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Wo die Kurzen zum Langstreckenlauf antreten


01. Oktober 2015

Les premiers jours de novembre verront se dérouler les Journées internationales du court métrage de Winterthour. Les faits marquants en compétition suisse, la place des femmes, l’offre pour les écoles et les professionnels. Aperçu de la 19ème édition.

Am 3. November beginnen die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur. Was beim Schweizer Wettbewerb auffällt und was bei den Frauen. Was für die Filmhochschulen geboten wird und was der Branche. Ein Überblick.

Von Kathrin Halter

Seit 2012 leitet John Canciani die Kurzfilmtage, schon vorher war der künstlerische Leiter und Nachfolger von Reto Bühler in der Auswahlkommission des Wettbewerbs und hat Programme kuratiert.
Nun sitzt Canciani in einem Winter­thurer Café, ein jung wirkender Vierzigjähriger mit rotblondem Bart und hellem Teint, und entschuldigt sich: Er verliere nach der letzten Nacht womöglich auch mal den Faden. Gerade hat Canciani mit der Auswahlkommission über zwölf Stunden lang Filme für die Auswahl des Schweizer Wettbewerbs angeschaut; ab morgen folgen ebenso lange Tagespensen mit der Kommission des Internationalen Wettbewerbs: Der ganz normale Irrsinn im End­spurt vor Festivalbeginn.
250 bis 300 Eingaben aus der Schweiz erreichen das Festival jährlich, das sind laut Canciani gut neunzig Prozent aller hierzulande entstandenen Kurzfilmproduktionen. Nur gerade 15 bis 20 Beiträge schaffen es in die drei Wettbewerbsblöcke, die – auch ein Auswahlkriterium – thematisch und formal aufeinander abgestimmt sein sollen. Quoten gibt es keine, ausgewählt wird, was die Jury überzeugt. Seit diesem Jahr hat das Festival die zulässige Filmlänge von dreissig auf vierzig Minuten erhöht, vor allem wegen der vielen Dokumentarfilme, die manchmal etwas länger dauern als Spielfilme. 
Wer so viele Filme hintereinander anschaut, der sieht irgendwann nicht nur quadratisch, sondern erblickt auch Muster, bevorzugte Themen, sich häufende formale Eigenarten. Was also ist Canciani und seinem Team aufgefallen? Zum einen eine Stärke und Häufung im Dokumentarischen, auch überdurchschnittlich viele gute Beiträgen aus der Westschweiz (siehe dazu das folgende Gespräch). Auffallender noch ein anderes Phänomen: Eine satte Mehrheit, dieses Jahr 12 von 19 Filmen im Schweizer Wettbewerb, stammen von Frauen (Regie oder Ko-Regie). Letztes Jahr ist das der Auswahlkommission zum ersten Mal aufgefallen, abgezeichnet hat sich diese Entwicklung schon seit mehreren Jahren. 
Die überproportional gute Vertretung der Frauen bildet teilweise die Situation an den Filmschulen ab, wo knapp die Hälfte der Studierenabgänger Frauen sind (gemäss einer Auszählung der Jahre 2010-2014). Weil es aber danach, beim Langfilm und vor allem langfristig gesehen, offensichtlich einen Knick gibt und Frauen zumal in der Regie plötzlich zur Minderheit werden, fragt man sich natürlich, woran das liegt. Canciani vermutet die altbekannten Gründe: Die Filmbranche als Männerdomäne, für Frauenkarrieren ungünstige Familienmodelle, die ewige Kinderfrage – all die gesellschaftlichen Zwänge halt, denen auch die Film­szene unterliegt. Aber wer weiss das schon so genau? Vielleicht dauert es einfach seine Zeit, bis sich einige dieser jungen Frauen, die in Winterthur und anderen Kurzfilmplattformen so präsent sind, auch in der langen Form etablieren. Die Problematik jedenfalls wird jetzt – nach Branchenanlässen an den Solothurner Filmtagen und am Filmfestival Locarno – auch in Winterthur diskutiert, im Rahmen des «Producers’ Day» und unter Mitwirkung von Focal (siehe das Programm auf Seite 11). 

Der Filmschulentag

Die Kurzfilmtage sind auch eine Plattform für den Filmnachwuchs: Am Filmschulentag präsentieren die HEAD, die Ecal, die ZHdK und die Hochschule Luzern – Design & Kunst bereits zum achten Mal eine Auswahl ihrer Bachelor-Abschlussarbeiten, rund 40 Minuten pro Schule. Die Veranstaltung erlaubt es, auch Beiträge von Schulen in den Festival-Kontext zu bringen, die es nicht in den Schweizer Wettbewerb geschafft hätten. Vor allem aber wolle man mit dem Filmschulentag die Studenten fördern, sagt Canciani: Der Anlass ist als Wettbewerb mit Preisgeld (5ʼ000 Franken) angelegt, bei dem die Filmschaffenden ihren Film in einem Feedback-Gespräch auf der Bühne vor der Jury vertreten und verteidigen. Und dies auf Englisch, denn die Jury ist international besetzt (dieses Jahr Jing Haase, Market Managerin bei Nordisk Panorama aus Dänemark, Laurence Boyce, Filmkritiker und Festival-Kurator aus England und Ivan Madeo von der Berner Produktionsfirma Constrast Film). 
Das ist anspruchsvoll, auch wenn man bedenkt, dass die Schulabgänger heute im Schnitt erst zwischen zwanzig und fünfundzwanzig sind und somit im Schnitt rund fünf Jahre jünger als noch vor ein paar Jahren (vor der Bologna-Reform). Das merke man schon, sagt Canciani, an mangelnder Selbstsicherheit oder an einer gewissen Naivität bei politischen Themen. Im Vergleich mit Teilnehmern aus dem Ausland seien Schweizer in Sachen Selbstdarstellung und beim Netzwerken sowieso meist zurückhaltender, dabei gebe es keinen Grund, sich zu verstecken. 

Wechsel bei der Kurzfilmnacht-Tour  

Seit diesem Jahr tritt das Festival auch als Veranstalterin der Kurzfilmnacht-Tour auf. Swiss Films hat die Organisation des Anlasses bekanntlich abgetreten, weil sich die Agentur in Zukunft stärker als bisher auf die Promotion des Schweizer Kurzfilms im Ausland konzentrieren will, wie Daniel Fuchs von Swiss Films sagt. Dass die Tour an die Kurzfilmtage übergeben wurde, ist eine naheliegende Wahl; das Festival bezeichnet sich schliesslich mit einigem Recht als «Kompetenz­zentrum des Kurzfilms». Sein Archiv umfasst, darauf ist man stolz, rund 30ʼ000 Kurzfilme; das Festival kuratiert auch Programme für andere Institutionen.
Was aber bedeutet der Wechsel für die Tour, die nach wie vor sehr populär ist? (Die Zuschauerzahlen haben sich zwischen 2003 und 2014 von knapp 8’000 auf knapp 20ʼ000 mehr als verdoppelt). Laut Canciani ist weiterhin ein «niederschwelliges Angebot für ein Samstagabend-Publikum» geplant, kein «Best-of Winterthur». Auch werden weiterhin andere Festivals in die Programmation einbezogen. 
Seit November 2014 dürfen sich die Hauptgewinner der Kurzfilmtage auch für den Oscar um den besten Kurzfilm bewerben; das Festival hat die Auszeichnung nach einem aufwändigen Bewerbungsverfahren erhalten. Für die Oscar-Longlist angemeldet werden können Kurzspiel- oder Animationsfilme, die den Schweizer Hauptpreis oder den Internationalen Preis gewonnen haben. 
Seit neustem sind die Kurzfilmtage auch «BAFTA-qualified», was bedeutet, dass alle britischen Filme im Wettbewerb auf die Longlist für die British Academy Film Awards (der bedeutendste nationale Filmpreis Grossbritanniens) dürfen: Auch das nicht schlecht für das Renommee eines Festivals, das das kurze Format als eigene Kunst erlebbar macht.

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