MENU Schliessen

Artikel

Abstimmen !


11. Februar 2016

An jenem denkwürdigen 9. Februar 2014 war ich, wie viele andere aus der Schweizer Filmbranche auch, an der Berlinale, als uns die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative ungläubig verstummen liess. Ganze 19ʼ000 Stimmen machten den Unterschied aus. Die Folgen kennen wir: Wir wurden aus den MEDIA-Programmen ausgeschlossen, und auch eine Teilnahme am neuen Rahmenprogramm der EU, «Crea­tive Europe» (das nicht nur die Filmförderung, sondern auch alle anderen Kultursparten umfasst), rückte damit in weite Ferne. Unsere Filme zählen seither nicht mehr zu den geförderten europäischen Werken.
In der Folge ist es für Schweizer Filme bedeutend schwieriger geworden, europäische Verleiher oder europäische World Sales zu finden. Und es ist ebenfalls schwieriger geworden, dass unsere Filme an europäischen Festivals gezeigt werden, welche vom MEDIA-Programm unterstützt werden (denn diese Festivals müssen eine festgelegte, hohe Quote an europäischen Filmen zeigen, und wir bewerben uns somit mit all den anderen Filmen aus Amerika, Afrika und Asien um die verbleibenden Startplätze). Hat nun beispielsweise ein deutscher Verleiher die Wahl zwischen einem schweizerischen und einem polnischen Film, die ihm beide ähnlich gut gefallen, so entscheidet er sich jetzt ganz klar für den polnischen Film, weil er damit einerseits reinvestierbare Referenzmittel des MEDIA-Programms generieren, andererseits aber auch ebensolche Referenzmittel in diesen Film investieren kann. Der Ankauf eines «europäischen» Films wird für ihn dadurch deutlich günstiger als der eines schweizerischen. Die Verantwortlichen von Swiss Films können uns ein Lied davon singen, wie sehr dieser Rauswurf aus MEDIA uns seither Schwierigkeiten bereitet.
In wenigen Tagen, am 28.Februar 2016, findet wieder eine Schicksals-Abstimmung statt: die sogenannte Durchsetzungsinitiative. Doch die Wortwahl «Durchsetzungsinitiative» ist eine Lüge. Sie lügt uns vor, die Ausschaffungsinitiative umzusetzen. In Tat und Wahrheit ist sie eine gespenstische Verschärfungsinitiative.  Und eine gesellschaftliche «Zersetzungsinitiative»: Einem Viertel unserer Wohnbevölkerung sollen die Grundrechte verweigert werden. Ausländer, welche Bagatelldelikte begangen haben, sollen zu Kriminellen abgestempelt und ohne jedes Augenmass ausgeschafft werden: das ist menschenverachtend und unschweizerisch. Es macht uns zu einem isolationistischen, egoistischen Staat. Es belastet unser Verhältnis zu Europa und zur Welt. Als Bürger dieses Landes will ich das nicht hinnehmen. Wir dürfen dieser Entwicklung gegenüber nicht in Ohnmacht oder Lethargie verfallen, wir dürfen sie weder ignorieren noch verharmlosen.
Auch wenn mir in dieser Sache ganz generell unser Land, unsere Mitmenschen und unser gesellschaftliches Zusammenleben wichtiger sind als sämtliche Partikularinteressen: auch der Einfluss auf unsere Filmbranche wäre im Falle einer Annahme erneut ein schädlicher. Zwar wäre er nicht im selben Ausmass offensichtlich: Wir sind ja bereits aus dem MEDIA-Programm gekippt. Aber die erneute klimatische Verschlechterung wäre ein weiteres Zeichen unserer Abschottung gegenüber dem Ausland und den Ausländern. Die Wiederaufnahme von Verhandlungen, der Wiedereintritt in europäische Förderprogramme aller Art, nicht nur im Bereich der Kultur, sondern auch der Forschung und des Jugendaustauschs,  würde nochmals schwieriger. Langfristig werden sich die Folgen dieser Politik und der Ausschluss aus gewachsenen Netzwerken immer deutlicher zeigen.
Und vergessen wir nicht: ein hoher Anteil unserer Filmbranche – ganz speziell unter unseren DrehbuchautorInnen, RegisseurInnen und SchauspielerInnen – hat einen gewichtigen «Migrationsvordergrund». Ohne sie hätte unser sogenannter Schweizer Film in keiner Weise den kulturellen Reichtum und die Kraft, die er heute hat.
Deshalb erachte ich es als unerlässlich, dass alle von uns, die aus welchen Gründen auch immer einen Schweizer Pass besitzen, davon Gebrauch machen und abstimmen gehen. Und dass wir auch unser Umfeld – unsere Freunde, Bekannten und Familie – auffordern, abzustimmen. Zynische Abstinenz oder Gleichgültigkeit liegen nicht drin. Es ist das Volk, das hier entscheidet, nicht das Parlament! Dort hat die Initiative ja bekanntlich keine Mehrheit gefunden! 
Es gibt einen kleinen, berechtigen Hoffnungsschimmer, dass die Initiative abgelehnt wird. Doch davon soll man sich nicht in Sicherheit wiegen lassen. Jede Stimme zählt. Jede Stimme wird wichtig sein. Gerade wir – bestens vertraut mit knappen, aber wegweisenden Entscheiden in den Fördergremien – sollten das wissen.

Stefan Haupt

 

 

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife