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Die Unruhestifterin

Andreas Scheiner
18. Februar 2020

Ella Rumpf, Schauspielerin und European Shooting Star (Bild: Andreas Lumineau)

Erstmal reinkommen. Ella Rumpf ist in Paris, wir hören sie Treppensteigen am anderen Ende der Leitung. Sie habe geglaubt, früher zuhause zu sein, entschuldigt sich die Schauspielerin, mit der wir uns zum Telefonieren verabredet haben, nachdem bekannt geworden ist, dass sie an der Berlinale einen Shooting Stars Award bekommt. Aber in Paris, sagt sie, seien die Wege eben doch immer länger als man denkt. Drei Monate ist Rumpf in der Stadt – und davor? Keine 25 ist sie, hat aber schon in London und Berlin gelebt, in Paris verbringt sie auch nicht zum ersten Mal Zeit, und Zürich ist ihr sowieso ein Zuhause. Jedenfalls, eine gute Freundin in Paris hatte ihr ein WG-Zimmer angeboten und jetzt wohnt Ella Rumpf ebenda, genauer in Montreuil, einem dieser Vororte, den die Métro gerade noch so erreicht.

Fast ein bisschen kleinstädtisch sei’s dort, erzählt sie, nicht so hektisch wie im Zentrum. Aber Rumpf, Tochter einer Französin und eines Schweizers, steht der Sinn nicht nach Rückzug. Ihr läuft’s: Auf der Berlinale wird sie auch in der Netflix-Serie «Freud» vertreten sein – der junge Psychoanalytiker geht darin auf Mörderjagd. In «Lindenberg! Mach dein Ding» spielt sie Udos erste Liebe und in Frankreich war Ella Rumpf gerade mit «Sympathie pour le diable» in den Kinos, ein Film über den Bosnienkrieg, der allerdings viel zu wenig beachtet worden sei, wie sie findet, und unbedingt in die Schweizer Kinos gehöre: «So viele Menschen in der Schweiz stammen aus Ex-­Jugoslawien, aber es wurde uns kaum etwas beigebracht über diesen Krieg – verrückt, wie unaufgeklärt wir sind!»

 

Durch Berlin randalieren

Zweieinhalb Monate hat Rumpf in Bosnien verbracht. Vielleicht mehr als jede andere Schauspielerin in der Schweiz ist sie auf Rollen aus, die Reibung versprechen. Aufs Unruhestiften. Sie geht dahin, wo’s knallt. Siehe «Tiger Girl» (2017): Als Streetkid randalierte Rumpf durchs gentrifizierte Berlin, ein abendfüllender Energieanfall, Regisseur Jakob Lass, Deutschlands Mann fürs Improvisations-Kino, hatte sie losgelassen.

«Ich kam damals direkt aus dem Training», erinnert sie sich und meint damit Giles Foremans Schauspielschule in London, die sie zwei Jahre lang besucht hat. «Ich war ‹fresh›, wach. Und ich konnte mich ausspielen, ohne die Sorge, dass ein Lehrer dazwischenfunkt.» Trotzdem hatte sie mit sich gerungen, als die Anfrage für «Tiger Girl» kam, eine schwierige Entscheidung sei das gewesen, nach Berlin zu gehen und London hinter sich zu lassen. «Aber ich mag solche Momente auch. In denen man alles auf den Kopf stellt. Bääm.»

Nein, Ella Rumpf schreckt nicht zurück vor dem Unbequemen. Es ging schon los mit «Chrieg» (2014), Simon Jaquemets Tour de Force in der Berghütte. Darin gab Rumpf, Haare abrasiert, Proll-Attitüde, einen der verhaltensgestörten Jugendlichen, die auf einer Art Folteralm zur Einsicht gebracht werden sollten. Oder dann «Grave» (2016) von Julia Ducournau, jener französisch-belgische ­Kannibalenhorror, der zu viel war für manche Zuschauer: Auf dem Festival in Toronto seien Leute in Ohnmacht gefallen, ging die Rede. «Die hatten doch nur einen schlechten Tag», meint Rumpf. «So hart ist der Film nun wirklich nicht.»

Aber wird’s ihr denn nie zu intensiv? «Zu intensiv?» Sie lacht. «Wenn Du diesen Beruf ausüben möchtest, wird es eben intensiv. Willst Du ein intensives Leben, dann mach Schauspiel.»

 

Femme fatale in «Beast»

Sie sei «voll explosivem Talent», sagt Lorenz Merz, der bei «Chrieg» die Kamera gemacht hat und Rumpf für eine Hauptrolle in seiner Regiearbeit «Beast» besetzte, die gerade in der Postproduktion steckt. «She’s got it all, sie hat’s drauf», das habe er gleich gesehen, sagt der Kameramann, der schon während «Chrieg» am eigenen Film geschrieben hat. In «Beast», so viel verrät Merz, spielt Rumpf eine «enigmatische ‹femme fatale›, die unsterblich verliebten Jungs den Kopf verdreht». «In dem Film steckt Leben!», verspricht Rumpf. «Wenn ich Lorenz’ Bilder sehe: Das ist für mich Kino, das ist für mich Kunst.» Erste Ausschnitte, die uns Merz zeigte, versprechen ein wirklich bildgewaltiges, magisch-realistisches Drama, dessen Start an einem der grossen Festivals fast Formsache scheint. Für Ella Rumpf werden sich weitere Türen öffnen.

 

▶  Originaltext: Deutsch

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