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Editorial

Der Rohstoff im System

Donnerstagabend: Das Telefon meldet sich und leuchtet auf dem Nachttisch. Diane schreibt: «Bin an einem Studentenfest, brauche maximal viele Namen von Youtubern in Rekordzeit ... XD.» Die Smilies hüpfen und wissen, dass sie ahnungslos ist. Denn sie ist, wie ich, wie die meisten unter Ihnen, in einer Welt geboren, wo es weder Youtube noch Vimeo, iTunes oder Netflix gab. Die Filmkritiker sagten uns, ob zu Recht oder nicht, ob ein Film die Mühe wert war, ihn im Kino anzuschauen.

Gewiss: Diese Welt gibt es noch, doch ist sie nicht mehr das einzige Wertsystem. Die Branche durchlebt, wie zuvor schon die Musikindustrie, gerade einen radikalen Wandel, wie audiovisuelle Inhalte vertrieben und konsumiert werden. Es gilt nicht, die Vor- und Nachteile der beiden Welten zu diskutieren – vielmehr einen Standpunkt zu finden. Ist es ein Erdrutsch? Eine Überschwemmung? Eine kopernikanische Wende? Ein rettender Halm? Das Ziel der Wünsche?

Einen Film per Video-on-Demand zu verbreiten im unüberschaubaren Getümmel des Internets, heisst darauf setzen, dass er für jedermann zugänglich ist, aber ohne Gewähr, dass sich die Investition auch lohnt.

In den vergangenen Jahren hat sich die Anzahl Plattformen vervielfacht, das Angebot ist überbordend; umso grösser die Gefahr, übersehen zu werden. Dabei gibt es die Chance, ein neues Publikum zu gewinnen; ein wirtschaftlicher Aspekt. Aber auch die Möglichkeit, die Schätze des nationalen Filmerbes, die ausserhalb punktueller Retrospektiven unzugänglich sind, sichtbar zu machen. Das wäre der kulturelle Aspekt.

Unsere Recherche zeigt: Die Erfahrungen von Schweizern mit internationalen Streaming-Plattformen überzeugen noch nicht ganz. Es zeigt sich aber auch, dass man im Netz ein Publikum finden kann, sofern man sich für den richtigen Zeitpunkt, die richtige Strategie, das richtige Marketing und fürs richtige Portal entschieden hat. Nur wenige Produkti- onsfirmen haben ihren ganzen Katalog digitalisieren lassen und bieten diesen online an – dabei wäre dies ein Zwischen- schritt auf dem Weg zu einer nationalen Plattform.

Wie bei jedem Paradigmenwechsel eilt die Technik den Rahmenbedingungen voraus. Wer mithalten will, muss die zentrale Herausforderung akzeptieren: das Problem der Entschädigung. Bei den Beispielen, die wir zusammengestellt haben, gibt es grosse Unterschiede von einer Plattform zur anderen, und die maximale Präsenz führt nicht automatisch zu angemessenen Rückflüssen.

Auch wenn man die neuen Möglichkeiten, die uns die technischen Entwicklungen bescheren, zu schätzen weiss: Dass die ganze Logik der Filmwirtschaft über den Haufen geworfen wird, darf nicht zum Schaden derer geschehen, die die Filme kreieren und deren Arbeit der Rohstoff des ganzen Systems ist. Die andere grosse Unbekannte ist der urheber- rechtliche Aspekt; er wird in der nächsten Ausgabe von Ciné- bulletin Ende November Thema eines weiteren Beitrags sein.

Pascaline Sordet

Unsere aktuelle Nummer (PDF)

Themen n°497-