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Die Zukunft des Dokumentarfilms

Adrien Kuenzy
26. April 2023

Die erste Podiumsdiskussion des Forums für Dokumentarfilm und Audiovisuelles mit dem Titel «In welchem Ausmass ist der kreative Aspekt des dokumentarischen Filmschaffens vielfältig und wie wird er unterstützt?» © Kenza Wadimoff

Das diesjährige Forum für Dokumentarfilme und audiovisuelle Medien des Festivals in Nyon befasste sich mit der Finanzierung von Werken, die über den Tellerrand hinausschauen, sowie mit den Herausforderungen der Koproduktion in der Schweiz.

Das Forum für Dokumentarfilme und audiovisuelle Medien, ein Treffpunkt für den Austausch zwischen Schweizer Filmschaffenden bei Visions du Réel, konzentrierte sich auf den Stand der Produktion von künstlerisch anspruchsvollen Dokumentarfilmen. Eine «Rückkehr zum Wesentlichen» nannte es das Festival in Nyon. Die Gäste konnten ihre Sorgen im Zusammenhang mit der Entwicklungsphase eines Films und mit Koproduktionen (Majoritäre oder minoritäre Beteiligungen) zur Sprache bringen (siehe Kasten am Ende des Artikels).

Entscheidende Fragen dienten als Leitlinie: Sind öffentliche Gelder oder Fernsehsender noch die ersten Verbündeten? Wie kann man über die Finanzierung und Produktion von Projekten nachdenken, die aus den Schubladen herausfallen?

 

Ein Kino, das Risiken eingeht 

Zwei Podiumsdiskussionen brachten verschiedene Fachleute zusammen. Während der ersten mit dem Titel «In welchem Ausmass ist der kreative Aspekt des dokumentarischen Filmschaffens vielfältig und wie wird er unterstützt?» sprach die Moderatorin Michela Pini, die auch Produzentin bei Cinédokké ist, sprach mit Fabrice Aragno, einem ehemaligen engen Mitarbeiter von Jean-Luc Godard und Produzent bei Casa Azul Films, Susa Katz, stellvertretende Geschäftsführerin der Zürcher Filmstiftung, Peter Mettler, Regisseur, und Sven Wälti, Filmverantwortlicher bei der SRG.

 

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Der schweizerisch-kanadische Filmemacher Peter Mettler, der beim diesjährigen VdR «While the Green Grass Grows» vorstellte, eine Art Filmtagebuch, in dem er seine intime Beziehung zur Welt beschreibt, eröffnete die Debatte: «Meine Filme befinden sich ständig in der Entwicklung, mit Entdeckungen und Experimenten.» Der Autor des halluzinierenden Films «Gambling, Gods and LSD» fügte hinzu: «Eine der Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Institutionen besteht darin, dass diese immer wissen müssen, wohin man geht, um Gelder zu erhalten. Mein letztes Projekt hatte die Form eines Tagebuchs. Es ist also kompliziert, alles zu begründen, bevor man etwas erschafft. Dasselbe gilt für den Maler, der nicht malt... bevor er malt!».

Peter Mettler im Gespräch. © Kenza Wadimoff

 

Fabrice Aragno stimmt dem zu, erinnert aber daran, dass es angenehm ist, bei Cinéforom die Möglichkeit zu haben, für einen bereits fertiggestellten Film einen Antrag auf Finanzierung stellen zu können. «Ich mache meine Projekte mit den Händen. Manchmal findet man im Film nicht die Freiheit, die andere Künste bieten. In meinem Werdegang, insbesondere mit Jean-Luc Godard, sind die Filme nicht aus der schriftlichen Form entstanden. Alle Werke, an denen ich mitgearbeitet habe, haben mit Bildern begonnen.  In gewisser Weise tötet ein Zuviel an Worten den Film».

 

«Eine der Schwierigkeiten, wenn man mit Institutionen arbeitet, ist, dass sie immer wissen müssen, wohin wir gehen, um Gelder freizugeben. »

Peter Mettler, Filmemacher

 

Sven Wälti räumt ein, dass die SRG systematisch Exposés und schriftliches Material verlangt. Er erinnert aber auch daran, dass im Fall des letzten Films von Peter Mettler, der von der SRG koproduziert wurde, auch ein erster Schnitt des Films für die Finanzierung berücksichtigt wurde. «Das zeigt, dass wir flexibel bleiben. Man muss auch daran erinnern, dass das Fernsehen sehr spät mit dem Dokumentarfilm ins Spiel kommt, erst in der Produktionsphase, abgesehen von einigen Ausnahmen wie dem Wettbewerb Prix RTS: Soutien à la création documentaire

 

Sven Wälti der Filmverantwortliche  beim SRG. © Kenza Wadimoff

 

Susa Katz meint: «Man muss sich vor Augen halten, dass die Institutionen Papier brauchen, um zu begründen, wohin die öffentlichen Gelder fliessen. Aber in den letzten dreissig Jahren haben sich die Dinge geändert. Heute haben Filmemacher die Möglichkeit, andere Medien in ihre Finanzierungsanträge einzubringen. Entscheidungen werden nicht nur noch auf schriftlicher Basis getroffen.»

 

Zwischen Regelwerk und Flexibilität

Die stellvertretende Geschäftsführerin der Zürcher Filmstiftung stellt klar, dass ein Fördergremium nie bis ins letzte Detail prüfen wird, ob das Werk nach seiner Fertigstellung vollständig dem eingereichten Förderantrag entspricht. Dies garantiert auch eine Form der Freiheit. Es wird anerkannt, dass das Filmemachen ein Prozess ist.

 

«Man muss sich vor Augen halten, dass die Institutionen Papier brauchen, um zu begründen, wohin die öffentlichen Gelder fliessen.. »

Susa Katz, stellvertretende Geschäftsführerin der Zürcher Filmstiftung

 

Sven Wälti erwähnt auch andere Möglichkeiten, um zu drehen, bevor man alle Finanzierungen erhalten hat, nämlich durch den Succès passage antenne, eine Prämie, die von der SRG vergeben wird, um den Erfolg von Koproduktionen auf dem Sendeplatz zu würdigen. Ebenso wie der Succès Cinéma des Bundesamtes für Kultur, unter anderem. Laut Fabrice Aragno sind diese Möglichkeiten in der Branche bereits gut bekannt und es müssen nun weitere Öffnungen für Filme geschaffen werden, die nicht in vordefinierte Schubladen passen.

Es war auch die Frage des Formats, die unter anderem einen Grossteil der Diskussion bestimmte. Roland Hurschler, Generalsekretär des ARF/FDS, der im Publikum anwesend war, betonte, dass der Begriff «Dokumentarfilm» seiner Meinung nach heute zu pauschal für alle Arten von Produktionen nicht-fiktionaler Formate verwendet werde, darunter auch journalistische Formate wie Reportagen oder Reality-Shows, insbesondere bei der SRG. Darauf antwortete Sven Wälti, dass das gesamte System der Formate tatsächlich überdacht werden müsse und dass die Diskussionen innerhalb der SRG bereits vor vier Jahren begonnen hätten. Einer von vielen Aspekten also, die weiterverfolgt werden müssen.

Koproduktionen

An der zweiten Podiumsdiskussion über die Herausforderungen und Chancen von Koproduktion nahmen Joëlle Bertossa (Close Up Films), Patrizia Pesko (Bundesamt für Kultur, Sektion Film), Elena Tatti (Box Productions) und Pascal Trächslin (Cinework Filmproduktion GmbH) teil. Koproduktionen bieten Alternativen für Filme, die Schwierigkeiten haben, in der Schweiz finanziert zu werden, und ermöglichen, ausländische Produktionen als minoritäre Koproduzenten zu unterstützen.

 

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Doch inwiefern tragen sie zu einer grösseren Vielfalt des Dokumentarfilms bei? Die Referenten und Referentinnen konnten diese Fragen ausgiebig diskutieren und gleichzeitig Wege aufzeigen, wie die Zusammenarbeit in Zukunft verstärkt werden kann. Es wurden einige Schwierigkeiten aufgezeigt, insbesondere im Zusammenhang mit bestimmten Formularen für die Einreichung von Anträgen.

Seit der Einführung des Punktesystems im Jahr 2019 durch das Bundesamt für Kultur (BAK) wird der künstlerischen Dimension eines eingereichten Dossiers weniger Gewicht beigemessen, «da minoritäre Projekte bereits im Majoritärland auf diesen Aspekt hin bewertet und somit als förderungswürdig eingestuft wurden», hatte Ivo Kummer vom BAK in einem unserer Artikel in Erinnerung gerufen. In der Diskussion wurden die Stärken und Schwächen dieses Systems aufgezeigt. Und es wurden die Herausforderungen diskutiert, die das Kriterium der Reziprozität mit sich bringt.

Ausserdem wurde ein neues Förderinstrument zur Stimulierung der gemeinsamen Entwicklung von minoritären Koproduktionen vorgestellt. Das von MEDIA Desk Suisse und dem BAK entwickelte und seit Anfang des Jahres bestehende Instrument war bereits in Solothurn sowie auf unseren Seiten und auf unserer Internetseite erläutert worden.

 

 

 

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