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Artikel

«Es geht auch um eine Vision»


29. Oktober 2015

Simon Hesse, Stiftungsrat der Zürcher Filmstiftung und Co-Präsident von Zürich für den Film, über die Chancen der Volksinitiative, Verteilkämpfe um Fördermittel und die politische Gleichstellung von Film und Neuen Medien mit Oper und Theater.
 

Das Gespräch führte Kathrin Halter


Weshalb eine Initiative, weshalb dieses Vorgehen? 
Wenn man etwas nachhaltig ändern will, ist die Volksinitiative eine sehr gute Möglichkeit. Den Ausschlag, politisch zu handeln, gab der Kantonsrat mit seinem Beschluss von Anfang Juli, die Kulturförderung im ordentlichen Budget zu kürzen. Bei einem Volksbegehren muss sich die Regierung mit dem Anliegen auseinandersetzen, den Vorschlag akzeptieren oder einen Gegenvorschlag unterbreiten – das wollten wir erreichen. Die Volksini­tiative wurde vom Verein Zürich für den Film Anfang Juli einstimmig beschlossen. 

 

Madeleine Herzog, die Leiterin Fachstel­le Kultur vom Kanton Zürich, hat beim Filmtalk die heutige Situation mit 2004 verglichen, als es bei einer städtischen Volksabstimmung um die Errichtung der Filmstiftung ging. Heute dürfte ein Abstimmungskampf schwieriger werden als damals – die Kantonsbevölkerung zu gewinnen, werde vergleichsweise «viel brauchen». Fürchtet ihr euch nicht vor einer Volksabstimmung? 
Überhaupt nicht. Es geht um eine Kultursparte mit hohem Ansehen. 2004 wurde die Vorlage mit knapp 54 Prozent angenommen. Es ist also eigentlich nie der richtige Zeitpunkt, etwas zu wagen. 


Letztes Jahr wurde, im Namen von Zürich für den Film, von Stadt und Kanton noch eine massive Erhöhung des Filmkredits gefordert, einen Quantensprung von 10 auf 40 Millionen Franken. Jetzt werden bei der Lancierung der Initiative gar keine Beträge mehr genannt. Weshalb?
Wir haben erkannt, dass das politisch nichts bringt. Nun wird man, falls die Vorlage angenommen wird, im Parlament innerhalb einer Budgetdebatte für mehr Geld kämpfen.

 

Vor einem Jahr wurde eine Uneinigkeit zwischen Zürich für den Film und der Film­stiftung sichtbar: Hier die aktivistischen Kulturlobbyisten, die für eine massive Erhöhung des Filmkredits warben, dort die bedächtigen Kräfte. Corine Mauch und Daniel Waser distanzierten sich öffentlich von der Forderung nach einer solchen Erhöhung des Kredits. Hat man sich inzwischen wieder gefunden?
Damals dachten wir, mit einer klaren Forderung etwas bewegen zu können. Das brachte offensichtlich nichts, worauf wir auf eine solide politische Strategie einschwenkten. Was den Auftritt betrifft ist aus der Hupe also gewissermassen ein «Hüpchen» geworden. 
An der Sache hat sich aber überhaupt nichts geändert. Es geht jetzt vorerst gar nicht um Geld, sondern um ein Gesetz, die Akzeptanz von Film und Medienkultur und um eine politische Gleichstellung von Film und Neuen Medien mit Theater und Oper. Das hat die Diskussion verändert. 

 

Es ist im Initiativkomitee viel von Game­wirtschaft die Rede sowie von der «Konvergenz» von Film und Neuen Medien. Falls die Filmstiftung tatsächlich zu einer Film- und Medienstiftung umgebaut werden kann – sind da nicht Interessenkonflikte zwischen Filmschaffenden und Gamern absehbar? Es geht ja zuletzt immer um den Kuchen, der neu aufgeteilt werden muss.
Das Konzept einer Medienstiftung sieht die drei Bereiche Film, Animationsfilm und interaktive Medien vor. Ihren Bedarf kann man relativ gut berechnen, wenn man vom Ist-Zustand aus denkt und überlegt, wo wir in 10 Jahren stehen möchten. Es geht da auch um eine Vision. 
Wird eine substanzielle Erhöhung der Mittel erreicht, wird es auch keinen Verteilkampf geben. Beim Bund hat man die Mittel für die neue Standortförderung ja auch nicht aus den bestehenden Fördertöpfen entnommen ; es gab einen Ausbau. 

 

Was geschieht, wenn es keine zusätzlichen Mittel gibt? Müsste man dann wieder davon absehen, die Gamekultur mit einzubeziehen?
Dann wurde unsere Vision einer zeitgemässen Film- und Medienförderung nicht geteilt. Von diesem Worst-case scenario gehen wir jetzt aber mal nicht aus. Der Film hat schon jetzt zu wenig Geld. 

 

Wie will man Ängsten von traditionell arbeitenden Filmschaffenden begegnen, die wenig begeistert sind von der Aussicht, den Filmkredit in Zukunft mit der Game- und Transmediakultur teilen zu müssen? 
Man darf nicht vergessen: Als die Film­stiftung gegründet wurde, waren andere Kunstsparten ebenfalls verunsichert. Der Film hat eine starke Lobby und ist ein attraktives Medium; schluss­endlich wurde aber niemandem etwas weggenommen, und das wird auch in Zukunft nicht passieren. Die Ängste hingegen verstehe ich. 

Meine Grossmutter Isa Hesse hat immer schon mit gemischten Techniken gearbeitet – ihre Videokunst passte damals in keine Kategorien, Unterstützung erhielt sie nur von privaten Mäzenen. Heute gilt das für jene Leute, die nicht klassisch arbeiten. Bis vor ein paar Jahren war Dokufiktion so ein Genre, das nicht recht in die Förderkategorien passen wollte. 

Und weshalb sollte die Filmstiftung die Entwicklung von Serien nicht fördern? Gegenwärtig hat sie nicht die Mittel dazu, aber das könnte sich ja ändern. Aktuell ist unsere Filmförderung einfach zu wenig innovativ im Vergleich etwa mit Deutschland oder Schweden. Ich bin der Meinung, eine Filmstiftung sollte regelmässig überlegen, ob ihre Förderkategorien noch up-to-date sind. 

 

Ihr bezeichnet die politische Gleichstellung von Oper, Theater und Film als «wegweisend». Spielt ihr darauf an, dass das Opernhaus nicht zuletzt deshalb jährlich 85 Millionen Franken erhält, weil seine Förderung gesetzlich verankert ist? 
Wir wünschen uns eine Gleichstellung mit Theater und Oper. Um diese zu schützen, existiert seit 1994 das Operhausgesetz; seither funktioniert sie prächtig und besitzt internationales Renommee. Wenn ein Gesetz den Film als eine Kultursparte anerkennt, die von Staates wegen gefördert werden muss, würde sich ein ähnlicher Effekt einstellen wie bei der Oper. Wenn man sich dank Volkswille auf ein Gesetz berufen kann, wird viel mehr möglich.

 

Die Notwendigkeit für ein Filmgesetz wird stark mit wirtschaftlichen Argumenten (Kreativwirtschaft und Medienstandort Zürich stärken) be­gründet. Man stellt die Kreativbranche vor allem als Wirtschaftssektor dar, nicht als Kultursektor, der Subventionen benötigt. Gibt es keinen Clinch zwischen Standort- und Kulturförderung? 
Film ist bekanntlich nicht nur Kultur. Es gibt ja fast keinen Schweizer Film mehr ohne ausländische Beteiligung; einen Film zu finanzieren ist eine wirtschaftlich komplexe Angelegenheit geworden. Wenn ich eine halbe Million aus Deutschland bekomme, muss ich dort 750ʼ000 Franken ausgeben; dasselbe gilt umgekehrt für Zürich. In ganz Europa greift die Standortförderung in die Filmproduktion ein, das haben noch nicht alle verstanden.

Man muss also die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Kultur aufzeigen. Schwieriger wird es zu erklären sein, weshalb die Förderung eines Films zwei Millionen kostet, wenn dieser danach gar nicht ins Kino gelangt. Deshalb sind die Förderung der Auswertung sowie die «Vermittlung des Film- und Medienschaffens in breiten Bevölkerungskreisen» wesentliche Punkte in dieser Gesetzesvorlage. 

 

Also: Mehr Geld für Institutionen wie «Schule und Kultur»?
Natürlich! Weil der Film eine wichtige Kultursparte ist, die in allen Phasen von der Entwicklung bis zur Auswertung gefördert werden soll. Es geht auch um ein Bewusstsein. Schulklassen müssten Schweizer Kinderfilme doch unabhängig von kommerziellen Erwägungen sehen können. 

 

Sie sind seit September neu im Stiftungsrat der Filmstiftung. Wird sich dadurch in der internen Dynamik der Filmstiftung etwas ändern?
Ich bin als engagierter Vertreter der Branche angetreten, um bei diesen Diskussionen in der Filmstiftung nicht immer den einfachsten Weg zu gehen. Mein erklärtes Ziel ist eine Vermittlerfunktion zwischen Branche und Stiftungsrat; ich möchte integrativ wirken und den Austausch suchen, übrigens auch mit anderen Verbänden. Die Filmstiftung anerkennt die Anliegen der Branche und die Wichtigkeit unseres Vorstosses. 

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