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«Frauen haben dasselbe Recht wie Männer, schlechte Filme zu machen»


15. Februar 2016

Lors de la table ronde intitulée «  Gender Equality Tools for the Swiss Film Industry », qui s’est tenue lors des Journées de Soleure, les intervenantes ont débattu de solutions possibles pour résoudre le problème de la répartition inégale des soutiens en fonction du genre.

An der Panel-Veranstaltung «Gender Equality Tools for the Swiss Film Industry» bei den Solothurner Filmtagen wurden Lösungen für die mangelhafte Gleichstellung in der selektiven Filmförderung diskutiert. 

Von Valerie Thurner

Vor einem Jahr beförderte die Gleichstellungs-Studie «Die Gender-Frage: Zahlen und Fakten aus der Schweizer Filmförderung» denkwürdige Zahlen ans Tageslicht. Diese belegt, dass der Frauenanteil in Regie und Produktion bei der selektiven Filmförderung proportional zu den männlichen Kollegen nur etwa einen Drittel ausmacht. Gemäss Focal stellten im Stichjahr 2014 die Männer 72% der Filme mit 78% des Gesamtbudgets her. Selbst die prominente weibliche Spitze im Schweizer Film kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frauenperspektive hinter der Kamera sowie auf der Leinwand untervertreten ist. Die Initiantinnen dieser Studie, Nicole Schroeder (Focal ) und Ursula Häberlin (ARF/FDS), beriefen zu den Solothurner Filmtagen einen Think Tank aus internationalen und nationalen Expertinnen ein. Diese diskutierten zusammen mit den Schweizer Regisseurinnen Sabine Boss und Andrea Štaka im voll besetzten Uferbau Lösungsansätze, um die Emanzipation im Schweizer Film voranzutreiben.

Plädoyers für eine Frauenquote

Die Italienerin Iole Maria Giannattasio, die im Auftrag des «european women’s audiovisual network» (EWA) eine Gleichstellungsstudie über sieben europäische Staaten leitet, betonte die Wichtigkeit einer statistischen Grundlage für eine Analyse der momentanen Situation in der Schweiz, wo bis anhin kaum Daten zu Genderfragen erhoben worden waren. «Erst so kann das Problem der ungleich verteilten Fördergelder angegangen werden»», sagte Giannattasio, «und idealerweise sollten diese mit den Ergebnissen aus anderen Ländern vergleichbar sein, um das Bewusstsein global zu fördern».  
Ihre schwedische Kollegin, die Produzentin Stina Mansfeld, pflichtete ihr bei. «Film ist selbst in Schweden nach wie vor eine Männerdomäne», so Mansfeld. Die Vorzeigenation für Gleichstellungsfragen hat allerdings bereits konkrete Massnahmen ergriffen. Seit drei Jahren werden die Fördergelder gemäss einer paritätischen Quotenregelung vergeben: 50% für die Frauen und 50% für die Männer. «Heute haben wir so viele erfolgreiche Regisseurinnen wie noch nie», sagte Mansfeld. Das mehrheitlich weibliche Publikum applaudierte. 
Andrea Štaka und Sabine Boss sprachen sich in ihren Voten dezidiert für eine Frauenquote aus. «Frauen können zwar nicht garantieren, mit mehr Geld bessere Filme zu machen, aber wir haben doch das gleiche Recht, schlechte Filme zu machen wie die Männer», sagte Sabine Boss so treffend wie sarkastisch. Sie erinnerte zudem an die gute alte Schweizer Tradition der gelebten Vielfalt, an den «Kantönligeist», der uns lehre, auf alle Sprachregionen Rücksicht zu nehmen. Nur die Frauen, die über die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ausmachen, gingen vergessen.

Narrative Stereotypen aufbrechen

«Das Fördersystem und die Art, wie Filme hergestellt werden, ist veraltet», sagte Andrea Štaka. Sie führte den Begriff «New Stories» ein, der über den Genderbegriff hinausgeht und generell andere Arten von Erzählweisen, je nach persönlichem Hintergrund der Autorin oder des Autors, umfasst. «Es sollte um Inhalte gehen, nicht nur um Frauen», so Štaka. «Wir müssen Stereotypen aufbrechen, wenn wir neue Geschichten wollen.» Schweden hat bereits bewiesen, dass neue Förderinstrumente und Sendegefässe den Boden für mehr Frauenbeteiligung ebnen. Stina Mansfeld setzte sich für einen Fonds für ausschliesslich experimentelle Projekte ein. Dieser setze allerdings voraus, dass die entscheidungstragende Kommission aus möglichst unterschiedlichen Personen bestehe, nur so könne eine vielfältige Filmkultur entstehen. 
In der Schweiz gibt es auch unabhängig von der Geschlechterdebatte Initiativen, um innovative Erzählformen zu fördern. Die SRG fördert beispielsweise mit dem Projekt «Web-First-Serien 2014» unkonventionellere, auf ein jüngeres Publikum abzielende Erzählweisen. Die Geschlechterfrage spielte bei der Vergabe der Projekte allerdings keine Rolle. Der Verein «Swiss Fiction Movement» wiederum plädiert für Förderinstrumente, die nonkonformistische Projekte im Low-Budget-Bereich unterstützen – der Verein hat viele weibliche Mitglieder, Gleichstellung ist aber nicht explizit das Ziel der Initianten.

Der Film spiegelt die Leadership-Mentalität

Essentiell für eine gelebte Gleichstellung seien die Filmhochschulen, so Sabine Boss. Junge Leute müsse man in ihrer Eigenwilligkeit und persönlichen Sprache bestärken. Frauen an leitenden Positionen von Filmschulen könnten durchaus die Frauenquote beeinflussen: Boss absolvierte ihre Filmausbildung in den Neunzigerjahren an der ZHdK unter dem Frauentriumvirat Margit Eschenbach, Lucie Bader und Marille Hahne, das eine ganze Reihe an erfolgreichen Regisseurinnen hervorgebracht hat, neben Andrea Štaka auch Bettina Oberli oder Anna Luif. 
«Frauen können genauso normativ sein wie die Männer», gab Mansfeld zu Bedenken. Schliesslich sind Schweizer Filmkommissionen mehrheitlich ausgeglichen, was die Geschlechtervertretung betrifft. Focal möchte demnächst Seminare anbieten, welche die Kommissionen gezielt für die Genderfrage sensibilisieren, stellte Nicole Schroeder in Aussicht. Die Filmschaffende Madeleine Fonjallaz äusserte sich aus dem Publikum etwas pessimistisch gegenüber einer Überwindung der strukturellen Benachteiligung von Frauen. Sie arbeitete in den Siebziger- und Achtzigerjahren für Xavier Koller oder Alain Tanner und entstammt einer Generation von Filmemacherinnen, die praktisch gänzlich von Bundessubventionen ausgeschlossen waren. Stina Werenfels honorierte in ihrem Votum die Errungenschaften der Pioniergeneration: Frauen wie Fonjallaz hätten sie erst dazu ermutigt, eigene Filme zu machen. «Nun müssen wir uns der Mentorinnenrolle für die nachfolgende Generation annehmen und optimistisch in die Zukunft blicken», so Werenfels. 
Gleichstellung beim Film kann allerdings kaum ohne die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen diskutiert werden; die Filmförderung widerspiegelt lediglich die Leadership-Mentalität, wodurch Männer im Top-Management übervertreten und besser bezahlt sind. Dasselbe gilt für den Film, wo die Anzahl Frauen bei Spielfilmprojekten im oberen Budget-Segment rückläufig ist. Ob die Schweizer Filmförderung sich von Schweden zu Quotenregelungen anregen lässt, wird sich zeigen und sicher noch zu Diskussionen führen. 
Bereits im vergangenen Jahr reichten die Nationalräte Yvonne Feri und Matthias Aebischer eine Motion zur Verbesserung der Mittelverteilung im Parlament ein. Das BAK sowie die Zürcher Filmstiftung waren ebenfalls im Solothurner Publikum vertreten und haben die Forderungen vernommen. Erste Ergebnisse aus Schweden geben durchaus Hoffnung für eine gerechtere und vielfältigere Zukunft für den Schweizer Film, resümierten jedenfalls die Veranstalterinnen. 

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