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Zwei Plebiszite zum Film

Thomas Tribolet
21. Juli 2022

Thomas Tribolet © zvg

«Lex Netflix» hat eine Vorgeschichte: Ein kleiner historischer Exkurs. 

Für den Schweizer Film ist es ein Sprung ins 21. Jahrhundert: am 15. Mai 2022 hat das Volk mit 58,42 Prozent Ja gesagt zur Änderung des Filmgesetzes. In der kleinen Waadtländer Gemeinde Mauraz waren es gar 100 Prozent! Dieses Plebiszit ist für die Filmbranche eigentlich ein Jahrhundertereignis, denn das war erst die zweite Volksabstimmung zum Film. Am 6. Juli 1958 war die erste Abstimmung. Damals ging es aber nicht um ein Referendum, sondern abgestimmt wurde über die Verankerung des Films in der Bundesverfassung; zum neuen Verfassungsartikel haben 61,3 Prozent Ja gesagt. 1958 war übrigens die Stimmbeteiligung mit 42,34 Prozent ähnlich niedrig wie im vergangenen Mai (40,03 Prozent). Allerdings war die Schweiz im Jahr 1958 noch eine Aristokratie der Männer, die Frauen durften nicht abstimmen. 

Bei beiden Abstimmungen im Mai 2022 und jener von 1958 ging es auch um die Beziehung der Schweiz zum Ausland. Während diesmal die ausländischen Werbefenster und die grossen internationalen Streaming-Anbieter das grosse Thema waren, wurde 1958 die Regelung des Filmimports auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Dies nachdem bereits 1938 durch den Bundesrat die Einfuhr von Filmen beschränkt worden war, um die nationalsozialistische Beherrschung des Schweizer Filmmarkts abzuwehren. Auf Grund dieses Verfassungsartikels wurde dann 1962 im Parlament das Filmgesetz beschlossen. 

Seit Juli 1958 ist also für den Film und die Filmförderung der Bund zuständig, während Kultur und Kulturförderung sonst Aufgaben der Kantone und Gemeinden sind. Dieser Grundsatz gilt bis heute. Der Film hat damit in der nationalen Kulturpolitik eine Sonderrolle, das geht oft vergessen und muss immer wieder betont werden.

 

Damalige Vorbehalte sind uns heute fremd 

Mit dem neuen Artikel 27ter der Bundesverfassung wurde 1958 folgendes geregelt: Erstens erhält der Bund die Möglichkeit, «die einheimische Filmproduktion und filmkulturelle Bestrebungen zu fördern» und zweitens «die Filmeinfuhr, den Filmverleih sowie die Eröffnung und Umwandlung von Betrieben der Filmvorführung zu regeln; der Bund kann hierbei nötigenfalls von der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen, wenn allgemeine kultur- und staatspolitische Interessen dies rechtfertigen».

Diese Bestimmung zeigt, dass der Bund auch Angst hatte vor den Kinofilmen und deren Einfluss auf die Gesellschaft. So kann nämlich der bundesrätlichen Botschaft vom 24. Februar 1956 folgendes entnommen werden: «Durch die Verdunkelung des Zuschauerraumes wird das Zeitgefühl geändert und die Kritikfähigkeit eingedämmt; dadurch, dass sich der Film primär an das Auge wendet, wird seine Bildsprache ohne wesentliche intellektuelle Anstrengungen verstanden. Daher auch seine suggestive Kraft.» 

Diese wunderlichen Sätze zeigen deutlich, welche Vorbehalte und Ängste gegenüber dem Kino herrschten. Diese sind uns heute gänzlich fremd. In demokratischen Staaten ist nach heutigem Verständnis zum Glück keine Zensur mehr denkbar. Der Staat beschränkt sich in erster Linie auf klassische Kulturförderung oder – wie mit dem neuen Filmgesetz – auf Auflagen für Dritte.  

 

Thomas Tribolet ist Rechtsberater verschiedener Filmverbände 

 

Originaltext Deutsch

 

 

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