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Maske all’italiana


21. Juli 2017

An diesem Morgen Anfang Juli strahlt die Sonne in Minusio. «Jedesmal, wenn ich das Fenster öffne, kommt es mir paradiesisch vor», sagt Esmé Sciaroni. Hier im Tessin, wo sie am Festival Locarno den Premio Cinema Ticino erhalten wird, mit dem seit 2009 jährlich eine Persönlichkeit des Filmschaffens ausgezeichnet wird, die im Kanton tätig ist. Auf meine Bemerkung, sie könne diesen Preis ja dann von zu Hause fast zu Fuss abholen, bricht sie in helles, ansteckendes Lachen aus; als dringe Tessiner Sonne durchs Telefon. «Das kam ja ganz unerwartet; nie hätte ich gedacht, diesen Preis zu bekommen.» Esmés Bescheidenheit ist nicht gespielt. Ihr Beruf als Maskenbildnerin, den sie seit 31 Jahren ausübt, entsprang der Liebe zum Film, und diese verdankt sich nicht zufällig dem Festival. «Ich wurde gross mit dem Festival und den Filmklubs, dort habe ich alle Filme von Bergman, Tarkovski, Dreyer gesehen.»
 

Mitarbeit bei Silvio Soldini, Gianni Amelio

Halbwüchsig noch hat sie sich entschieden, im Film zu arbeiten. «Ich machte eine Ausbildung als Kosmetikerin und besuchte Theaterkurse; ich spürte, dass ich in diesen Bereich gehöre.» Es war dann die Maske. Auf italienisch nennt man den Beruf «truccatrice» – doch bei Esmé wird keineswegs «getrickst». Sie ist direkt und gradlinig. Treu ihrem Kanton, treu den Filmemachern, doch um ihren Beruf zu lernen, musste sie mit 19 Jahren das Tessin in Richtung Paris verlassen. «Ich hatte einen Freund, der an die Fémis ging und ich wusste, dass dies die Schule für mich war.» Mit dem Diplom in der Tasche kann sie aber dort nicht bleiben. Zu jener Zeit vor den bilateralen Verträgen muss die Schweizerin in ihr Land zurückkehren.

Nach einer ersten Erfahrung 1985 auf einem Film von Villi Hermann hat sie das Glück, auf einem Werbespot unter der Regie Silvio Soldinis zu arbeiten. «Wir sind Freunde geworden und ich habe seitdem an allen seinen Filmen mitgearbeitet. Wir sind sozusagen zusammen grossgeworden. Der letzte wurde vor wenigen Monaten gedreht. Und wie mit Soldini ging es mit Gianni Amelio, meine Arbeit für ‹Il ladro di bambini› war der Beginn einer engen Zusammenarbeit.»

Zusammenarbeit, gemeinsame Vision… Esmé engagiert sich für einen Film in allen seinen Phasen, von der Entwicklung bis zur Postproduktion. «Vor allem bin ich dem Film treu. Hat ein Regisseur Meinungsverschiedenheiten mit einer Schauspielerin, einem Schauspieler, ergreife ich Partei für den Film.» Sie ergreift aber auch Partei für die Technikerinnen und Techniker und kämpft, bis 2005 zwanzig Jahre lang engagiertes Mitglied im Tessiner Filmtechnikerverband, dafür, dass die Leute aus dem Tessin in Schweizer Produktionen und Koproduktionen präsenter werden.
 

Transpartente Maskentechnik

Und ihre eigene Arbeitsmethoden? Esmé hat eine natürliche Note auf die italienischen Gesichter gebracht. «Vor zwanzig Jahren musste man die Maske sehen, es gab nichts anderes.» Mit ihrer Arbeit überzeugt sie Amelio, der sie bei der Vorstellung von «Il ladro di bambini»1992 auf der Piazza Grande auf die Bühne bittet. «Aiuto» stösst sie aus, sich an ihre damalige Angst erinnernd, als einfache Maquilleuse auf das hohe Podium zu steigen. Sie folgt dem Filmemacher auf «Lamerica», «ein unverstandener Film», bevor dann in Italien ein Schutzgesetz verhindert hat, Techniker von ausserhalb der EU zu beschäftigen. «Italienische Filmemacher riefen an und sagten, sie möchten mit mir arbeiten, wollten aber nicht ihre Förderung verspielen.» Dank Ruth Waldburger, der Produzentin von «Lamerica», konnte Esmé auf Koproduktionen wie «On connaît la chanson» oder «Pola X» arbeiten. Doch es gab nur wenige solche Engagements. So begann sie an der neuen Tessiner Universität Architektur zu studieren, eine andere Art, Formen zu gestalten und die Welt zu verschönern. Wenn sie heute beste Erinnerungen an diese Universitätszeit hat, so dankt sie es vor allem Peter Zumthor, «auch er ein Meister». Doch die Attraktion des Films ist stärker: Nach dem Abschluss der Bilateralen findet ihr Talent wieder Arbeit auf italienischen Drehplätzen.

Zum Schluss frage ich danach, was denn die «Handschrift Sciaroni» ausmacht. Sie lacht: «Ich weiss nicht. Sicher einmal die gute Beziehung zu den Schauspielerinnen und Schauspielern.» So hat  Valeria Bruni-Tedeschi sie, begeistert von ihrer transparenten Maskentechnik, für alle ihre Dreharbeiten gerufen.

«Haben Sie ‹La pazza gioia› gesehen? Valeria ist dort unglaublich. Weil mein Sohn bei den Dreharbeiten teilweise assistiert hat, zeigte ich ihm den Film.» Sie gibt ihrem Sohn die Lust an den Filmen weiter, überzeugt, das Kino habe dem Träumen zu dienen. Silvio Soldini und Gianni Amelio bleibt sie weiterhin verbunden – «wir stehen auch ausserhalb der Filmarbeit in Kontakt.» Amelio hat sie dieses Jahr übrigens zu seinem Film «La Tendresse» gerufen. Wie könnte es anders sein?

Stéphanie Billeter

 

Preisverleihung am Festival Locarno: 9. August, 21:30

Piazza Grande

 

  Originaltext: Französisch

 

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