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Artikel

«Man verzichtet zum vornherein auf gewisse gestalterische Ideen»


18. Mai 2017

Der Kameramann Stéphane Kuthy über Gründe, weshalb Kameraleute auch im Dokumentarfilm auf Assistenten angewiesen sind.  Und was das mit den neuen Kameras zu tun hat.

Das Gespräch führte Kathrin Halter


Weshalb treten Sie dafür ein, dass bei Kino-Dokumentarfilmen wieder vermehrt Kamera-Assistenten engagiert werden? 

Wir sagen nicht, es braucht in jedem Dokumentarfilm einen Assistenten. Aber man sollte, bevor man das Budget macht, zuerst einmal mit dem Kameramann reden. Wenn man mit einer neuen Kamera mit grossem Chip drehen will und ein bestimmtes Ergebnis erwartet, sollte im Normalfall ein Kamera-Assistent budgetiert werden. Dafür möchten wir uns bei Produzenten, Regisseuren und Förderstellen einsetzen. 

Was halten Sie von den neuen grossen Kameras?
Was bezüglich Lichtempfindlichkeit, Kontrast und Farbwiedergabe möglich ist, hebt die Dokumentarfilme, optisch gesehen, auf ein völlig anderes Niveau. Man kann mit sehr wenig Licht drehen, so dass es trotzdem natürlich aussieht, man kann auch besser mit Abstrahierungen arbeiten – wenn der Hintergrund dank reduzierter Tiefenschärfe zum Beispiel weniger scharf ist als die Person im Vordergrund. Die Kameras bedeuten also einen grossen Gewinn – wenn uns ermöglicht wird, seriös damit zu arbeiten. Aber es gibt Grenzen, was machbar ist. Man kann nicht einfach fordern: Macht ein 5-Gang-Menu, wir haben jetzt die grössere Küche – aber macht es alleine! So wie früher, wo ihr quasi mit dem Gas-Rechaud gekocht habt... (lacht). 

Wo liegen denn die Grenzen?
Ohne Assistenz ist man als Kameramann oder -frau zu sehr damit beschäftigt, die Schärfe zu kontrollieren, Akkus zu laden oder Karten zu wechseln, was Zeit und Ruhe fürs Denken, Gestalten und für Gespräche mit der Regie raubt. Man verzichtet zum vornherein auf bestimmte gestalterische Ideen – auf eine Kamerabewegung etwa oder auf besseres Licht. Auch die Aufbauzeiten dauern länger. Das muss in der Ökonomie des Gesamtprojekts einfach bedacht werden. 
Überhaupt sind die Arbeitstage deutlich länger geworden: Nach den Dreharbeiten müssen die Daten noch auf den Back-Ups gesichert werden. Wenn man Material zum Beispiel von zwei Stunden gedreht hat, befasst man sich am Abend annähernd zwei weitere Stunden damit, weil die Datenmengen auf den Chips gross sind und das Sichern überwacht werden muss. Manchmal ist man dann übermüdet – es kam schon vor, dass ich beim Backup ins Schwitzen kam und Angst hatte, etwas gelöscht zu haben. 

Wie schwer sind die Kameras?
Eine Amira mit Zoom kann gut zwölf Kilogramm wiegen. Bei längeren Dreharbeiten können schon mal Rückenprobleme auftauchen, man ist jedenfalls froh, wenn ein Assistent beim Tragen hilft. 
Kameraleute sind darauf spezialisiert, Bilder zu komponieren, Licht zu setzen, Szenen aufzulösen; Assistenten sind auf Technik spezialisiert. Natürlich kann man uns Kameraleuten mehr Arbeit geben – aber das Risiko von Fehlern steigt, auch wegen Überlastung. 

Ein Beispiel?
Bei einem Dokumentarfilm hat sich bei einem Zoom eine Schraube gelockert. Ich habe das nicht sofort gemerkt; es gab dann ein paar Einstellungen, die leicht unscharf waren; zum Glück konnten wir nachdrehen. So was hätte ein Assistent am Monitor sofort gemerkt. 

Anders als beim Dokumentarfilm sind beim Spielfilm zwei Kamera­-Assistenten die Regel. Woran liegt das eigentlich?
Beim Spielfilm gibt es zudem ja noch jemand, der sich nur um die Daten kümmert! Die Erwartungen ans Bild sind beim Spielfilm eben immer noch höher... Ein interessantes Licht und komplexe Bewegungsabläufe erwartet man inzwischen aber auch im Dokumentarfilm. 

Ist die Verwendung von Kameras mit hoher Auflösung inzwischen Standard im Dokfilm?
Es gibt Ausnahmen: vor allem bei Filmen, bei denen man sehr mobil und unauffällig sein muss, die auch eher nach Reportage aussehen sollen. Heute werden aber sehr viele Filme mit grossen Kameras gedreht, weil es nach «Kino» aussieht. Was sowieso zum Standard wird: Dass man mit einer hohen Auflösung von mindestens 2K arbeitet.  

Manchmal ist eine kleine Crew auch heute noch gerechtfertigt.
Ja. Letztes Jahr, bei «Die Gentrifizierung bin ich» von Thomas Hämmerli, war es zum Beispiel okay, dass ich alleine gearbeitet habe, denn es ist ein Film vor allem über Gebäude und Architektur. Es gab kaum Interviewpartner, also konnte Thomas mithelfen, hat auch das mal das Stativ getragen usw. Und die Drehtage waren nicht allzu lang, da war auch die Datensicherung am Abend kein Problem. 

Ein Beispiel, wo die geleistete Arbeit ohne Assistent nicht möglich gewesen wäre?
Beim Dokumentarfilm von Georges Gachot über João Gilberto, den wir dieses Jahr in Brasilien drehten. Da wollten wir ein schönes Bild, natürliches Licht, reiche Farbwiedergabe, wenig Tiefenschärfe... Gefilmt haben wir mit einer grösseren Kamera, einer Amira von Arri, viel mit Handkamera. Da gab es viele Szenen, die ich nicht ohne Assistenten hätte drehen können: Weil die Kamerabewegungen oft komplex waren – von einem Objekt auf eine Person in Bewegung, zum Himmel und wieder auf die Person zum Beispiel. 

Kommt hinzu, dass man bei Dokumentarfilmen oft auf Unvorhersehrbares reagieren muss... 
...ja, wir haben zum Beispiel auf einem Boot gedreht. Da ging es darum, die besondere Stimmung des Orts einzufangen und einen gewissen Rhythmus zu finden, der zur Musik passt. Da konnte ich mich ganz auf die Bewegungen konzentrieren, auf einen Vogel, der aufflog oder auf Holz, das im Fluss schwamm. Ich konnte tanzen, ohne mich auf die Technik konzentrieren zu müssen. 

Bei einer grösseren Crew verliert man auf dem Set an Intimität.
Das hört man jedenfalls immer wieder. Natürlich gibt es Situationen, wo man besser alleine dreht. Ich glaube allerdings nicht, dass eine zusätzliche Person auf dem Set Intimität verunmöglicht. Wichtiger ist es, ob es der Regie gelingt, Vertrauen zu den Protagonisten aufzubauen. Der Assistent kann sich im Prinzip auch im Nebenraum aufhalten und per Funk arbeiten. 

▶  Originaltext: Deutsch

 

1 offener Brief, 40 Unterschriften: In einem offenen Brief fordert die Swiss Cinematographers Society (SCS) dazu auf, die Position des Kamera-Assistenten für dokumentarische Dreharbeiten wieder zu besetzen. Begründung: «Als Kinodokumentarfilme noch auf Super-16 mm gedreht wurden, war in den meisten Fällen ein Kamera-Assistent selbstverständlicher Teil der Crew. Er hat das Filmmaterial eingelegt, Schärfe gezogen, das Equipment mitgetragen und dem Kameramann beim Kamera- und Lichtaufbau geholfen. Dann kamen in den Jahren 2000 die ersten Digitalkameras, die für diesen Bereich immer öfter angewendet wurden. Mit ihrer Verbreitung verschwand der Kamera-Assistent. Diese Kameras waren klein, leicht, hatten kleine Chips (...) und man musste bloss alle 90 Minuten die Kassette wechseln». Nun aber erobern grosse Kameras mit hoher Auflösung (2K, Ultra-HD, 4K) und grossen Chips die Welt des (Kino)-Dokumentarfilms; diese ermöglichen für immer weniger Geld immer definiertere, mit 35mm-Tiefenschärfe gestaltete Bilder. «Mit der Erhöhung der Auflösung und der Chip-Grösse und mit der damit verbundenen Reduktion der Tiefenschärfe wird jedes technische Problem und jede Unschärfe wesentlich stärker spürbar», heisst es im Brief. Der Kameramann sei im Normalfall nicht dazu in der Lage, all diese Arbeit alleine und zusätzlich zu seinen Kernaufgaben zu gewährleisten. Der Brief wurde von über 40 namhaften Kameraleuten unterschrieben und geht an die drei Produzentenverbände, ans Bundesamt für Kultur und an den Regieverband ARF/FDS.  
www.swisscameramen.ch


Stéphane Kuthy arbeitet seit 20 Jahren als Kameramann. 1968 wurde er in Paris geboren. Nach seinem Filmstudium an der ECAL in Lausanne war er als Kameraassistent (etwa von Pio Corradi) tätig. Er hat ein Dutzend Kinofilme, darunter «Die Herbstzeitlosen» und «Tannöd» von Bettina Oberli,  «Jeune Homme» von Christoph Schaub und «Töte Mich» von Emily Atef sowie mehrere Fernsehfilme fotografiert.  Hinzu kommen rund zwanzig Dokumentarfilme, darunter «Die Frau mit den 5 Elefanten» von Vadim Jendreyko.

 

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