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Geschichten erzählen. Ohne Unterlass.


07. Januar 2016

Antoine Jaccoud reçoit cette année le «Prix d’honneur» des Journées de Soleure. Nous avons rencontré l'auteur, dramaturge, scénariste, dialoguiste, ou encore réalisateur et partagé, un moment, sa passion des mots.

Antoine Jaccoud erhält den diesjährigen «Prix d'honneur» der Solothurner Filmtage. Wir haben den Autor, Dramaturgen, Drehbuchautor und Regisseur getroffen. Ein Porträt.

Von Winnie Covo

Unser Treffen – das erste – mit dem Drehbuchautor Antoine Jaccoud soll im Bahnhofbuffet Lausanne stattfinden. Das schöne Art-déco-Gebäude erinnert an eine Schweiz, die fast nur noch auf Postkarten und in der Erinnerung besteht, und ist eines der letzten seiner Art in der Schweiz. Für die einen ist es ein Ort des Durchgangs, für die anderen ein Ort täglicher Begegnungen. Unser Gesprächspartner gehört klar zur zweiten Kategorie.
Übrigens sassen sie auch hier zusammen, als Antoine Jaccoud zum ersten Mal mit Ursula Meier über «L’enfant d’en haut» sprach. «Sie erzählte mir von einem kleinen Schlitzohr, das Skier stiehlt, und von ihrer Lust, im Unterwallis einen Film zu drehen. Sie spann den Faden weiter: Der Junge hat kein Geld und geht nicht zur Schule. Ich fuhr fort: Er lebt allein mit seiner Mutter oder vielleicht mit seiner Schwester ... Wir diskutierten und trugen beide weitere kleine Episoden zur Erzählung bei», erinnert sich Antoine Jaccoud. Er ist in seinem Element, wenn er Geschichtchen, Anekdoten, Ereignisse eines Lebens schreiben oder erzählen kann. Er tut dies in erster Linie für den Zuschauer, dann auch für die Schauspieler, für die er eine grosse Bewunderung hat.

Debüt als Kulturjournalist

Der Soziologe Antoine Jaccoud debütiert im Journalismus, indem er etwas zufällig zur Westschweizer Wochenzeitschrift «L’Hebdo» stösst und dort die Rubrik Kultur und Kino übernimmt. Er gibt zu, damals nicht sehr viel von Kultur verstanden zu haben. Schon bald merkt er, dass ihm die Rolle des Beobachters und Kritikers der Arbeit anderer nicht behagt. «Ich fühlte mich nicht wohl.» Er verlässt die Redaktion und besucht eine Schreibwerkstatt beim polnischen Filmemacher Krzysztof Kieślowski. Anschliessend trifft er fast beiläufig die Entscheidung, nun selber zu schreiben. «Beiläufig», weil ihm alles in den Schoss zu fallen scheint. Denn er gehört zu den Menschen, die sich im Leben von Begegnungen, Wünschen und Vorstellungen leiten lassen.
Dramaturg, Drehbuchautor, Regisseur, Autor: Antoine Jaccoud liebt das Schreiben. Er schreibt für sich und für die anderen. Doch letztlich sind es die Schauspielerinnen und Schauspieler, die ihn beim Schreiben inspirieren. Am Morgen schreibt er in seinem chaotischen Büro, am Nachmittag widmet er sich «einfacheren Dingen». Wir erfahren nichts Näheres, nur dass auch dann das Schreiben seinen Platz hat. Er arbeitet mit Musik, die er je nach Geschichte auswählt, und inmitten von Schauspielerfotos. Wenn er dann den Entwurf in einer ersten Version vor sich hat, verlässt er seine gewohnte Umgebung und liest ihn in einem Restaurant oder im Zug nochmals durch. «Wenn alles gut geht und nicht gerade Rekruten oder Klassen auf Schulreise unterwegs sind, habe ich einen klaren Kopf und kann korrigieren. Dazu bin ich schon nach Visp, Brig und Bern gereist. Und dann wieder zurück.»

Die Frage, ob er schon immer schreiben wollte, kann er nicht mit Sicherheit beantworten. Er stammt aus einer Familie, die keine besondere Nähe zur Kunst hatte. Deshalb fühlt er sich nicht von Anfang an dazu berufen. «Ich dachte nicht daran, dass ich mich eher dem künstlerischen Schreiben statt dem Journalismus und dem Kunststudium statt den politischen Wissenschaften widmen könnte.»

Er studiert zuerst Soziologie. Dieses Instrumentarium dient ihm, um zu verstehen, woher er kommt und wohin ihn seine Vorlieben und seine Phantasie führen. Die Ausbildung ist für ihn heute noch wertvoll, wenn er eine Welt und die Figuren darin erschafft. Spätestens dann kommt auch die Psychologie ins Spiel.

Dramaturg am Théâtre en Flammes

1996 schlägt Yves Yersin ihm vor, an der Ecal Drehbuchschreiben zu unterrichten. Während vier Jahren bildet er eine Generation junger Autorinnen und Autoren aus, unter ihnen Bruno Deville, mit dem er 2014 «Bouboule» schreibt. 
«Zu jener Zeit war ich Laie. Ich lernte, während ich lehrte.» Seine Schreibaufträge mehren sich. Von 1996 bis 2005 ist er Dramaturg des Lausanner Théâtre en Flammes. Er schreibt mehrere Kurzfilme sowie zwei Dokumentarfilme mit Jean-Stéphane Bron: «Connu de nos services» (1997) und «La bonne conduite – Cinq histoires d''auto-école» (1999). 2000 entsteht «Azzuro» von Denis Rabaglia.

Jaccoud spricht von einem Vor und einem Nach dem Jahr 2000. Es folgen sehr arbeitsintensive Jahre, er ist in zahlreiche Film- und Theaterprojekte involviert. «Das Theater hat mir viel gegeben, denn wenn man zu verstehen versucht, wie Schauspieler funktionieren, lernt man ständig dazu.»

Zuvor las er fast zehn Jahre lang als Script Doctor die Arbeit anderer durch. Rund 200 Drehbücher waren es für das belgische Fernsehen (mehrheitlich Koproduktionen), dann für Cactus Film in Zürich. «Es war spannend, dramaturgische Probleme zu benennen und zu lernen, dass es technische Begriffe gibt, mit denen sich Drehbuchprobleme objektivieren lassen. Ich bin ausgesprochen anti-elitär und finde es wunderbar, dass man Werkzeuge zur Verfügung stellen kann, die ein Projekt tragen helfen.»

Die Arbeit mit Ursula Meier

Nach und nach erschliesst sich ihm die Macht des Kinos. Wenn er seine Worte auf der Leinwand dargestellt sieht, frappiert ihn die starke Beziehung, die zwischen seinen Texten auf dem Papier und der Filmkunst entsteht. 
Antoine Jaccoud sieht sich als Spätzünder. Auch heute noch scheint es, als bereite ihm die Formalisierung dessen, was er tut, Mühe. Durch eine glückliche Verkettung von Fügungen und Zufällen ist er zu einem versierten Allrounder geworden.

2002 organisiert Pierre-André Thiébaud, damals Produzent des Films «Les épaules solides» von Ursula Meier, ein Treffen der beiden. «Zuerst: na ja. Doch schon bald ergab sich eine enge Zusammenarbeit. Ursula hat eine sehr eigene Arbeitsweise. Das meiste wird über das Gespräch entwickelt. Wir haben viel zusammengearbeitet, manchmal bis zur Erschöpfung. Dafür konnten wir die Adaptionsphase überspringen. Ursula muss den Film sofort vor sich sehen, bei mir entwickeln sich die Dialoge eher nach und nach. Wir wissen genau, in welche Richtung wir gehen und schreiben den Film auch so.» 2008 kommt der hervorragende «Home» ins Kino, vier Jahre später «L’enfant d’en haut», dann 2015 «Kacey Mottet Klein – naissance d’un acteur». Und nun tun sich die beiden wieder zusammen und bereiten einen nächsten Film vor.

Für Antoine Jaccoud ist in seiner Beziehung zu den Koautoren vor allem wichtig, die Fähigkeiten des Gegenübers anzuerkennen. Ihn begeistert zum Beispiel das künstlerische Können, die Entschlossenheit und Beherztheit jener, die Geschichten erzählen möchten. «Die Beziehung ist speziell. Man stellt sich in den Dienst von jemandem, beansprucht aber Raum und muss die Zeit haben, mehrere Projekte gleichzeitig voranzutreiben und Verbindungen herzustellen. Als ich beispielsweise ‹L’enfant d’en haut› fertig hatte, begann ich gleich mit einem Stück über den Schneemangel. Oft ergibt sich das eine aus dem anderen. Man muss die Verbindungen nutzen, damit man seine Kräfte nicht überstrapaziert.» 

Neue Ideen und Pläne

Antoine Jaccoud möchte seinen besonderen Bezug zum Theater nicht verlieren. Über die Bühne findet er sein «ganzheitliches Ego» wieder. Dort hat er auch künstlerisch einen viel stärkeren Einfluss auf die Dinge. Obwohl man ihm, wie er sagt, bisher im Film immer viel Raum gegeben hat.
Doch nicht genug damit: Der Lausanner hat eine weitere Leidenschaft. Seit fünf Jahren macht er in der Autoren- und Musikergruppe «Bern ist überall» mit, die 2003 in der Aarestadt gegründet wurde. In der Rolle des öffentlichen Lesers lässt er mit ungeahntem Vergnügen seine Texte sprechen. Das nennt er seine «intellektuellen und künstlerischen Ferien». Wen wundert es also, dass er noch einiges vorhat. Zum Beispiel möchte er gerne Web-Docs herstellen. Deren Erzählform sei poetischer, findet er. Doch vorderhand kann er diesem Wunsch von den Terminen her nicht folgen. Aus gutem Grund: Zu unserem Gespräch im Bahnhofbuffet reiste Antoine Jaccoud aus dem Wallis an, wo er am Vormittag mit Ursula Meier an ihrem nächsten Film gearbeitet hatte. Und eben hat er das Drehbuch für einen in Québec gedrehten Film von Fulvio Bernasconi beendet und neue Projekte mit den Brüdern Larrieu aufgegleist.

Das Gesicht von Antoine Jaccoud hat die Züge jener, die in ihrer Leidenschaft  gar nicht merken, wie viel sie gerade leisten. Deshalb ist auch verständlich, dass ihn die Vorstellung, dieses Jahr in Solothurn einen Ehrenpreis zu erhalten, eher erschreckt. Doch es freut ihn auch, das merkt man. Fragt man ihn, welchen Beruf er wählen würde, gäbe es nur einen, so antwortet er: «Sich im öffentlichen Raum ausdrücken zu können, das zählt. Da gibt es für mich nichts zu überlegen. Man muss doch sprechen, Dinge tun, die zählen, sich mitteilen.» Kurz vorm Aufbrechen zeigt er mir noch seinen neuesten Blog auf dem Mobiltelefon. Er ist bissig, lustig und pikant. Was gibt es da noch zu sagen.  

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