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Der Standpunkt von Sigrid Dyekjær, Dänemark


16. Juni 2017

Haben Sie schon mal einen Film mit der Schweiz koproduziert?
Ich habe viel und mit vielen Ländern koproduziert. Mit Österreich, Deutschland, Frankreich, fast allen Ländern, aber nicht mit der Schweiz. Unsere beiden Länder sind vergleichbar gross, die Schweiz macht wie Dänemark gute Dokumentarfilme, warum also nicht? Vermutlich einfach, weil ich keine Produzenten kannte. Sie reisen nicht so viel herum wie die anderer Länder, und sie sind wohl auch nicht so aktiv in der internationalen Koproduktionslandschaft. Vielleicht also weil sie schüchterner sind. Manche reden nicht so gut Englisch und arbeiten deshalb lieber mit Frankreich und Deutschland zusammen.

Nun haben Sie ja einige Produzenten getroffen und unser Fördersystem kennengelernt –  was kann Sie also jetzt noch halten?
Es gibt einige Schwierigkeiten mit eurem Koproduktionssystem, namentlich dass wir Geld in der Schweiz ausgeben müssen, um Förderung zu erhalten, wobei die Produzentenarbeit nicht als nationale Ausgabe gilt. Das ist etwas altmodisch. Bei uns genügt es, wenn der Produzent dänisch ist, denn auch ich bin ein kreativer Partner. In der Schweiz sind manche Produzenten zugleich Regisseure, ich aber bin nur Produzentin und muss als kreativer Partner gelten können.

Das heisst, dass Sie Filmtechniker aus der Schweiz einsetzen müssen. Ist das ein Hindernis?
Wenn Sie mit Deutschland koproduzieren, müssen Sie dort nicht eine bestimmte Summe ausgeben. Aber wir wollen es, weil wir dort Techniker kennen und mit diesen gern zusammenarbeiten. Und sie sind gewohnt, international zu arbeiten. Die Schweizer Filmtechniker bleiben unter sich. Wir müssten die Schweizer Talente kennenlernen, aber das ist schwierig, wenn sie nicht reisen. Wie kann ich sie empfehlen, wenn ich sie nicht kenne? 
Die Schweiz sollte mehr unternehmen und Produzentinnen oder Techniker einladen. Ich will meine Mitarbeiterinnen allerdings frei auswählen, nicht weil sie einen bestimmten Pass besitzen. 

Haben Sie den Eindruck, die Beziehungen unter europäischen Produzenten seien eng genug?
Ja, und ich arbeite mit vielen von ihnen zusammen. Dabei hilft natürlich MEDIA; das Programm ist ganz wichtig und ist nicht streng in Bezug auf die Nationalität der Equipenmitglieder, nur was die beteiligten Länder betrifft, denn man weiss dort, dass es für den Verleih nützlich ist, wenn mehrere Länder mitproduzieren. 

Was für Anregungen erwarten Sie denn, wenn Sie mit Koproduzenten zusammenarbeiten?
Ich will wissen, warum eine Geschichte für jemanden, der in der Schweiz lebt, von Bedeutung sein könnte. Man muss seinen Markt kennenlernen. Mein erster Schritt ist, potentiellen Koproduzenten ein Projekt vorzustellen, und dann rede ich mit ihnen darüber, ob es für sie in ihren Ländern relevant ist. Vielleicht trifft diese meine Geschichte ja genau einen Schweizer Nerv? So lernen wir das Land kennen und sein Publikum, bloss indem wir Filme vorstellen und andere Produzenten treffen. Diese Arbeit erwarte ich nicht von den Regieleuten, und eben deswegen meine ich, dass ich als Produzentin ein kreativer Partner bin. Die Gespräche, die wir als Produzenten führen, können kreative Weichenstellungen und Entscheide bewirken. Solche Diskussionen bringen aber kaum Anregungen, wenn sie nur darum kreisen, ob man das Geld da oder dort ausgeben soll. 

Was wäre demnach ihr Motiv fürs Kopro­du­zieren mit der Schweiz?
Das Treffen bestand aus dem Vorstellen unserer Firma und dann einem gegenseitigen Sich-Kennenlernen. Bei einigen der Produzentinnen und Produzenten hatte ich den Eindruck, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten könnte. Täte ich es, so einfach, weil sie mir sympathisch sind. Zwar verhandeln wir wegen des Geldes, aber ich würde keinesfalls mit einem Produzenten koproduzieren, den ich nicht schätze, mit dem ich nicht gern auch einfach Kaffee trinken möchte, wenn also nicht die Chemie total stimmt – einzig um ans Geld zu kommen. Ist die Person mir sympathisch und was sie zu sagen hat, kann ich zusammenarbeiten, und fantastisch, wenn sie sogar etwas Geld mitbringen kann.

Was ist das Wichtigste, woran sie erkennen, dass sie sich gegenseitig verstehen?
An den Schweizer Produzenten, die ich bisher etwas kennengelernt habe, schätze ich, dass wir eine ähnliche Mentalität haben. Wir stammen aus zwei kleinen Ländern mit genuiner Handelstradition –  ihr zu Lande, wir zur See. Und nach meinem Eindruck sind die Schweizer weniger konservativ als zum Beispiel die Deutschen. Mit ihnen kann man jede Idee diskutieren, sie sagen nie zum Vornherein nein. Wir sind zwei Handelsnationen und wissen, dass Handel nur funktioniert, wenn man empfänglich dafür ist, womit die anderen mit uns Handel treiben wollen.

Und wo liegen die wichtigsten Differenzen?
Ehrlich gesagt: ich denke, Schweizer Filme haben mehr Relevanz für Schweizer als für Leute im Ausland. Sie könnten davon profitieren, Koproduzenten im Team zu haben, die ihnen zum Beispiel sagen könnten, was eine Dänin oder ein Afrikaner denkt. Es gäbe mehr Diskussionen über internationale Relevanz. Schweizer Filme haben mehr lokalen denn internationalen Charakter. Das ist merkwürdig, denn sogar «Newsroom» zum Beispiel, ein bis ins Mark dänischer Film, ist viel herumgekommen, hat im arabischen Raum getourt, wurde ins Chinesische übersetzt, er ist also ein grossartiger internationaler Film. Das kommt daher, dass ich ihn während der Produktion vielen ausländischen Freunden gezeigt und sie gefragt habe, ob es da um ein nur dänisches Problem geht oder nicht. Es liegt nicht daran, dass die Digitalisierung heute global ein Problem ist. Es liegt an Dingen, die die Machart des Films transportiert, an den Bildern, die wir für den Anfang gewählt haben, dass ihn die Leute verstehen, sogar wenn sie aus Japan kommen.

Und woran erkennen Sie das Fehlen internationaler Relevanz?
Die Schweizer Filmproduktion hat zu wenig Mitarbeiter aus dem Ausland. Ich habe Freunde in der Schweiz, die wunderbare Filme machen. Doch ich meine, sagen zu dürfen, dass den Schweizern etwas der Stolz fehlt, dass sie auf ihre Branche zu wenig stolz sind. Wir Dänen haben Stolz, und nicht zu wenig; wir sind überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein, auch wenn wir die lächerlichste Sprache des ganzen Nordens reden. Wir sind überzeugt, wir haben etwas zu bieten. Und es gibt so viel Geld! Es ist verrückt! Darauf können wir stolz sein! Ihr habt doch wie wir sehr gute Filmschulen, das solltet ihr hinausposaunen.

Was sind eure Strategien, ein internationales Publikum zu erreichen?
Ich habe verschiedene. Zunächst schaue ich mir das Projekt an und frage mich, wie wir den Film aus Dänemark hinausbekommen. Ein Weg ist die Koproduktion, damit kommt der Film in die betreffenden Länder. Koproduktionen helfen bei der internationalen Distribution. Man wird darüber diskutieren und Feedbacks erhalten, wie die Leute den Film verstehen und ob sie ihn mögen. Ich engagiere auch frühzeitig einen Weltvertrieb. 

Was sind heute die wichtigsten Heraus­forderungen dänischer Dokumentarfilmproduktionen?
Hauptsorge ist das Geld. Seit HBO und Netflix Filme kaufen, sind wir anspruchsvoller geworden. Es gibt den sagenhaften Goldtopf am Ende des Regenbogens, aber der Regenbogen ist eben lang, und Filme machen braucht Zeit. Auch wenn sie nach Fertigstellung möglicherweise mehr dafür bezahlen: das Geld für die Herstellung aufzutreiben ist hart.

Meinen Sie, diese neuen Player in der Distribution treiben die Qualität an?
Ich finde es positiv, allerdings denkt keiner ans Geld, das wir zuerst fürs Produzieren brauchen. Das Dänische Filminstitut will nicht mehr ins Kino investieren. Wir müssen aber diese besondere Gattung beschützen, denn wenn heute die Leute das Vertrauen in den Journalismus, in die Politik und die Medien verlieren, so trauen sie doch den Dokumentarfilmen. Ich denke, die Schweiz braucht die Dänen so gut wie umgekehrt. Es ist ein Unglück, wenn Schweizer Filme nur fürs Schweizer Fernsehen entstehen. Die Menschen reisen auf der ganzen Welt herum, sie sind nicht länger nur Schweizer oder Dänen. Sie müssen die Kultur verstehen, indem sie sich mit anderen Kulturen auseinandersetzen.

Das Gespräch führte Pascaline Sordet

 

Sigrid Dyekjær ist eine der erfahrensten Produzentinnen in Dänemark bezüglich des Finanzierens und Produzierens internationaler Dokumentarfilme. Ihr Einsatz in der internationalen Szene brachten ihr die Mitgliedschaft der Producers Guild of America. 2015 wurde sie mit dem Ib-Preis vom Dänischen Regieverband ausgezeichnet, der an Produzenten der dänischen Filmbranche vergeben wird. 

Im März 2017 begegneten sich im Rahmen des Kopenhagener Dokumentarfilmfestivals CPH:DOX fünf Schweizer und fünf dänische Produzentinnen und Produzenten mit Unterstützung des BAK und des Dänischen Filminstituts. Mit dem Treffen sollten Kontakte zwischen den beiden Ländern gefördert werden, um Koproduktionen speziell im Dokumentarfilm anzuregen. Laut Laurent Steiert sind die Qualität und Ausstrahlung der Dokumentarfilmproduktion in beiden Ländern relativ ähnlich; solche Kontakte sollten daher regelmässiger stattfinden. 

▶  Originaltext: Englisch

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