MENU Schliessen

Artikel

«Die Kinoketten entwöhnen die Zuschauer vom Untertitellesen»


11. Februar 2016

Beat Käslin, Geschäftsführer der Arthouse Commercio Movie AG, über das Untertitellesen bei Jugendlichen, grosse Studiofilme im Multiplexkino und was die Zunahme von Synchronfassungen mit der Digitalisierung zu tun hat. 

Das Gespräch führte Kathrin Halter

Der Schweizer Studiofilmverband setzt sich für Originalfassungen im Kino ein, jetzt auch mit einer Reihe von Spots. Seid ihr Idealisten, die sich dem grossen Markttrend entgegensetzen?
Es steht sicher auch ein Stück Idealismus dahinter, aber nicht nur. Wir stehen ein für eine bestimmte Kinokultur und kämpfen für ihren Erhalt. Studiofilme werden wir nun mal nie synchronisiert zeigen.
Die Schweiz war, anders als Frankreich oder Deutschland, lange ein Sonderfall, hier ist die Kultur der Originalfassung viel tiefer verankert. In Deutschland zeigen auch Arthauskinos Woody Allen oder Pedro Almodóvar auf Deutsch. Wenn wir jetzt auch noch damit beginnen, wäre das ein Riesenverlust. Zugleich gibt es wirtschaftliche Überlegungen, wie wir unser Geschäft erhalten können. Wir wollen und müssen uns ja weiterhin von den Multi­plexkinos unterscheiden.

Die Spots werden vor allem in Schweizer Studiokinos gezeigt. Besteht da nicht die Gefahr, dass man hier offene Türen einrennt?
Die Spots richten sich ans breite Publikum. Man muss immer wieder in Erinnerung rufen, was Originalfassungen bieten. Viele Leute machen sich dazu gar nicht viele Gedanken. Gleichzeitig sollen die Spots das junge Publikum ansprechen; diese werden deshalb auch auf Kinoplattformen wie Cineman gezeigt. Wir möchten sie auch im Fernsehen und in Kinos ausserhalb unseres Netzwerks zeigen.

Laut einer Studie von 2008 geben 71,6 Prozent der Schweizer Jugendlichen der Synchronfassung den Vorzug...
Ja, Junge bevorzugen in der Regel Synchronversionen, weil diese einfacher zu konsumieren sind, quasi weniger «Arbeit» bedeuten. Wenn sie wählen können, sind die wenigsten bereit, eine untertitelte Version anzuschauen. Das macht uns natürlich Sorgen. Doch man muss zukunftsgerichtet denken. Wenn das junge Publikum später auf den Geschmack von Studiofilmen kommt, soll es diese im Original geniessen können. Wenn Jugendliche in manchen Kinos fast nur noch Synchronfassungen vorgesetzt bekommen, wie das in unserem Fernsehen der Fall ist, machen sie den Schritt hin zu OV irgendwann nicht mehr. Untertitel zu lesen ist eine Fähigkeit, die man sich erst einmal aneignen muss, bevor sie zur Gewohnheit wird. In Holland und Skandinavien laufen Filme am Fernsehen im Original mit Untertiteln. Früher liefen bei uns auch alle Blockbuster im Kino in OmU. Das hat sich stark verändert.

Grössere, publikumsträchtige Studio­filme laufen vermehrt auch in Synchronfassungen – in den Multiplexkinos.
Synchronkopien von grossen Arthausfilmen werden dann eingesetzt, wenn Verleiher annehmen, dass diese ein Crossover-Potential besitzen. So können beide Sektoren bedient werden: die Multiplex- und die Studiokinos. Das hat massiv zugenommen, besonders im Zug der Digitalisierung. Mit den gesunkenen Kopienkosten kommen viel mehr Kopien zum Einsatz. Sobald Filme ein grösseres Potenzial sowie einen Verleiher in Deutschland oder Frankreich haben, verlegen gewisse Verleiher das Startdatum auf den deutschen respektive französischen Filmstart, um Zugriff auf die entsprechende Synchronfassung zu haben. Bei der analogen Kinoauswertung kamen viel weniger Kopien zum Einsatz, und diese waren in der Regel deutsch/französisch untertitelt. Aus Kostengründen wurden die selben 35mm-Kopien in allen Sprachregionen eingesetzt. Dies hatte den Effekt, dass sich die OmU-Kultur in der Schweiz so lange festigen konnte. Selber synchronisieren zu lassen ist für den kleinen Schweizer Markt ja viel zu teuer und macht nur bei Kinderfilmen auf Schweizerdeutsch Sinn.

Wie stark bedrängt diese Entwicklung die Studiokinos?
Vor 15 Jahren wäre es nie vorgekommen, dass ein Pedro Almodóvar bei den grossen Kinoketten und Multiplexkinos läuft. Das bekommen wir natürlich schon zu spüren, auch wenn gewisse Verleiher argumentieren, dass mit Synchronfassungen ein anderes Publikum angesprochen würde. Ich glaube jedoch, dass sich die Publikumsschichten nicht so klar trennen lassen: Standort und Spielzeiten sind für die Kinowahl ebenso entscheidend. Die Kinoketten entziehen uns damit nicht nur einen Teil des Publikums, sie entwöhnen die Zuschauer auch vom Untertitellesen. Da stehen auch jene Verleiher in der Verantwortung, die diese Tendenz in den letzten Jahren stark gefördert haben.

Wie weit bleibt die Schweiz in Bezug auf die Programmvielfalt ein Sonderfall? Die Kinostadt Zürich könne immer noch mit Paris mithalten, heisst es oft.
Im internationalen Vergleich stehen wir sicher gut da, gerade weil wir in Zürich und anderen Schweizer Städten eine starke Studiofilmkultur haben. Das Film­angebot hier ist immer noch so vielfältig, wie das in vergleichbar grossen deutschen Städten nie vorhanden war. Gerade weil wir hierzulande diese viel zitierte Vielfalt und Kinokultur haben, wollen wir für ihr Bestehen kämpfen. 

 

Interessieren Sie sich für den Schweizer Film?

Abonnieren Sie!

Tarife