hat seine ganz eigene Art, Filme zu analysieren: Einstellung für Einstellung, wie wenn man Gemälde betrachten würde. Er hat uns gelehrt, das Kino anders zu sehen. Auch Luciano Rigolini war ein Dozent, der meine Zeit am CISA geprägt hat.

Die Schule hat mir auch den Zugang zum Dokumentarfilm geöffnet, einer Welt ohne feste Regeln, obwohl man nach der Ausbildung natürlich feststellen muss, dass man wegen der Finanzierung, des Budgets und Unvorhergesehenem doch eingeschränkt ist. «Autor» zu sein ist wesentlich einfacher, solange man noch an der Schule ist. Das CISA hat mich auch auf die praktischen Aspekte des Berufslebens vorbereitet. In Bezug auf Kurse im Bereich der Produktion fand ich das CISA und die HEAD sehr ähnlich. Die Kurse am CISA waren sehr praktisch: Wir lernten, wo und wie wir finanzielle Mittel beschaffen können, auf welche Fonds wir uns abstützen können. An der HEAD war die Situation sehr ähnlich, dort wurde jedoch auch über mögliche Koproduktionen mit Frankreich, Belgien und Kanada gesprochen.

 

Mariangela Merletta, ​Kamerafrau und Absolventin des CISA:

«Im ersten Jahr am CISA besuchte ich theoretische Kurse, die meinen Blick weiterentwickelt und geschärft haben. Mit wurde bewusst, welcher Stil mir gefiele für meine Filme. Am CISA stehen Teamarbeit, Ideen- und Meinungsaustausch von Anfang an im Zentrum. So lernt man auf menschlicher Ebene, andere Studenten zu akzeptieren, mit ihnen zu teilen. Es hilft auch, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen und zugleich zu festigen. Im zweiten Jahr spezialisieren sich die Studenten. Ich selber habe Kamera gewählt. Die verschiedenen Sektionen arbeiten zusammen, man entwickelt im vorgegebenen zeitlichen und finanziellen Rahmen gemeinsam Ideen. Im dritten Jahr absolvieren die Studenten ein individuelles, auf ihre persönlichen Bedürfnisse abgestimmtes Kursprogramm. Ich habe vieles ausprobiert und gelernt, im Team zu arbeiten,  zugleich nahe an der Geschichte und offen gegenüber Experimenten zu bleiben, etwas zu wagen und aus meinen Fehlern zu lernen. Das CISA ist eine ausgezeichnete Plattform, eine Schule des Lebens, die dich auf das Arbeitsleben vorbereitet, ehrlich und ohne zu beschönigen. Nach der Schule war es nicht einfach, doch ich hatte nichts anderes erwartet und war darauf vorbereitet.» 
 

▶  Originaltexte: Französisch

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