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Fake News sind ansteckend

Florian Keller
31. Mai 2022

Postfaktisch wie nach Lehrbuch: Was bleibt von der Kampagne gegen das Filmgesetz?

Zwölf Tage vor der Abstimmung wurde es vollends absurd: «Bersets Leute halten wichtige Dokumente zu Lex Netflix zurück». So titelte das Onlineportal «Watson» über einem Interview mit Matthias Müller, als Präsident der Jungfreisinnigen die treibende Kraft beim Referendum gegen das Filmgesetz. Was das für wichtige Dokumente sein könnten? Der Journalist hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, nachzufragen.

Die Kampagne der Filmgesetz-Gegner war aber auch von Anfang an postfaktisch wie nach Lehrbuch. Das hatte schon auf der Strasse angefangen: «Willst du, dass Netflix billiger wird?» Mit dieser Frage soll in der Romandie für das Referendum gesammelt worden sein, wie der «Blick» publik machte. Später, im Abstimmungskampf, wurde es nicht besser. Ganz egal, wie oft sich jemand in den Medien oder auf Twitter die Mühe machte, Schlagworte wie «Filmsteuer» oder «Zwangskonsum» zu widerlegen: Gebetsmühlenartig wurden diese Fake News weiter in den Diskurs eingehämmert. Oder dann die Zahlen, die Referendumsführer Müller seit Herbst 2021 streute: Schon heute werde der Schweizer Film mit 150 Millionen Franken pro Jahr subventioniert. Später waren es irgendwann «nur» noch 120 Millionen – immer noch falsch, aber davon liess sich Müller nicht beirren.

Selbst beim Bund schien man sich davon anstecken zu lassen. Die teils falsch eingefärbte Europakarte im Abstimmungsbüchlein war vielleicht nur eine peinliche Lappalie. Aber wenn der politische Gegner so ungeniert mit Halbwahrheiten operiert, dürfte so etwas erst recht nicht passieren. 

 

Internationales Renommee, heimisches Nischendasein    

Und was bleibt nach diesen Scharmützeln und nach dem letztlich überraschend deutlichen Ja von über 58 Prozent? Das neue Filmgesetz war ja nie der «gefährliche Präzedenzfall», als der es vom Nein-Lager skandalisiert wurde. Es ist schlicht ein überfälliges und im internationalen Vergleich moderates Update gesetzlicher Regeln, die noch aus der Zeit von DVDs und linearem Fernsehen stammen. Aber machen wir uns keine Illusionen: Diese Abstimmung war in erster Linie eine Wirtschafts-, keine Kulturvorlage. Und die grossen Streamingdienste, die jetzt auch in hiesige Filmwirtschaft investieren müssen, sind an Content interessiert, nicht an Kunst.

Was der Abstimmungskampf aber auch gezeigt hat: Das internationale Renommee, das der Schweizer Autorenfilm seit einigen Jahren wieder geniesst, steht in keinem Verhältnis zu seinem Ansehen hierzulande. Nehmen wir so unterschiedliche Spielfilme wie «Azor», «La Mif» oder «Das Mädchen und die Spinne»: An grossen Festivals preisgekrönt und von der internationalen Kritik gefeiert, fristen sie beim hiesigen Publikum ein Nischendasein. Jetzt, wo das neue Filmgesetz im Trockenen ist, braucht es neue Ideen auch für die Auswertung. Damit der Schweizer Film abseits der viel zu seltenen Erfolgsfilme auch hierzulande das Publikum findet, das er verdient – nicht nur, aber auch im Kino.    

 

Florian Keller ist Kulturredaktor bei der Wochenzeitung

 

Originaltext: Deutsch

 

 

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